Projekt Schwarz-Orange 2.0 gestartet: Markus Söder (CSU/links) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.
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Projekt Schwarz-Orange 2.0 gestartet: Markus Söder und Hubert Aiwanger bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.

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100 Tage Schwarz-Orange: Kraft- oder Krampfkoalition?

Die zweite Auflage von CSU und Freien Wählern läuft: Bei Wissenschaft und Forschung gelang dem Kabinett Söder ein großer Aufschlag - ganz anders bei der Windkraft. Die Koalitionäre drohen, ihre frühere Leichtfüßigkeit zu verlieren. Eine Bilanz.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Die Forderung von Ilse Aigner war unmissverständlich: "2024 muss ein Jahr der Ergebnisse werden", sagte die CSU-Landtagspräsidentin in ihrer Weihnachtsansprache. Worten müssten Taten folgen, Probleme löse man nicht mit vollmundigen Ankündigungen. Aigners Botschaft ging in erster Linie an die Bundespolitik nach Berlin. Doch auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dürfte die Worte gehört haben. Auch in Bayern braucht es Ergebnisse.

Söder stellt Hightech-Pläne nach vorne

100 Tage sind seit der Vereidigung des Kabinetts aus CSU und Freien Wählern Anfang November vergangen. Bei seiner ersten Regierungserklärung kündigte Söder an, den technologischen Fortschritt im Freistaat massiv zu fördern: In Nürnberg werde die erste deutsche KI-Universität entstehen, anderswo solle es ein Testzentrum für Raketenantriebe geben, und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen solle sich zum "Houston Deutschlands" entwickeln - inklusive einer möglichen Ansiedlung des europäischen Mondkontrollzentrums.

Söder kündigte an, ab diesem Jahr den Zukunftspreis des bayerischen Ministerpräsidenten auszuloben – den "sogenannten Hightech-Oscar". Im Verkehr will die Staatsregierung eine Magnetschwebebahn erproben. Es war der erste große Aufschlag der selbsternannten "Kraftkoalition", wie Söder sein erneuertes CSU-Bündnis mit den Freien Wählern bezeichnet. Tatsächlich könnten die Pläne einen massiven Vorschub für die Zukunft von Wissenschaft und Forschung in Bayern bedeuten. Technologie gilt seit Jahren als eines von Söders Herzensprojekten - zu Beginn der Legislatur stellte er diese Ideen ganz nach vorne.

Windpark, Faxgeräte, Religionsunterricht - es rumort in der Koalition

Ein anderes Projekt der Koalition steht jedoch seit kurzem auf der Kippe: Der Bürgerentscheid in Mehring gegen den geplanten Windpark war ein Rückschlag für die Staatsregierung. Anschließend gab es internen Streit, wer für das Votum verantwortlich ist. Die CSU warf Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) vor, lieber an zahlreichen Bauerndemos teilgenommen zu haben, statt sich vor Ort um das Projekt zu kümmern. Aiwanger wies die Kritik zurück: Bis vor kurzem sei noch CSU-Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber für die Windanlagen in den Staatsforsten zuständig gewesen.

Es war nicht das einzige Mal, dass Regierungsmitglieder der beiden Parteien in den ersten 100 Tagen öffentlich über Kreuz lagen: Digitalminister Fabian Mehring (FW) und Finanzminister Albert Füracker (CSU) stritten sich über die Zukunft von Faxgeräten. Und als Kultusministerin Anna Stolz (FW) vorschlug, in den Grundschulen zugunsten von Deutsch und Mathe möglicherweise beim Religionsunterricht zu streichen, fuhr ihr der Ministerpräsident selbst in die Parade: "Bei Religion wird nicht gekürzt."

Politikwissenschaftlerin Riedl: "CSU und FW haben eine Zweck-Ehe"

Als CSU und Freie Wähler 2018 erstmals eine Koalition bildeten, ging die Regierungsarbeit lange Zeit reibungs- und geräuschlos vonstatten. In den großen Fragen waren (und sind) sich beide Parteien einig. Während der vergangenen Legislatur war die salopp formulierte Aufteilung in Koch und Kellner klar - doch dann kam der Wahlkampf. Im Rennen um eine ähnliche Klientel gingen sich CSU und Freie Wähler gegenseitig hart an. Gerade FW-Chef Aiwanger scheute keinen Angriff. Zwar rauften sich beide Parteien in den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl schnell und ohne Querschüsse zusammen. Doch in der Regierungsarbeit sieht es nun so aus, als sei den Koalitionären ihre frühere Leichtfüßigkeit fürs Erste abhanden gekommen. Der Umgang miteinander wirkt gereizter, die Entscheidungsprozesse verkrampfter als noch in der Vergangenheit.

"CSU und Freie Wähler haben eine Zweck-Ehe", sagt Jasmin Riedl, Politikwissenschaftlerin an der Universität der Bundeswehr in München. Schon in der vergangenen Legislatur hätten sich mit Beginn der Covid-Pandemie und den unterschiedlichen Positionen von Söder und Aiwanger sukzessive immer mehr Gräben aufgetan, "die eben nicht mehr mit der programmatischen Ähnlichkeit so gut zugeschüttet werden konnten", sagt Riedl. Das sei nun erneut deutlicher zu sehen. Außerdem spiele laut Riedl auch die anstehende Europawahl eine Rolle: "Die CSU hat Sorge, dass ihr durch die Freien Wähler Stimmen weggenommen werden." Vor diesem Hintergrund sei beiden Parteien auch in einer gemeinsamen Regierung daran gelegen, das eigene Profil zu schärfen, so die Politikwissenschaftlerin.

FW-Fraktionschef: "Das ist ein Gewöhnungsprozess bei der CSU"

Aktuell würden die Grenzen ausgetestet, sagt Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler. Die CSU habe ein starkes Selbstbewusstsein, müsse nun aber zum zweiten Mal hintereinander mit demselben Koalitionspartner regieren. Eine Premiere in der bayerischen Geschichte: "Das ist ein Gewöhnungsprozess bei der CSU, dass die sehen: Wir sind nicht mehr allein, und der Partner ist jetzt auch erwachsen geworden." Es gebe "hie und da kleine Scharmützel, wo die Kräfte gemessen werden". So soll es jedoch nicht bleiben. "Man wird jetzt nicht fünf Jahre der Harmonie ausrufen, aber man wird vernünftig und gut zusammenarbeiten", so Streibl, darin sei er sich mit CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek einig.

"Kampfhähne Söder und Aiwanger": Opposition kritisiert Streit

Der Blick der Opposition auf den Start des neuen Kabinetts fällt negativ aus. "Statt zu regieren, zerlegt sich diese Koalition im Dauerstreit zwischen den beiden Kampfhähnen Söder und Aiwanger", schreibt die AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner in einem Statement. Wie illegale Einwanderung und "die Zerstörung unserer wirtschaftlichen Substanz" gestoppt und eine langfristig verlässliche Energieversorgung gewährleistet werden soll - darauf hätten CSU und Freie Wähler keine Antwort, so Ebner-Steiner.

"Die haben schon die letzten fünf Jahre nichts auf die Reihe gekriegt", sagt der Vorsitzende der SPD-Fraktion Florian von Brunn. Die Staatsregierung habe sich nicht um bezahlbare Wohnungen, Windkraftausbau, die versprochene finanzielle Unterstützung für Krankenhäuser im ländlichen Raum oder ein barrierefreies Bayern gekümmert. Die Stammstrecke werde immer teurer und nun gebe es täglich Streit in der Koalition. "Das ist für Bayern wirklich nicht von Vorteil", so von Brunn.

Grüne loben gemeinsamen Antrag gegen Rechtsextremismus

Es seien "deutliche Risse" zwischen CSU und Freien Wählern zu spüren, sagt Johannes Becher, stellvertretender Fraktionschef der Grünen. Das Windparkprojekt in Mehring habe die Staatsregierung "völlig frei laufen lassen und sich nicht darum gekümmert", das Prestigeprojekt drohe zu scheitern. Es sei grundsätzlich richtig, in Forschung und Entwicklung zu investieren, sagt Becher. Er wundere sich jedoch, dass sich nicht um fehlende Kitaplätze und die Unterfinanzierung der frühkindlichen Bildung gekümmert werde.

Zum Start der neuen Legislatur lobt Becher den Dringlichkeitsantrag gegen Rechtsextremismus, den die Fraktionen von CSU, Freien Wählern, Grünen und SPD gemeinsam Ende Januar ins Parlament eingebracht hatten. "Das war ein starkes Zeichen", so Becher. Er wünsche sich, dass die Zeit des wechselseitigen Schuldzuweisens vorbei sei. Man müsse die Probleme der Menschen in konstruktiver Arbeit in der Staatsregierung und im Landtag lösen: "Das passiert bislang insgesamt viel zu wenig."

Bremst ein grundsätzlicher Konflikt die Staatsregierung aus?

Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl sieht für die Zukunft das Risiko, dass sich die Staatsregierung zu sehr mit sich selbst befasst. Programmatisch werde man sich zwischen CSU und Freien Wählern trotz einzelner Profilierungsversuche im Zweifel einigen. Ein größeres Problem seien aber die seit Monaten durchscheinenden Konflikte zwischen vornehmlich Söder und Aiwanger. "Das ist etwas, wo es um den grundsätzlichen Politikstil geht", sagt Riedl. "Wie versteht man Regierungsverantwortung? Was ist das angemessene Verhalten für ein Regierungsmitglied? Wie staatsmännisch muss es sein? Wie parteipolitisch oder polternd darf es sei?" Sie sieht die Gefahr, dass dieser Konflikt die Arbeit der Staatsregierung immer wieder dominieren oder auch ausbremsen könnte.

In ihrer Weihnachtsansprache hatte Ilse Aigner übrigens noch eine Botschaft für das neue Jahr: "2024 muss ein Jahr der Annäherung werden." In der Gesellschaft gebe es zu viel Spott und Herabwürdigung - ein Feuer, angeheizt von Menschen, die die Demokratie schwächen wollten, sagte Aigner. Ohne sie direkt anzusprechen, ging dieser Vorwurf klar in Richtung der AfD. Losgelöst davon könnte der Wunsch nach mehr Annäherung aktuell auch für CSU und Freie Wähler in der Staatsregierung gelten.

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