Todesanzeigen von jungen Menschen, von Sportlern und Sportlerinnen oder Prominenten: Sie werden von Impfgegnern häufig für ihre Agenda genutzt.
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Todesanzeigen von jungen Menschen, von Sportlern und Sportlerinnen oder Prominenten: Sie werden von Impfgegnern häufig für ihre Agenda genutzt.

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#Faktenfuchs: Wie Impfgegner Todesfälle instrumentalisieren

Im Internet sammeln Impfgegner Todesfälle, die sie auf die Corona-Impfung zurückführen - ohne Belege. Eine Analyse von mehr als 33.000 Posts unter #plötzlichundunerwartet zeigt: Dieses Spiel mit menschlichen Grundängsten wird künstlich befeuert.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht's :

  • Seit Beginn der Impfkampagne sammeln Impfgegner und -gegnerinnen Todesfälle, die angeblich "plötzlich und unerwartet" aufgetreten seien.
  • Sie behaupten, dass diese in Wahrheit auf die Corona-Impfung zurückzuführen seien. Dafür gibt es keine Belege. Statistiken zeigen, dass die Zahl "plötzlicher" Todesfälle in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken ist.
  • Die Wirkweise sozialer Netzwerke kann das subjektive Gefühl verstärken, die Zahl solcher Todesfälle sei gestiegen. Wer sich für solche Todesfälle interessiert, bekommt durch Algorithmen immer mehr davon angezeigt.

Nahezu jeden Tag findet sich der Hashtag #plötzlichundunerwartet auf Twitter. Die Behauptung: Viele Todesfälle, die "plötzlich und unerwartet" erscheinen könnten, seien eigentlich auf die Covid-19-Impfung zurückzuführen. Dafür gibt es keine Belege. Dennoch verbreitet sich der Hashtag - wie an einem Freitag Ende Januar 2023. Ein User teilt Todesmeldungen aus der "Bild" und schreibt dazu: "Drei Meldungen von heute. Und auch wenn man natürlich vorsichtig sein muss & nicht jeden #ploetzlichundunerwartet Todesfall als Folge der Covid-Impfung einordnen sollte: es gibt mittlerweile mehr als genug Warnhinweise, um sämtliche Empfehlungen für diese Impfung aufzuheben."

Warum der User diese Todesfälle in einen – wie sich zeigen wird – falschen Zusammenhang mit der Impfung stellt, schreibt er nicht. Belege hat er dafür keine. Ein anderes Profil teilt eine Todesmeldung aus den USA und kommentiert: "Die 6-jährige Anastasia Marie Weaver starb #ploetzlichundunerwartet in ihrem Haus. Ihr Vater fand sie tot in ihrem Bett. Ihre Mutter ist Krankenschwester und hat auf Facebook für die [Impfung] geworben. Anastasia hat laut Social Media der Mutter mindestens zwei Schüsse [gemeint sind offenbar Spritzen mit Impfdosen, eine schiefe Übersetzung des engl. "shots", Anm. d. Red.] erhalten."

Neu ist all das nicht. Seit Ende 2020 die ersten Impfdosen gegen Covid-19 verabreicht wurden, gibt es Ängste und Falschbehauptungen rund um angeblich nicht öffentlich gemachte Impfnebenwirkungen. Impfgegner befürchteten schon früh, dass es bald eine starke Zunahme von Todesfällen geben werde. Als dieser befürchtete Anstieg der Zahl an Impftoten nicht eintrat, begannen manche Impfgegner und -gegnerinnen stattdessen, andere Todesfälle zu Impftoten "umzudeklarieren".

  • Warum die EMA-Datenbank keine bestätigten Impf-Nebenwirkungen zeigt, können Sie hier nachlesen.

Ab dem Sommer 2021, als die Impfkampagne etwa ein halbes Jahr alt war, wurden solche Behauptungen oft unter einem bestimmten Schlagwort verbreitet: #plötzlichundunerwartet. Auf Twitter und Telegram werden Fotos und Todesanzeigen von Verstorbenen mit diesem Hashtag geteilt – oft sind es junge Menschen, Sportler und Sportlerinnen oder Prominente, die gestorben sind. Mit dem Hashtag wird ein Zusammenhang zur Corona-Impfung hergestellt.

Die Behauptung, die dabei immer mitschwingt und oft auch explizit geäußert wird: Dass es seit Beginn der Impfkampagne einen auffälligen Anstieg bei "plötzlichen und unerwarteten" Todesfällen gegeben habe. Das Gegenteil ist richtig, wie der #Faktenfuchs recherchiert hat (dazu gleich mehr). Doch nicht immer wird der angebliche Zusammenhang ausformuliert. Denn der Hashtag ist unter Impfgegnern und -gegnerinnen längst zu einer Chiffre geworden: Sie verstehen den Verweis auf die vermeintlich tödliche Impfung auch ohne Erklärung. Die Impfgegner implizieren, dass Todesfälle als "plötzlich und unerwartet" oder mit anderen Todesursachen abgetan würden - während sie durch die Impfung verursacht seien. Oft also ist der Hashtag ironisch gemeint, weil aus Sicht der Impfgegner der Tod eben gerade nicht "unerwartet" war.

Doch wer nutzt den Hashtag? Zu welchen Anlässen? Und was ist das Ziel? Der #Faktenfuchs hat mehr als 30.000 Tweets und rund 3.400 Telegram-Nachrichten analysiert, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Zunächst zu den tatsächlich registrierten Todesfällen nach einer Covid-19-Impfung: Gab es hier einen besorgniserregenden Anstieg?

Wie viele Menschen starben an den Folgen der Impfung?

Im Jahr 2021 starben in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts (DESTATIS) mehr als eine Million Menschen.

Schauen wir zunächst auf jene Fälle, die mit einer Covid-19-Impfung zusammenhängen: Bei 218 von ihnen trugen Ärzte oder Ärztinnen laut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes auf dem Totenschein als Todesursache Nebenwirkungen einer Corona-Impfung ein. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland knapp 154 Millionen Impfungen verabreicht.

Mit dem Hashtag #plötzlichundunerwartet beziehen sich die Impfgegner aber auf eine deutlich größere Menge an vermeintlichen Opfern. In fast allen Fällen, in denen der Hashtag #plötzlichundunerwartet verwendet wird, ist der Zusammenhang von Todesfall und Impfung eine bloße Behauptung. Es geht darum, zu suggerieren, dass die offizielle Zahl der Impftoten zu niedrig angegeben sein könnte, weil die "wahren Impftoten" verschwiegen oder nicht erkannt würden. In mehreren Fällen haben die Hinterbliebenen einer solchen Vermutung explizit widersprochen.

Hinzu kommt: Dass einige Menschen kurz nach einer Impfung aus anderen Gründen versterben, ist rein statistisch betrachtet normal. Das hat auch Deutschlands oberste Impfstoffbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut, immer wieder erklärt. Denn wenn sehr viele sehr alte Menschen oder Menschen mit schweren Vorerkrankungen geimpft werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass einige von ihnen kurz darauf versterben - ohne, dass der Todesfall deshalb kausal mit der Impfung zusammenhängt.

Plötzliche Todesfälle werden tendenziell weniger

Auch wenn man sich die Gesamtzahl der Todesfälle und deren Ursachen für das Jahr 2021 ansieht, lässt sich kein drastischer Anstieg von "überraschenden" Todesfällen nachweisen. Einer Auswertung des Statistischen Bundesamts zufolge hat die Anzahl der Todesfälle, die als "plötzlich" wahrgenommen werden könnten, in den letzten Jahren sogar kontinuierlich abgenommen.

Eine Auswertung des wissenschaftlichen Instituts der AOK-Krankenkasse, die dem #Faktenfuchs vorliegt, belegt ebenfalls, dass der Anteil der verstorbenen AOK-Versicherten mit den Diagnosecodes R96 und R99, die bei einem plötzlichen Todesfall vergeben werden, von Jahr zu Jahr kleiner wird. Einen sprunghaften Anstieg im Jahr 2021 gab es auch hier nicht.

Formulierung "plötzlich und unerwartet" sagt nicht unbedingt etwas über die Todesursache aus

Fragwürdig ist die Kampagne auch deshalb, weil der Hashtag #plötzlichundunerwartet eine Formulierung als verdächtig darstellt, die auch schon vor der Pandemie in Todesanzeigen verwendet wurde. Das bestätigt etwa Emily Maichle, Bestattermeisterin aus Geislingen in Baden-Württemberg. Sie hat nicht den Eindruck, dass diese Formulierung seit 2021 häufiger verwendet wird.

Ohnehin sagt die Formulierung an sich wenig über die tatsächliche Todesursache aus. Sie ist keine medizinische Diagnose. Und, so Maichle, viele Angehörige verwendeten sie allein deshalb, um ihrer besonderen Betroffenheit Ausdruck zu verleihen – auch dann, wenn der Tod aus Sicht Außenstehender gar nicht besonders unerwartet eintrat: "Es gibt auch Menschen, die für ihr Alter sehr fit sind, körperlich und geistig. Die Angehörigen empfinden den Tod in dem Moment dann als plötzlich und unerwartet – auch wenn die Person über 90 Jahre alt war."

Die Todesanzeige erscheine zudem meist in einer Phase, in der die Angehörigen noch in tiefer Trauer seien. Statt sich ihrer Trauer widmen zu können, müssen manche Hinterbliebene nun auf Social-Media-Gerüchte reagieren.

Die Hashtag-Kampagne #plötzlichundunerwartet

Um besser zu verstehen, wer den Hashtag #plötzlichundunerwartet mit welchen Motiven und zu welchen Anlässen verbreitet, hat der #Faktenfuchs mehr als 30.000 Tweets ausgewertet, die diesen Hashtag enthalten. Zusammen mit CEMAS, dem Center für Monitoring, Analyse und Strategie, das Echtzeit-Analysen zu Social-Media-Trends erstellt, hat der #Faktenfuchs zudem untersucht, wann und wie sich diese Formulierung auf Telegram verbreitete.

Die langsamen Anfänge: vom ersten Tweet zum ersten Peak

Der erste Tweet, der einen vermeintlich plötzlichen und unerwarteten Todesfall in Zusammenhang mit der Corona-Impfung bringt, wurde am 19. Juni 2021 abgesetzt. Der Autor des Tweets zitiert darin einen Artikel zum Tod des Synchronsprechers und Schauspielers Michael Deffert, der wenige Tage zuvor in einem Berliner Krankenhaus verstorben war.

Im selben Tweet markiert der User reichweitenstarke Accounts wie die des rechtspopulistischen Bloggers Boris Reitschuster, des Corona-Verharmlosers Stefan Homburg und des Verschwörungsideologen Ken Jebsen, die schon zuvor mit der Verbreitung von Corona-Desinformation aufgefallen sind. Der erste Tweet erhält kaum Likes oder Retweets. Trotzdem postet der User in den darauffolgenden Tagen immer wieder unter dem Hashtag #plötzlichundunerwartet. Bis zum Ende des Auswertungszeitraums im Januar 2023 – also binnen 20 Monaten – wird er insgesamt mehr als 90 Tweets mit dem Schlagwort abgesetzt haben.

Ab dem Herbst 2021 landet der Hashtag immer wieder in den Twitter-Trends

Im Herbst 2021 nimmt die Verbreitung des Hashtags allmählich Fahrt auf. Ab September 2021 erscheinen auf Twitter täglich Posts, die #plötzlichundunerwartet verwenden. In die Twitter-Trends schafft der Hashtag es zum ersten Mal am 24. Oktober 2021 - offenbar weil der Fußball-Nationalspieler Joshua Kimmich am Tag zuvor öffentlich gemacht hatte, dass er bis damals nicht gegen das Corona-Virus geimpft war. Insgesamt werden am 24.10.2021 und dem darauffolgenden Tag mindestens 1.463 Tweets mit dem Hashtag #plötzlichundunerwartet abgesetzt. Einen Zusammenhang zwischen Kimmichs Entscheidung und #plötzlichundunerwartet konstruierten die Impfgegner schnell: Der Fußball-Spieler lasse sich nicht impfen, weil er nicht wie andere Hochleistungs-Sportler "plötzlich und unerwartet" zusammenbrechen wolle.

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Auf Twitter spekulieren Nutzer über den Grund, warum sich Fußball-Nationalspieler Joshua Kimmich zunächst nicht impfen lassen wollte.

Auch in bekannten Telegram-Kanälen der Querdenken-Szene mehren sich zu diesem Zeitpunkt Nachrichten mit dem Hashtag #plötzlichundunerwartet. Prominente Querdenker rufen explizit dazu auf, den Hashtag weiter zu verbreiten. Fast täglich erscheinen nun Nachrichten mit dieser Formulierung auf verschiedenen Kanälen.

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In einem Telegram-Kanal wird dazu aufgerufen, den Hashtag #plötzlichundunerwartet auf Twitter weiter zu verbreiten.

Von nun an landet der Hashtag immer wieder in den Twitter-Trends: etwa im Januar, im April und zuletzt im Dezember 2022 – diesmal sogar auf dem ersten Platz. Immer wieder gelingt es den Impfgegnern, vermeintlich "plötzliche und unerwartete" Todesfälle zum Thema zu machen. Besonders weit verbreitet sich der Hashtag immer dann, wenn kurz zuvor prominente Personen gestorben sind – und sie #plötzlichundunerwartet nun im Zusammenhang mit deren Todesmeldungen platzieren können. Wie etwa am 9. April 2022: Einen Tag zuvor ist der Schauspieler Uwe Bohm an einem Herzversagen gestorben. Die impfkritische Twitter-Community vermutet auch hier eine Impffolge.

Das Ziel der Kampagne? Die eigene Anti-Impf-Agenda voranzutreiben

Josef Holnburger, Experte für Verschwörungstheorien und Daten-Analyst beim CEMAS, der für den #Faktenfuchs die Telegram-Auswertung gemacht hat, sieht im Vorgehen der Impfgegner eine bewusste Strategie: "Das politische Interesse ist bei dieser Aktion schon sehr deutlich: Man will die Impfung mit Todesfällen in Verbindung bringen, bei denen die Todesursache völlig unklar ist – insofern darf man zurecht von einer Instrumentalisierung sprechen." Einige Impfgegner sammelten gezielt entsprechende Todesfälle, so Holnburger.

Hintergründig spiele aber gerade bei Menschen, die nicht dem harten verschwörungsideologischen Spektrum angehören, womöglich auch noch ein anderes Bedürfnis eine Rolle, sagt Holnburger: Viele Impfgegner hätten eindringlich vor der Impfung gewarnt. Als der von ihnen vorhergesagte Anstieg bei den Todesfällen ausblieb, mussten sie andere Erklärungen finden, um ihr Weltbild aufrechterhalten zu können: "Und da sieht man auch Muster, wo keine sind", so der Verschwörungstheorie-Experte.

Die Psychologin Lotte Pummerer, die zur Psychologie von Verschwörungstheoretikern forscht, nennt diese Neigung einen "Confirmation Bias" (auf Deutsch: Bestätigungsfehler): "Das ist die Tendenz, Informationen zu suchen und auch zu interpretieren, die uns und unsere vorherige Meinung bestärken." Selbst dann, wenn alle Fakten gegen sie sprechen: In manchen Fällen gingen die Impfskeptiker so weit, sogar die Erklärungen der Hinterbliebenen anzuzweifeln, sagt Josef Holnburger. Wenn diese erklärten, der Tote sei bei einem Autounfall gestorben, folgerten manche, auch dieser sei eigentlich durch die Impfung ausgelöst worden – etwa durch einen Herzstillstand.

AfD-Pressekonferenz sorgt für Höhepunkt der Verbreitung

Ihren bisherigen Höhepunkt erreicht die Twitter-Kampagne im Dezember 2022. Der Grund: Die AfD-Bundestagsfraktion hatte für den 12. Dezember eine Pressekonferenz angekündigt, in der sie einen angeblich sprunghaften Anstieg bei plötzlichen Todesfällen nachweisen will. Auf Telegram bewerben auch prominente Impfgegner und "Querdenker" wie Markus Haintz die AfD-Veranstaltung. Sie nutzen dabei immer wieder gezielt den Hashtag #plötzlichundunerwartet. Als dieser es kurz darauf in die Twitter-Trends schafft, ist die Freude in den einschlägigen Chats groß.

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In einem Telegram-Kanal wird dazu aufgerufen, die AfD-Pressekonferenz zu verbreiten.

Die Krux an der Sache: Die Pressekonferenz, in der die angeblich "verheerenden" Zahlen vorgestellt werden, erweist sich für die Impfgegner als Reinfall. Denn die Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), mit denen die AfD einen starken Anstieg bei den plötzlichen Todesfällen belegen will, belegen eben diesen nicht. Das Forschungsinstitut der KBV widerspricht der AfD-Interpretation einen Tag später: Eine eigene Auswertung habe ergeben, dass es "keine Auffälligkeiten" bei den von der AfD angeforderten Daten gebe.

Zumindest Markus Haintz teilt auch diese Korrektur mit seinen Followern. Nur: Erledigt hat sich das Thema damit für ihn nicht. Er stellt es als einen Streitfall zwischen dem Datenanalytiker der AfD und dem Forschungsinstitut der KBV dar. Und: Noch im Januar 2023 postet er in seinem Kanal Hinweise auf geimpfte Top-Sportler, die plötzlich zusammenbrachen. Der Hashtag dazu: #plötzlichundunerwartet.

Twitter-Accounts und Kurznachrichten mit der meisten Reichweite

Auch dazu, wie es den Betreibern der Kampagne gelingt, immer wieder so viel Reichweite zu erzielen, liefern die Twitter-Daten Informationen. Entscheidend scheint die Mischung zu sein: Unter #plötzlichundunerwartet twittern zum einen viele Accounts, die wenig Reichweite haben, aber dafür sehr häufig posten. Zum anderen springen auch einige bekannte Querdenker auf das Thema auf, die zwar insgesamt weniger posten, aber mit jedem Post sehr viel Reichweite generieren.

In Zahlen: Etwa zwölf Prozent der Posts mit dem Hashtag stammen von denselben zehn Personen. An der Spitze steht ein Account, bei dem es sich nach eigenen Angaben um einen deutschen Impfgegner handelt, der sich aktuell in Mexiko aufhält. Der Account veröffentlichte insgesamt 885 Tweets mit dem Hashtag – auch auf YouTube und Instagram ist er aktiv. Seine 885 Postings wurden mehr als 10.000 Mal geliked und knapp 9.000 Mal retweetet.

Nur der Anwalt und Querdenken-Aktivist Markus Haintz erreicht noch mehr Menschen – bei zugleich viel weniger Posts. Seine insgesamt 49 Postings mit dem Hashtag bekamen insgesamt knapp 40.000 Likes und wurden knapp 12.000 Mal retweetet. Auf Platz drei, vier und fünf liegen der bekannte Corona-Verharmloser und Finanzwissenschaftler Stefan Homburg, ein bayerischer AfD-Politiker und die TV-Moderatorin Milena Preradovic, die ebenfalls Falschbehauptungen zu Covid-19 verbreitete.

Warum können sich die Falschmeldungen so weit verbreiten?

Was auch auffällt: Ab einem gewissen Zeitpunkt beginnen die Impfgegner gezielt, Todesfälle zu sammeln. Auf Social Media und auf Webseiten werden lange Listen angelegt, in denen sie vermeintlich auffällige Todesanzeigen zusammentragen. So entsteht der falsche Eindruck, diese Todesfälle hätten seit Beginn der Impfkampagne auffällig zugenommen.

Die Psychologin Lotte Pummerer glaubt nicht, dass dahinter immer böser Wille stecken muss. Viele Menschen seien verunsichert in Bezug auf die Corona-Impfungen. Es sei ein natürlicher Mechanismus, in einem solchen Fall "andere schützen zu wollen". Das Problem liege eher darin, welche Informationen Menschen heranziehen, um das Risiko einer Entscheidung zu bewerten: "Wir versuchen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses abzuschätzen, indem wir durchgehen, wie oft das Ereignis in letzter Zeit vorgekommen ist", so Pummerer.

Diese - ohnehin subjektive - Risikoabschätzung werde nun durch die Mechanismen sozialer Medien noch weiter verzerrt, sagt Pummerer: "Wenn der Algorithmus merkt, ich interessiere mich für diese Todesfälle, dann spielt er mir vielleicht auch häufiger solche Todesfälle in die Timeline. Intuitiv denke ich, dass die Todesfälle gestiegen sind, weil ich mich schneller an einen Fall erinnern kann."

Ganz oben auf der erwähnten Webseite, auf der Impfgegner seit Beginn der Impfkampagne "plötzliche und unerwartete" Todesfälle sammeln, haben die Verfasser einen Hinweis gesetzt: “Ob die gelisteten Fälle in unserer Datenbank im Vergleich zu den Jahren vor 2021 zugenommen haben, können nur Behörden und Statistiker objektiv feststellen. Wir fordern daher die zuständigen Behörden im Sinne der Gesundheit der Bevölkerung zu einer Untersuchung der statistischen Entwicklung auf.”

Die Daten gibt es längst.

Fazit: Impfgegner sammeln unter dem Hashtag #plötzlichundunerwartet vermeintlich auffällige Todesfälle und suggerieren, dass die Menschen an einer Corona-Impfung verstorben seien. Dafür liefern sie aber keine Belege. Die Behauptung, dass es seit Beginn der Impfkampagne viel mehr plötzliche und unerwartete Todesfälle gebe, ist falsch: Die Anzahl der Todesfälle, die im Rahmen der Todesursachenstatistik als "plötzlich" oder "unerwartet" gelten könnten, nimmt seit Jahren insgesamt ab. Auch eine Auswertung des wissenschaftlichen Instituts der AOK belegt, dass der Anteil an AOK-Versicherten mit einer unklaren Todesursache immer kleiner wird.

Einige Impfgegnerinnen und –gegner sagten schon zu Beginn der Impfkampagne eine stark steigende Zahl von Impftoten voraus. Da dieser drastische Anstieg nie eintraf, versuchen Akteure mithilfe der Hashtag-Kampagne nun offenbar, andere Todesfälle zu Impftoten "umzudeklarieren".

Wissenschaftler vermuten, dass in diesem Zusammenhang auch der "Confirmation Bias" eine Rolle spielt: Wer nach bestimmten Informationen sucht, findet auch mehr davon - und sieht sich in seiner Wahrnehmung bestärkt. Diese Verzerrung wird durch die Wirkweise von Sozialen Netzwerken noch verstärkt: Wer sich für solche Todesfälle interessiert, bekommt durch Algorithmen noch mehr davon angezeigt.

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