Gezeichnetes Porträt von Lily Horn. In der Sprechblase steht: "Ich fühle mich nicht sicher."
Bildrechte: Birgit Weyhe / Comic Salon Erlangen / Kulturamt der Stadt Erlangen

Lily Horn, eine der Menschen, die im Comic-Projekt "Wie geht es dir?" zu Wort kommen.

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Wie geht es dir? Comics gegen Antisemitismus und Rassismus

Ein Comic-Projekt aus Erlangen widmet sich Menschen, die Hass und Verachtung erfahren müssen. Die Künstler reagieren damit auch auf das Massaker der Hamas in Israel. Jede Woche werden Bilder-Geschichten online veröffentlicht.

Über dieses Thema berichtet: Kulturjournal am .

"Wie geht es dir?" heißt die Initiative, in deren Rahmen renommierte Zeichnerinnen und Zeichner aus Deutschland Comics gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus publizieren, auf einem Internet-Portal und bei Instagram. Seit dieser Woche sind die ersten Comics online, darunter von der Hamburger Künstlerin Birgit Weyhe. Sie erzählt von Lily Horn, einer Jüdin aus New York. Weyhe lernte sie im vergangenen Oktober in Hamburg kennen, bei einer Gedenkveranstaltung für die Vertreibung der polnischen Juden 1938 aus Deutschland.

Menschen, die sich verletzlich und einsam fühlen

Lily Horns Urgroßeltern – Nechemiah und Scheindel Weissmann – wurden damals von den Deutschen aus dem Land ausgewiesen und später in Treblinka ermordet. Ihre Großmutter konnte in die USA entkommen und überlebte die Schoah. Lily Horn sprach bei der Gedenkveranstaltung. Die Rede habe sie sehr berührt, sagt Birgit Weyhe im BR-Interview.

Auch deshalb, weil deutlich wurde, wie nahe sich Lily Horn plötzlich der eigenen Großmutter Elly Weissmann fühlte: "Sie ist als 13-Jährige ganz knapp dem Holocaust entkommen, ihre Eltern, die Eltern ihrer Großmutter und viele andere Familienangehörige wurden umgebracht. Plötzlich versteht sie, wie es ist, wenn man ständig auf Listen schauen muss, ob ich Leute kenne, die tot sind, die verschleppt worden sind, von deren Schicksal man nichts weiß." Lily Horn kannte viele Menschen, die das Nova-Musik-Festival, das von der Hamas angegriffen wurde, besucht hatten. "Ebenso wurde deutlich, wie verletzlich man sich fühlt und wie einsam."

Große Geschichte auf kleinem Raum

Birgit Weyhe, die eindrucksvolle dokumentarische Comic-Bücher zeichnet, erzählt Lily Horns Geschichte für uns. Das ist die Idee der Initiative "Wie geht es dir?": Jede Künstlerin und jeder Künstler erzählt von einem Menschen, der Antisemitismus, Rassismus und Hass erfahren musste. Sie geben die Geschichten, die ihnen anvertraut wurden und werden, weiter.

Auf den klaren, zurückhaltend kolorierten Bildern von Birgit Weyhe ist viel zu sehen. Da ist Lily, dort sind ihre Urgroßeltern, dort die Stolpersteine, die für die beiden in Hamburg verlegt worden sind. Wir sehen Freunde, die Lily sagen, ihr Verlust tue ihnen leid – und die dann auf Instagram die schrecklichen Worte posten: Israel habe den Angriff der Hamas verdient. Wir sehen Lilys palästinensischen Freunde, denen sie ihr Mitgefühl ausspricht. Wir sehen Lilys Großmutter Elly, die 1945 fast jeden Tag von Brooklyn nach Manhattan fuhr, um in den dort veröffentlichten Listen der ermordeten Juden nach bekannten Namen zu suchen. Dann sehen wir Lily vor dem Notebook sitzen, voller Traurigkeit. Sie sucht nach Namen der Opfer des Massakers in Israel.

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Aus dem Comic von Birgit Weyhe: Stolpersteine für Lily Horns Urgroßeltern.

Zeichen der Solidarität

Den Anstoß für die Aktion "Wie geht es dir?" gab der Comic-Zeichner und Grafiker Michael Jordan aus Erlangen. Die Ereignisse des 7. Oktober und ihre Folgen treiben ihn um. Jüdinnen und Juden in Deutschland haben immer mehr Angst, fühlen sich bedroht. Antisemitismus, Rassismus und Hass nehmen beständig zu. Gleichzeitig gab es lange in Deutschland ein befremdliches Schweigen mit Blick auf die israelischen Opfer des Terrors der Hamas. Michael Jordan sprach mit seiner Münchner Kollegin Barbara Yelin, die gerade ein großes Buch über Emmie Arbel, Überlebende der Schoah, veröffentlicht hat. Weitere Zeichnerinnen und Zeichner kamen dazu. Der Kreis der Initiatoren fand Unterstützung im Team des Erlanger Comic-Salons.

"Unseren Tandem-Partnern – den Menschen, die wir interviewen – wollen wir Sensibilität und Empathie zeigen", sagt Michael Jordan. "Wir möchten das Gefühl vermitteln: 'Ihr seid nicht allein. Wir sind da.' Das ist ein Versuch. Es ist für uns eine Möglichkeit, auch etwas zu tun." Die Zeichnerinnen und Zeichner arbeiten an ihren Geschichten ohne Honorar, auch die Redaktion durch die Initiatorinnen und Initiatoren erfolgt ehrenamtlich. Das Kulturamt der Stadt Erlangen hilft bei der Veröffentlichung auf der Internet-Seite und bei Instagram. Die Sammlung der gezeichneten Geschichten soll bis zum Internationalen Comic-Salon, dem größten Comic-Festival in Deutschland, das Ende Mai beginnt, anwachsen.

Eine Hand zeichnet eine Comicfigur.
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Comic-Initiative aus Erlangen "Wie geht es Dir?"

Antisemitismus im Klassenzimmer

Die ersten Comics sind seit wenigen Tagen online, darunter die, die Nathalie Frank, aus Frankreich stammend und heute in Berlin zu Hause, gezeichnet hat. Es ist die Geschichte der eigenen Großmutter. 1930, als sechsjähriges Mädchen, erlebte sie in der Schule in Zweibrücken, in der Pfalz, wie sie von der Lehrerin vor der Klasse öffentlich diffamiert und beleidigt wurde. Ein Schüler meldete sich und fragte, was das bedeute: "Juden"? Die Lehrerin rief Ruth auf. Sie war das einzige jüdische Kind.

Diese Geschichte sei eine der wenigen Anekdoten über den Antisemitismus in Deutschland, die ihre Großmutter immer wieder erzählt habe, sagt Nathalie Frank. "Das war für sie schon sehr prägend, dass sie ein so kleines Mädchen war – und dann mit einer solchen Frage so bloßgestellt wurde. Ihre Antwort macht jede Menschenfeindlichkeit kaputt. Eigentlich kann man diese Antwort immer geben." In der kurzen Comic-Geschichte sieht man Ruth als sechsjähriges Mädchen im Klassenzimmer, mit dieser so gemeinen Frage konfrontiert. Erst schaut sie verunsichert, dann charmant und klar. Und antwortet auf die Frage, was "Juden" bedeute: "Es sind Menschen wie alle anderen auch."

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Eine klare Antwort auf eine gemeine Frage: Szene aus Nathalie Franks Comic "Ruth", für das Projekt "Wie geht es dir?"

Jede Woche neue Comics online

Nathalie Frank schreibt am Ende der Comic-Geschichte über die Großmutter: Sie wünsche sich, dass sich heute kein Kind in diesem Land aufgrund seiner kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit bedroht fühlen müsse. Die Realität in diesem Land ist leider eine andere, um so stärker die Wucht dieser vier aufeinander folgenden Bilder.

Nathalie Frank gehört ebenfalls zum Kreis der Initiatorinnen des Projekts "Wie geht es dir?". In den kommenden Monaten wollen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen, fachlich begleitet von der Comic-Forscherin Véronique Sina aus Frankfurt, Woche für Woche neue Geschichten veröffentlichen, neue Porträts, neue Annäherungen – geschrieben und gezeichnet von einem großen Kreis von Künstlerinnen und Künstlern. Auch Nathalie Frank will weitere Geschichten beisteuern. Es geht um eine Vielfalt der Stimmen, denen wir zuhören sollen.

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