Hinweis auf unterirdische Erdgasleitungen
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Investitionen ins Erdgasnetz lohnen sich nicht mehr, wenn die Leitungen wenig später stillgelegt werden.

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Bayern will klimaneutral werden: Was aus dem Erdgasnetz wird

Wenn Bayern 2040 klimaneutral ist, wie es sein Klimaschutzgesetz vorsieht, bedeutet das, dass ab dann nicht mehr mit Erdgas geheizt werden darf. In den nächsten Jahrzehnten werden Erdgasleitungen deshalb nach und nach stillgelegt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

In Augsburg zum Beispiel ist die Sache schon ziemlich konkret: Kunden der Stadtwerke in bestimmten Vierteln haben schon seit 2020 Briefe bekommen, die ein Ende der Belieferung mit Erdgas in etwa zehn Jahren ankündigen. Verbunden mit dem Angebot, auf Fernwärme umzusteigen. So wird das in den nächsten zwei Jahrzehnten Stück für Stück in fast ganz Bayern kommen, erwartet Michael Sterner, Professor für Energiesysteme in Regensburg. In reinen Wohngebieten sei zu erwarten, dass Erdgasnetze zurückgebaut werden.

Augsburg investiert nicht mehr in Erdgasleitungen

Franz Otillinger ist Geschäftsführer der Netzsparte der Stadtwerke Augsburg (SWA). Ins Erdgasnetz investieren will er möglichst nicht mehr, denn das hält er für Verschwendung: "Das wäre ja irrsinnig, Leitungen zur erneuern, wenn man weiß, dass Bayern per Gesetz 2040 klimaneutral sein muss - und Erdgas ist halt mal nicht klimaneutral."

Die unterirdischen Leitungen halten zwar lange, aber nach 60 bis maximal 80 Jahren müssen sie grundlegend saniert werden – was sich die SWA sparen wollen.

Die Gasheizung bekommt ein Verfallsdatum

Zuerst legen die Augsburger Stadtwerke die Teile ihres Erdgasnetzes still, bei denen parallel bereits Fernwärmeleitungen liegen. Zum Beispiel im Univiertel – dort ist das Ende der Erdgasbelieferung für 2031 angekündigt. Eines der betroffenen Häuser ist ein Block mit Eigentumswohnungen aus den 1970er Jahren, für den Hausverwalter Bernhard Ott verantwortlich ist.

Dass die bestehende Erdgasheizung dadurch sozusagen ein Verfallsdatum bekommen hat, findet er zumutbar. Zumal mit Fernwärme ja eine Alternative zur Verfügung steht, und es zehn Jahre Vorwarnzeit gibt: "Das ist eine ausreichende Zeit aus unserer Sicht - so können wir planen, die Eigentümer mitnehmen und für Finanzierung sorgen." Generell trauern laut den Augsburger Stadtwerken nur wenige Kunden dem Erdgas hinterher, wenn sie es gegen Fernwärme tauschen können. Es gebe weniger Konflikte als ursprünglich erwartet.

Die Wärmeplanung ist schon recht weit

Augsburg hat schon einen ersten Entwurf für die kommunale Wärmeplanung. Bis jetzt kommen 20 Prozent des Heizungsbedarfs der Stadt über Fernwärme, künftig sollen es doppelt so viel sein. Die Stadtwerke haben für das nächste Jahrzehnt durchgeplant, welches Viertel wann Fernwärme bekommen soll.

Über eine Karte im Internet können Kunden prüfen, ob und wann sie die Chance haben, an Fernwärme angeschlossen zu werden. Die Nachfrage ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der anschließenden Energiekrise riesig, so SWA-Netz-Geschäftsführer Otillinger. Die Kommunikation des Unternehmens sei klar: "Wo wir eine ältere Gasleitung liegen haben, sagen wir den Kunden auch ganz ehrlich, dann werden wir in diesem Gebiet auch die Gasleitungen stilllegen."

Mindestens 80 Prozent der Gasleitungen fallen weg

Das betrifft nach und nach den größten Teil des Netzes. Dass bisherige Erdgasanschlüsse künftig im großen Stil auf Wasserstoff umgestellt werden, erwarten die Augsburger Stadtwerke nicht. Der bleibe höchstwahrscheinlich Industrie, Gewerbe und Kraftwerken vorbehalten, auch Wasserstoff-Tankstellen seien realistisch. Dafür brauche man dann aber nur noch zehn bis 20 Prozent der heutigen Erdgasleitungen, und in der Regel nicht die Verästelungen des Netzes bis in einzelne Wohnhäuser.

So bewertet auch Michael Sterner von der OTH Regensburg das Potenzial des Wasserstoffs: Es handle sich um einen sehr wichtigen Pfeiler der Energiewende – aber nicht zum Heizen von Gebäuden: "In der Wärme hat Wasserstoff meines Erachtens keinen Platz, weil er hier mit der ineffizienteste und teuerste Energieträger ist." Eine Wärmepumpe sei um Faktor fünf günstiger und effizienter als mit Wasserstoff zu heizen. Auch Solarenergie und Holz stünden als Alternativen zur Verfügung.

Auch Nahwärmenetze werden kommen

Franz Otillinger von den Stadtwerken Augsburg stellt in Aussicht, dass das kommunale Unternehmen künftig auch jenen Haushalten eine Alternative zu Erdgas anbieten wird, die nicht im Versorgungsgebiet der Fernwärme liegen.

Etwa Nahwärmenetze als Insellösung, die von großen Grundwasser-Wärmepumpen gespeist werden und einen Wohnblock oder ein Reihenhausgebiet versorgen könnten.

Das Erdgasnetz wird zunehmend wertlos

Ihr Erdgasnetz schreiben die Augsburger Stadtwerke wirtschaftlich ab. Dabei gehen sie momentan davon aus, dass nach 2045 kein Erdgas mehr fließt – das Jahr, in dem Deutschland nach dem Klimaschutzgesetz auf Bundesebene klimaneutral sein muss. Das bayerische Klimaschutzgesetz sieht vor, dass der Freistaat sogar fünf Jahre schneller sein soll, bis 2040.

"Wenn wir wissen, dass Bayern da wirklich ernst macht, werden wir in fünf bis sieben Jahren noch einmal eine Sonderabschreibung tätigen," kündigt Otillinger an. Für das Unternehmen werde das verkraftbar sein, zumal man bei den Investitionen in Erdgas schon relativ frühzeitig die Bremse gezogen habe. Das gehe auch auf den Druck des Stadtrats und dessen Beschlüsse zum Klimaschutz zurück.

Neubau droht zur Geldverschwendung zu werden

In anderen Städten sieht das durchaus anders aus. Eine Studie der Denkfabrik Agora Energiewende hatte im April ergeben, dass die Erdgasverteilnetze in ganz Deutschland zwar bereits weitgehend abgeschrieben sind. Ihr kalkulatorischer Restwert liege bei zehn bis 20 Prozent der Neubeschaffungskosten, das entspricht laut der Studie aber immer noch einem Betrag von 20 bis 60 Milliarden Euro.

Noch 2021 seien jedoch für eine Rekordsumme von 1,1 Milliarden Euro neue Erdgasleitungen gebaut worden. Hier müsse schnell gegengesteuert werden, um überflüssige Kosten zu vermeiden.

Verband von Gasunternehmen findet Rückbau falsch

Das sehen freilich nicht alle in der Energiebranche so. "Zukunft Gas", ein Verband von Unternehmen der Gas- und Wasserstoffwirtschaft, findet es falsch, bereits den Rückbau des Gasnetzes zu planen. Solche Überlegungen, die auch aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zu hören seien, würden die realen Gegebenheiten im Wärmemarkt und in der Industrie verkennen.

Das Gas-Verteilnetz stelle ein Potenzial für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft dar. Außerdem bestehe auch im Gasnetz selbst eine bedeutende Möglichkeit zum Speichern von Energie, die künftig noch gebraucht werde.

Im Video: Was aus dem Erdgasnetz wird

Wenn Bayern 2040 klimaneutral sein soll, darf nicht mehr mit Erdgas geheizt werden.
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Wenn Bayern 2040 klimaneutral sein soll, darf nicht mehr mit Erdgas geheizt werden.

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