Noch nicht in Betrieb sind diese Lagercontainer für Wasserstoff im Industriepark Höchst.
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Noch nicht in Betrieb sind diese Lagercontainer für Wasserstoff im Industriepark Höchst.

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Energiesicher trotz Klimaschutz: So könnte es gehen

Geht es um das Thema Energie, ist Unabhängigkeit das Schlagwort der Stunde - und zwar von Russland, aber auch von konventionellen Energiequellen. Doch ist beides machbar? Ist klimafreundliche Energie vereinbar mit sicherer Energieversorgung?

Erneuerbare Energien bieten zunächst einmal das Potenzial für mehr Energiesicherheit. Denn sie machen Deutschland unabhängig von sich erschöpfenden fossilen Energiequellen und mindern daher auch politische Erpressungsmöglichkeiten vonseiten der jeweiligen Rohstofflieferanten. Die deutsche Abhängigkeit von russischem Erdgas macht das deutlich: Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wurde Erdgas nicht nur politisch fragwürdig, derzeit liefert Russland den Rohstoff gar nicht mehr nach Deutschland. Die Ostseepipeline Nord Stream 1 wird gewartet und es ist nicht klar, ob diese wieder in Betrieb genommen wird.

Institut für Wirtschaftsforschung: Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien

Dass in Deutschland energiesicher auf eine Versorgung mit 100 Prozent Erneuerbare umgestellt werden kann, zu dieser Einschätzung kam 2021 ein Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Dabei binden die Autorinnen und Autoren Deutschland in ihrem Modell in die europäische Energieinfrastruktur ein: Im Süden solle Photovoltaik dominieren, im Norden Windenergie. Um Flexibilität zu gewährleisten, müssen in allen Regionen anteilig Batteriespeicher, Elektrolyseure (zur Wasserstoffherstellung) und Wasserstoffturbinen installiert werden. Das Gasnetz könne durch zusätzliche Investitionen für den Transport von Wasserstoff genutzt werden.

In diesem Verbundsystem wäre laut der Modellierung Versorgungssicherheit gewährleistet - auch bei möglichen Dunkelflauten, also wenn weder Sonne scheint, noch Wind weht. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW und Co-Autorin des Berichts, sagt dazu: "Das Ausbautempo muss stark gesteigert werden, sowohl bei der Windenergie als auch bei der Solarenergie. Für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien müssen wir die Rahmenbedingungen für alle Sektoren schaffen, nicht nur für Strom, sondern auch für Wärme und Mobilität. Dann könnte es sehr schnell gehen."

Energiesicherheit durch Regenerative: Viele Maßnahmen stehen noch aus

Auch ein Impulspapier der Denkfabrik Agora Energiewende kommt zu dem Schluss, dass ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien nachhaltig Energiesicherheit gewährleisten kann. Dafür gibt es aber noch einiges zu tun: Der Thinktank fordert unter anderem schnellere Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen auf dem Festland, mehr Flächen für Solarparks und eine Offensive bei Gebäudesanierungen.

Darüber hinaus brauche es ein schnelles Einbauverbot von fossilen Heizungen in Neubauten und eine Trendwende beim Endenergieverbrauch - in den Haushalten, aber auch in der Industrie und im Gewerbe. Da Deutschland auf lange Sicht trotzdem weiter auf Energieimporte angewiesen sein werde, müsse eine Strategie entwickelt werden, die die Sicherung von nachhaltigen Importen, zum Beispiel von Wasserstoff aus Norwegen, ermögliche.

Deutschland: Nur 20 Prozent aus klimafreundlichen Energiequellen

Langfristig scheint Klimaschutz und Energiesicherheit also vereinbar. Das Problem: Energieunabhängig durch Erneuerbare ist Deutschland heute noch nicht. 2021 stammten knappe 20 Prozent des Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien. 2011 lag der Wert noch bei circa 12 Prozent. In den vergangenen Jahren fand hier also durchaus eine Zunahme statt. Das betrifft jedoch nicht jeden Sektor. So hat sich im Bereich Wärme zuletzt nicht so viel getan: Hier werden nur 16,5 Prozent aus klimafreundlichen Energiequellen zugeführt. Geheizt wird also nach wie vor in der Hauptsache mit als Brückentechnologie gedachtem Erdgas.

Verhältnismäßig gut schneidet der Sektor Strom ab. Dieser wird in Deutschland mittlerweile zu mehr als 40 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt. Doch auch hier wird bei den gegenwärtigen Kraftwerkskapazitäten Gas als Energieträger zu Spitzenlastzeiten benötigt. Und momentan gebe es kurzfristig kaum Alternativen, sagt Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden: "Langfristig sehe ich hier die Vision eines grünen Wasserstoffs. Heute ist das aber lange noch nicht wirtschaftlich."

Notlage: Kohle statt Klimaschutz?

In der kritischen Lage aktuell bleibt Deutschland nur zusätzliche Kohle- oder Kernenergie. Und da einige Kohlekapazitäten mit dem Ausstieg in den letzten Jahren in die Netzreserve überführt wurden, setzt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beim Strom auf Kohlekraftwerke. Der Gasverbrauch in der Stromerzeugung kann so weiter reduziert und eventuelle Notstände kompensiert werden - auf Kosten der CO2-Bilanz. Das Ziel, den Kohleausstieg in Deutschland bis 2030 zu vollenden, bleibe jedoch bestehen, so die Bundesregierung.

Insgesamt zeigt sich: Der Weg in Richtung erneuerbare Energien ist einer, der Klimaschutz und Energiesicherheit vereinen kann. Klar ist aber auch, dass noch viel passieren muss, damit Energieunabhängigkeit nicht nur ein leerer Slogan bleibt.

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