Hubert Aiwanger bei der BR24 Wahlarena.
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Hubert Aiwanger von den Freien Wählern verglich in der BR24 Wahlarena Mindestlohn und Bürgergeld miteinander

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Bürgergeld oder Mindestlohn: Lohnt es sich zu arbeiten?

Die pauschale Aussage, ein Bürgergeldempfänger hätte monatlich mehr Geld als ein Mindestlohnempfänger in Vollzeit, stimmt laut Berechnungen von Wirtschaftsinstituten nicht. Ein #Faktenfuchs zu Hubert Aiwanger in der BR24 Wahlarena.

Über dieses Thema berichtet: BR-Wahlarena am .

Dieser Text ist Teil des Faktenchecks der BR24 Wahlarena vom 20.09.2023 mit Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und erstmals am 21.09.2023 erschienen. Den Artikel finden Sie hier.

Die Behauptung:

Hubert Aiwanger, Freie Wähler: "Und genauso haben wir ja das Problem, dass der Mindestlohnempfänger mit 12 Euro in der Stunde und 40 Wochenstunden in etwa 2.000 Euro im Monat verdient. 400 Euro Sozialabgaben weg, 150 Euro Steuern weg, da hat er 1.450. Der Bürgergeldempfänger Wohnung und Heizung gratis plus jetzt dann 560 Euro, da hat der Bürgergeldempfänger mehr wie der Mindestlohnempfänger."

Der Kontext:

Aiwanger wurde gefragt, was er dagegen zu tun gedenke, dass Rentner, die noch arbeiten wollten, so stark besteuert würden. Aiwanger fordert daraufhin 2.000 Euro Zuverdienst steuerfrei. Dass ein Rentner aufgrund hoher Abgaben lieber nicht arbeiten würde, vergleicht Aiwanger daraufhin mit einem Bürgergeldempfänger: Für diesen würde es sich auch nicht lohnen, für den Mindestlohn zu arbeiten.

Richtig oder falsch?

Die Schlussfolgerung von Aiwanger trifft nicht zu. Die reinen Zahlen, die Aiwanger nennt, stimmen zwar, lassen aber wichtige Aspekte außen vor. Die pauschale Aussage, ein Bürgergeldempfänger hätte monatlich mehr Geld als ein Mindestlohnempfänger in Vollzeit, stimmt laut Berechnungen von Wirtschaftsinstituten nicht.

Die Fakten:

Die reinen Zahlen, die Aiwanger nennt, sind – grob gerundet – korrekt. Dass für einen Bürgergeldempfänger die Wohnungsmiete und Heizkosten übernommen werden, stimmt auch, aber nicht uneingeschränkt. Laut Bundesagentur für Arbeit übernimmt das Jobcenter die Miete und die Heizkosten, sofern sie sich in "angemessener Höhe" bewegen. Bedeutet: Wer aus Sicht des Jobcenters in einer zu teuren Wohnung wohnt, muss in eine günstigere Wohnung umziehen.

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Bürgergeld vs. Mindestlohn - Institute haben nachgerechnet

Die von Aiwanger genannten Zahlen berücksichtigen allerdings nicht, dass jemand, der 2.000 Euro brutto verdient, auch ein Anrecht auf Transferleistungen haben kann. Als Transferleistung bezeichnet man Sozialleistungen des Staates an die Bürger, für die keine konkrete Gegenleistung, etwa in Form von Beitragszahlungen, anfällt. Dazu gehören etwa Wohngeld oder Kindergeld.

Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, rechnet das für den #Faktenfuchs vor: Laut Peichl erhält ein nicht-arbeitender Bürgergeldempfänger in München einen Wert von monatlich 1.294 Euro, der die Kosten der Unterkunft beinhaltet. Nach Abzug von Miete und Heizkosten blieben dann 563 Euro - also das Bürgergeld in voller Höhe. Jemand, der 2.000 Euro brutto verdient, habe inklusive der ihm zustehenden Transferleistungen 1.642 Euro im Monat zur Verfügung. Abzüglich der Wohn- und Heizkosten blieben dem Mindestlohnarbeiter laut Peichl 911 Euro. In beiden Fällen veranschlagt das ifo Institut in seiner Berechnung 731 Euro für Miete und Heizkosten.

Der relevante Vergleich sei 563 gegenüber 911 Euro, schreibt Peichl in seiner E-Mail. Der Arbeiter hätte also rund 350 Euro mehr im Monat.

Auch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt zum Schluss, dass ein Arbeiter mehr habe. Das WSI rechnete das für das ARD-Magazin "Monitor" nach. Laut diesen Berechnungen haben Alleinstehende, die Vollzeit im Mindestlohn arbeiten, im Durchschnitt sogar 532 Euro mehr im Monat.

Diesen Berechnungen zufolge ist Aiwangers Aussage also falsch.

Kinder, Partner, Wohngeld: Wie wirken sich Transferleistungen aus?

Aiwangers Aussage, so wie sie in der Sendung formuliert war, als auch die Berechnung gehen jeweils von einer alleinstehenden Person aus, die entweder für Mindestlohn Vollzeit arbeitet, oder nicht arbeitet und Bürgergeld bekommt. Doch wie sieht es aus, wenn etwa durch Kinder oder Partner weitere Transferleistungen dazukommen?

Peichl schreibt dem #Faktenfuchs: "Es gibt keine Konstellation, wo jemand, der arbeitet (und alle Transfers in Anspruch nimmt, die ihm zustehen), weniger hat, als jemand, der nicht arbeitet. Das sei durch die sogenannten Erwerbstätigenfreibeträge bei Anrechnung von Einkommen auf Transferleistungen "ausgeschlossen". Bedeutet: Wer arbeitet, profitiert von steuerlichen Freibeträgen, damit auch Sozialleistungen des Staates dem Arbeiter keinen finanziellen Nachteil bringen.

Auch in Gebieten mit höheren Mieten wie München, wo Peichls Rechnung spielt, hat ein Vollzeit-Arbeiter mit Mindestlohn demnach trotzdem mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeldempfänger.

Wer in München als Alleinstehender Mindestlohn bekommt und Vollzeit arbeitet, kann laut Wohngeldrechner des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen einen Anspruch auf Wohngeld, also einen Zuschuss zur Miete, haben. Außerdem sind die Einkommensgrenzen für Sozialwohnungen meist an den Wohnungsmarkt angepasst. In München können zum Beispiel Ein-Personen-Haushalte mit einem Bruttojahreseinkommen von rund 41.000 Euro noch Anspruch auf eine Sozialwohnung haben.

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