Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor.
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Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor.

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Pflege wird teurer: Viele Betroffene brauchen Sozialhilfe

Bis zu 1.000 Euro mehr fürs Heim: Die Schreiben, die dieser Tage vielen Pflegebedürftigen ins Haus flattern, haben es in sich. Doch bei der Pflege stehen Betroffene ebenso wie Dienste mit dem Rücken zur Wand. Letzte Rettung ist oft die Sozialhilfe.

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Viele Menschen, die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, bekommen dieser Tage wieder Post. Ambulante Pflegedienste und auch Heime erhöhen ihre monatlichen Gebühren, teilweise um über 1.000 Euro. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Für die Betroffenen bedeutet es häufig, dass sie entweder ihre gebuchten Pflegeleistungen reduzieren - oder dass sie Sozialhilfe beantragen müssen. Beides erhöht mittelfristig die Gefahr großer Abhängigkeiten.

Betroffene aus Weilheim hat schon jetzt nur 250 Euro zum Leben

Im oberbayerischen Weilheim gewährt Regina Edinger Einblick in ihre angespannte finanzielle Lage. Sie ist 74 Jahre alt, auf einen Rollstuhl angewiesen und wohnt in einer behindertengerechten Wohnung. Zweimal täglich kommt ein Pflegedienst. Nach Abzug aller laufenden Kosten bleiben Regina Edinger noch knapp 250 Euro zum Leben, erzählt sie. Die verwende sie vor allem für Nahrungsmittel.

Um über die Runden zu kommen, sei sie ohnehin schon auf kostengünstige Lebensmittel angewiesen und müsse nach Sonderangeboten schauen, so Regina Edinger. Und nun hat ihr Pflegedienst eine Preiserhöhung zwischen 25 und 40 Prozent angekündigt. Das sei einfach Wucher, beschwert sich die Rentnerin, die bislang noch nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist und im Monat rund 700 Euro für ihre Pflege bezahlen muss.

Plötzlich vom Staat abhängig

Wer soll das noch zahlen können, fragt sich Regina Edinger. Von ihrem Pflegedienst habe sie den Ratschlag bekommen, zum Sozialamt zu gehen und Hilfe zur Pflege zu beantragen. Regina Edinger würde diesen Schritt gerne vermeiden. In ihrem Leben war sie noch nie von finanzieller Unterstützung abhängig, sondern trotz ihrer Krankheit immer - wie sie sagt - Einzelkämpferin geblieben. Sie habe stets gearbeitet und ihr eigenes Geld verdient. Jetzt, aufgrund der höheren Pflegekosten, "irgendwo betteln zu müssen", wolle sie nicht. Eine vom gleichen Pflegedienst ambulant versorgte Nachbarin solle nun plötzlich statt 1.000 bis zu 1.400 Euro im Monat aufbringen. Auch diese alte Dame sei verzweifelt.

Preissprünge bei den Pflegekosten bis zu 40 Prozent

Mit bis zu 40 Prozent Preissteigerungen verteuern sich nicht nur ambulante Pflegedienste enorm. Auch die Betreuung in Heimen könnte sich um durchschnittlich 600 bis 800 Euro verteuern. Die Steigerungen müssen in vielen Fällen aber noch von den Pflegekassen und Bezirken abgesegnet werden. Viele Seiten kritisieren die finanzielle Überforderung der zumeist hochbetagten Pflegefälle. Nach Angaben des Bayerischen Bezirkstags sind schon jetzt etwa ein Drittel aller Pflegeheim-Bewohnerinnen und -Bewohner auf soziale Unterstützung angewiesen. Ihr Anteil wird wohl weiter deutlich steigen.

Bis zu 1.000 Euro mehr monatlich im Pflegeheim: Betroffene reagieren erschüttert

So steil ging die Kostenkurve noch nie nach oben. Auch Pflegeheimleiter Roland Decker vom St. Josefs-Heim in München sieht diese Entwicklung kritisch. Aufgrund von Inflation, höheren Personalkosten und neuen gesetzlichen Regelungen bleibe ihm aber nichts anderes übrig, als den Bewohnerinnen und Bewohnern Erhöhungen zwischen 800 und 1.000 Euro monatlich anzukündigen. Hinzu kommen sogenannte Investitionskosten von täglich 4,50 Euro. Macht nochmal fast 140 Euro mehr im Monat.

Viele der betroffenen Seniorinnen und Senioren und ihre Angehörigen hätten erschüttert auf die so plötzlich stark steigenden Preise reagiert, weil sie nicht mehr wüssten, wie sie diese Mehrkosten aus eigener Tasche finanzieren können. Zahlreiche Pflegefälle würden in die Sozialhilfe fallen, weil ihre Ersparnisse aufgebraucht seien, so Roland Decker.

Verlust finanzieller Selbstständigkeit

Sobald die Heimkosten oder ambulanten Dienste ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen, können Pflegebedürftige einen Antrag auf diese Sozialhilfeleistung stellen. Wer sie in Anspruch nehmen muss, verliert weitgehend die finanzielle Selbstständigkeit. Vor allem dann, wenn keinerlei Ersparnisse vorhanden sind. Wer etwas zurücklegen konnte, darf ein sogenanntes Schonvermögen von maximal 10.000 Euro behalten. Auf dieses kann der Staat nicht zugreifen.

Wer von den Leistungen der "Hilfe zur Pflege" abhängig ist, bekommt nach Angaben von Heimleiter Roland Decker nur noch ein Taschengeld. Dieses beträgt rund 160 Euro im Monat. Davon sollen sämtliche privaten Ausgaben bestritten werden: ob Kosten für Kleidung, den Friseur, die Fußpflege, private Café- und Restaurantbesuche, etc., sagt Roland Decker. Mit anderen Worten: Seniorinnen und Senioren, die auf "Hilfe zur Pflege" angewiesen sind, müssen sich sehr stark einschränken.

Bayerischer Bezirksrat fordert Reformen

Der Präsident des Bayerischen Bezirkstags, Franz Löffler, warnt: Es dürfe kein Normalzustand sein, dass pflegebedürftige Menschen im Alter zu Fällen für die Sozialhilfe werden. Die aktuellen Kostensteigerungen überforderten nicht nur die Selbstzahlerinnen und Selbstzahler, sondern auch die Sozialhilfeträger und damit die kommunalen Haushalte.

Damit das nicht zum dauerhaften Problem wird, fordert der Bayerische Bezirkstag eine Reform der Pflegeversicherung. Was konkret bedeutet: Der Eigenanteil an den Kosten der Pflege soll für die Versicherten auf einen fixen Sockelbetrag eingefroren werden. Darüber hinausgehende Pflegekosten müsse die gesetzliche Pflegeversicherung tragen. Das Finanzierungssystem der Pflege als Teilkaskoversicherung biete zu wenig Schutz und den Betroffenen keinen dauerhaften Ausweg aus der Preissteigerungs-Spirale.

Sozialverband VdK fordert mehr Unterstützung für Betroffene

Auch Deutschlands größter Sozialverband VdK fordert den Umbau der Pflegeversicherung in eine Vollversicherung. Das ursprüngliche Ziel der Pflegeversicherung sei gewesen, dass alle, die ein Leben lang gearbeitet und eine durchschnittliche Rente erworben haben, wegen Pflegebedürftigkeit nicht zum Sozialamt gehen müssen. Von diesem Ziel sei man heute weiter entfernt denn je. Nach Angaben des VdK geraten sowohl in Pflegeheimen als auch in der ambulanten Pflege immer mehr Betroffene in finanzielle Nöte. Wobei die überwiegende Mehrheit (rund 80 Prozent) in den eigenen vier Wänden gepflegt werde.

Verena Bentele, Vorsitzende des VdK, fordert: Allein die Kostensteigerungen dürften nie ein Grund sein, dass sich ein Mensch dafür entscheiden muss, zu Hause zu bleiben, statt in ein Pflegeheim zu gehen. Wo Pflege zu Hause noch möglich sei, müsse genügend finanzielle Unterstützung gewährt werden. Derzeit sei das nicht der Fall. Denn während Pflegedienste Preiserhöhungen zwischen 25 und 40 Prozent fordern, würden die Leistungen durch die Pflegekassen erst im kommenden Jahr steigen. Nach derzeitigem Stand um rund fünf Prozent. Die Lücke zwischen tatsächlichen Preissteigerungen und den Leistungen der Pflegeversicherung müssten die Pflegebedürftigen, deren Kinder, Ehegatten oder der Staat bezahlen. Kinder von Pflegebedürftigen werden erst ab Einkommen über 100.000 Euro unterhaltspflichtig.

Pflegeschutzbund empfiehlt Überprüfung der Erhöhungsschreiben

Die Komplexität dieser Vorgänge könnten Verbraucher oft gar nicht begreifen, sagt Markus Sutorius vom Pflegeschutzbund. Also weder die gesundheitlich stark beeinträchtigten Pflegefälle noch deren Angehörige. Man sei auf Gedeih und Verderb auf die Prüfung durch die Pflegekassen angewiesen. Wer von horrenden Entgelterhöhungen betroffen ist, sollte diese juristisch prüfen lassen. Denn weil Bestimmungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes nicht eingehalten würden, sei mehr als die Hälfte der Erhöhungsschreiben rechtlich nicht wirksam, erklärt Sutorius.

Man könne durch Widerspruch gerichtlich dagegen vorgehen oder zumindest einen Aufschub bewirken, denn die Einrichtung müsse dann ein neues, korrigiertes Schreiben schicken. Mit diesem könne frühestens vier Wochen nach Zugang das erhöhte Entgelt verlangt werden. Der Pflegeschutzbund rät: "Zahlen Sie erhöhte Beiträge nur unter Vorbehalt. Denn wenn Sie einfach bezahlen, kann das als Zustimmung zur Erhöhung gewertet werden." Eine Möglichkeit, sich dauerhaft gegen die Kostensteigerungen zu wehren, gebe es jedoch nicht. Die Entgelte würden in Pflegesatz-Verhandlungen mit den Kassen und Sozialhilfeträgern ausgehandelt. Das Ergebnis dieser Verhandlung gelte automatisch als angemessen und könne von den Betroffenen nicht mehr angefochten werden.

Caritas verteidigt Preissteigerungen

Der Caritas Verband für München und Freising gehört bayernweit zu den größten Betreibern von Alten- und Pflegeheimen. Deren Geschäftsleiterin Doris Scheider wirbt um Vertrauen. Sie könne den Aufruhr in den Heimen verstehen und nachvollziehen bei diesen Steigerungen, die die Leute vor der Nase haben. Für ungefähr die Hälfte der insgesamt über 40 Heime seien die Verhandlungen bereits im Sommer gelaufen - mit dem Ergebnis einer monatlichen Preissteigerung um circa 600 Euro. Bei den übrigen Heimen werde nun aus unterschiedlichen Gründen mit rund 800 Euro Mehrkosten kalkuliert.

Solche Beträge seien natürlich enorm und keine einmalige Zahlung, sondern würden fortan jeden Monat fällig. Andererseits seien die Pflegeheime inzwischen derart wirtschaftlich an der Grenze, dass sie nur noch mit Hilfe erheblich höherer Preise überleben könnten, so die Caritas-Leiterin.

Pflegedienste in den roten Zahlen

Wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht nach eigenen Angaben auch der ambulante Pflegedienst, der Regina Edinger in Weilheim ambulant versorgt. Darüber berichtet Claudia Hörbrand als Geschäftsführerin der ökumenischen Sozialstation Oberland. Ihr Betrieb erwirtschafte rote Zahlen, weil die Gebührensteigerungen der vergangenen Jahre nicht die tatsächlichen Kostenentwicklungen berücksichtigt hätten.

Die Finanzierungslücke sei immer größer geworden. Die Caritas, zu der die ökumenische Sozialstation Oberland gehört, sei von der unzureichenden Refinanzierung besonders betroffen, auch weil sie sich für eine vernünftige Bezahlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetze. Das sei in der aktuellen Personalkrise unumgänglich. Im März 2024 würden die Gehälter um weitere 11,6 Prozent angehoben. Hinzu kämen 1.500 Euro Inflationsausgleichsprämie.

Pflegebedürftigen bleiben kaum Alternativen

Über die genauen Preiserhöhungen werden die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen in einem Kostenvoranschlag informiert. Sie könnten dann entscheiden, ob sie die Leistung weiter so möchten oder ob eine Anpassung der Leistungen vorgenommen werden soll. So ließe sich Geld sparen. Konkret bedeutet das, die Pflegezeit müsste reduziert werden. Der Kunde könnte sich dann etwa überlegen, ob er nicht dreimal in der Woche geduscht werden will, sondern vielleicht nur zweimal die Woche, so Geschäftsführerin Claudia Hörbrand. Wer die Kostensteigerungen ablehnt, könne sich auch für einen anderen Anbieter entscheiden. Allerdings sei es zurzeit jedoch kein einfaches Vorhaben, einen Pflegedienst zu finden, der überhaupt neue Kunden aufnimmt.

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