Ein Gaszähler zeigt den Verbrauch eines Mehrfamilienhauses an.
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Gasnetzbetreiber sollen Kunden neuerdings aus kommerziellen Gründen kündigen dürfen,

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Gasnetze stilllegen: Warum Kommunen sich zurückziehen

Gasnetzbetreiber sollen Kunden neuerdings aus kommerziellen Gründen kündigen dürfen, sobald es sich für sie nicht mehr lohnt, ihre alte Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Ein Grund können auch Preisrisiken an den Märkten sein.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

So manchem Gaskunden könnte künftig ein Kündigungsschreiben seines Versorgers ins Haus flattern. Denn, lohnt es sich für Gasnetzbetreiber nicht mehr, ihre alte Infrastruktur aufrechtzuerhalten, sollen sie ihren Kunden künftig kündigen können – aus kommerziellen Gründen. Auch bei Preisrisiken an den Märkten: Bei der Beschaffung von Erdgas für die Privathaushalte zum Beispiel gilt das Kündigungsrecht.

Bisher musste die vorhandene Energieversorgung notfalls auch mit Verlusten weiter aufrechterhalten werden. Das gilt nun für Erdgas nicht mehr, wenn das sogenannte "Green Paper, Transformation Gas/Wasserstoff-Verteilnetze" Wirklichkeit wird, welches das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorgelegt hat.

Gesetzentwurf: Stadtwerke können Gasversorgung einstellen

Jetzt sieht ein Gesetzentwurf des Bundeswirtschafts- und Energieministeriums von Robert Habeck (B90/Die Grünen) vor, dass zum Beispiel Stadtwerke als sogenannte Grundversorger die Gasversorgung auch einstellen können. Eigentlich sind diese Grundversorger verpflichtet, jedem Haushalt und jeder Firma Energie zu marktüblichen Preisen zur Verfügung zu stellen, wenn kein anderer Energieversorger gewählt wurde oder ein Vertrag ausläuft. Weil diese Versorger häufig zu einem Großteil von den Kommunen finanziert werden, spricht man zum Beispiel auch vom "kommunalen" Gasnetz.

Neue Netzanschlüsse könnten laut dem Entwurf aber künftig abgelehnt und alte gekündigt werden, sobald der "wirtschaftliche Betrieb eines Gasversorgungsnetzes nicht mehr gewährleistet ist". Den Zeitraum dafür könnten die Stadtwerke weitgehend selbst festlegen.

Fast die Hälfte aller Haushalte heizt mit Erdgas

Wann und wie Versorger aus ihrem Gasgeschäft aussteigen, ist demnach offen. Als sinnvoller Zeitpunkt wird genannt, wenn Kundinnen und Kunden auf Alternativen wie Fernwärme oder Strom für Wärmepumpen zurückgreifen könnten. Aber das ist auch heute schon häufig der Fall. Bisher war es für die Grundversorger nicht so einfach, ihre kommunalen Erdgasnetze aufzugeben. Das Habeck-Ministerium sieht in der Umsetzung einer entsprechenden EU-Verordnung ein wirksames Mittel, um die Wärmewende zu beschleunigen – an deren Ende das klimaneutrale und CO₂-freie Heizen stehen soll.

Die Hälfte aller Haushalte in Deutschland heizt aktuell nach wie vor mit Erdgas. Geliefert wird das oft über kommunale Gasnetze, also etwa von den Stadtwerken. Dabei ist die Anzahl der Gasanschlüsse kaum gesunken, im Gegenteil. 2023 wurden noch einmal besonders viele neue Gasheizungen verkauft.

Stadtwerke wollen Risiko für Preisschwankungen nicht länger tragen

Lange Zeit war Erdgas ein gutes Geschäft für die Stadtwerke und ihre Kunden, die beide von günstigen Preisen profitierten. Denn sie konnten sich auf langfristige Lieferverträge verlassen, wie etwa mit Russland, den Niederlanden und Norwegen. Doch die Niederlande haben ihre Gasfelder stillgelegt und Russland liefert seit Beginn des Ukraine-Kriegs kein Pipeline-Gas mehr nach Deutschland. Stattdessen wird viel verflüssigtes Erdgas LNG zu schwankenden Preisen per Schiff herangeschafft und eingespeist.

Für die Versorger ist das ein Risiko. So haben sich in der Energiekrise nach dem russischen Lieferstopp viele Stadtwerke zu Rekordpreisen für längere Zeit eingedeckt und machen jetzt Verluste, weil die Marktpreise inzwischen wieder deutlich gefallen sind. Einige Stadtwerke denken schon allein deshalb über einen Rückzug aus dem Gasgeschäft nach und an die Aufgabe ihrer kommunalen Netze.

Augsburg: Fernwärme oder Wärmepumpe statt Erdgas

Wegen der angestrebten Klimaneutralität soll 2045 bundesweit niemand mehr in Deutschland mit Gas heizen dürfen. Die bayerische Staatsregierung strebt die Klimaneutralität sogar schon für 2040 an. Noch viel früher könnten kommunale Gasverteilnetze stillgelegt werden. Die Stadtwerke Augsburg (SWA) als drittgrößter regionaler Grundversorger im Freistaat wollen sogar schon bis 2035 so weit sein und sich weitgehend vom Gas verabschieden. An einige Bestandskunden haben die SWA entsprechende Kündigungen verschickt mit einer Fristsetzung von etwa zehn Jahren für den Gasausstieg.

Immerhin wollen die Stadtwerke in Augsburg und Umgebung ihr kommunales Fernwärmeangebot im Gegenzug verdoppeln und den Anteil ihres Wärmenetzes von derzeit rund 20 Prozent auf 40 Prozent ausbauen. Als Beispiel wird das Augsburger Univiertel genannt, wo viele Haushalte sogar ein Interesse angemeldet hätten, von Gas auf Fernwärme umzusteigen. In vielen anderen Stadtgebieten wird das so allerdings nicht möglich sein, weil neben der alten Gasleitung keine zusätzliche Fernwärme zur Verfügung stehen wird.

Alternativen zum Erdgas aus der Leitung

Überall dort, wo es kein Fernwärmenetz mehr gibt, bieten sich laut Heizungsgesetz Holzpellets oder Strom als alternative Wärmequellen an. Eingeschränkt ist dagegen die weitere Nutzung von Gas- und Ölheizungen, die nach dem Bundesgesetz für die Wärmewende nur noch ein Auslaufmodell sein sollen.

Dennoch kann, wer genug Platz hat, um einen Gastank aufzustellen, noch eine Zeit lang mit herkömmlichem Flüssiggas (oder Autogas genannt, einem Butan-Propan-Gemisch) weiterheizen. In der Regel lassen sich alle alten Gasbrenner mit geringem Aufwand dafür umrüsten.

Kann CO₂-neutrales Flüssiggas die alte Gasheizung retten?

Es gibt sogar Pläne – ähnlich wie beim Biodiesel HVO 100 – Flüssiggas zu einem klimaneutralen Brennstoff zu machen. In der Regel handelt es sich dabei um ein Nebenerzeugnis der Erdgasförderung und Kraftstoffherstellung, das in Raffinerien als Beiprodukt von Benzin und Diesel anfällt. Einige Anbieter werben heute schon mit "klimaneutralem" Propangas (wie Campinggas) in Flaschen oder Flüssiggas zum Heizen.

In der Regel ist aber nicht das Gas selbst klimaneutral hergestellt. Dahinter stecken vielmehr gekaufte Klimaschutzrechte. Es handelt sich also meistens um einen Austausch von gekauften CO₂-Zertifikaten, deren Gegenwert an anderer Stelle eingespart werden muss. Mit solchen Zertifikaten wird in Europa ein schwunghafter Handel betrieben. Einen Teil dieser "Verschmutzungsrechte" hat die EU kostenlos an die Industrie verteilt, die sie für CO₂-intensive Herstellungsverfahren benötigt – wie eben zum Beispiel die Produktion von Flüssiggas.

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