Szene auf dem Buchcover von "Vatermilch: Unter der Oberfläche"
Bildrechte: Uli Oesterle

Szene auf dem Buchcover von "Vatermilch: Unter der Oberfläche"

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"Vatermilch" von Uli Oesterle: Comic über Obdachlosigkeit

Der Münchner Comic-Künstler Uli Oesterle beschäftigt sich seit einigen Jahren in einem großen, mehrbändigen Comic-Projekt mit dem Thema Obdachlosigkeit. Darin geht es auch um die große Frage, wie Väter und Söhne einander begegnen.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Noch denkt er, das Leben auf der Straße sei nur vorübergehend. Folglich meint Rufus Himmelstoß, die Hauptfigur in Uli Oesterles Comic "Vatermilch", er könne über denen stehen, mit denen er jetzt in der Obdachlosenküche von Sankt Bonifaz das Essen teilt. Börnie, sein Tischnachbar, liest ihm gehörig die Leviten und sagt: "Du stehst auf der anderen Seite der Gesellschaft!" Rufus, der sich jetzt überall als Roland Herzig vorstellt, will das nicht wahrhaben und fertigt sein Gegenüber arrogant ab.

"Er selbst ist noch nicht bereit, das wirklich einzusehen und zu akzeptieren. Und sagt dann auch immer wieder: Morgen bin ich wieder weg von der Straße. Und das ist tatsächlich auch eine Aussage, die viele frisch obdachlos Gewordene wohl wirklich treffen", sagt Uli Oesterle.

Eine fiktive Geschichte autobiographisch grundiert

Eine kleine Rückblende, zum Auftakt der "Vatermilch"-Reihe von Uli Oesterle: Rufus Himmelstoß ist Markisen-Vertreter und von sich selbst, vorsichtig formuliert, absolut überzeugt. Er lässt seine Familie – seine Frau Cornelia und den Sohn Victor – ständig im Stich, aufgrund der Eskapaden des Vaters haben die beiden kaum Geld.

Nachdem Rufus einen Unfall verursacht hat, bei dem eine Frau und ihre beiden Kinder ums Leben kommen, taucht er unter und zieht auf die Straße. Jetzt zeigt Uli Oesterle in eindrücklichen Bildern, wie sehr Rufus bzw. Roland die Erinnerungen an das Geschehen verfolgen und für Albträume sorgen. Und er zeigt, wie ein allmähliches Umdenken einsetzt – und eine Idee zur Unterstützung der verlassenen Familie kommt.

Die Geschichte, die Uli Oesterle in "Vatermilch" erzählt, ist fiktiv – und gleichzeitig autobiographisch grundiert. Der Comic-Künstler wuchs ohne Vater auf, dieser lebte viele Jahre auf der Straße. Die eigene Perspektive – die des Kindes, das mit dieser Situation und ihren Folgen zurechtkommen muss – thematisiert Oesterle mit der Figur von Victor.

Oesterle zeichnet vorzugsweise in Grau- und Schwarztönen

Er ist – wie sein Erfinder – ebenfalls Zeichner und macht jetzt, im zweiten Teil der Comic-Geschichte, eine Bergtour in den Dolomiten, mit seiner Frau und seinem Sohn. Es geht auch hier um die große Frage, wie Väter und Söhne einander begegnen. Er sei in einem Widerstreit der Gefühle, sagt Oesterle, "weil er immer noch den Eindruck hat: Männer weinen nicht. Er möchte das seinem Sohn nicht zeigen, weil er immer noch glaubt, das man Kinder so erziehen muss, das Männer Männer sein müssen."

Uli Oesterle erzählt die Geschichte – die doppelte Geschichte – nicht chronologisch, sondern in Sprüngen, mal vor, mal zurück. Er zeichnet vorzugsweise in Grau- und Schwarztönen, dann und wann kommt – für die Ebene der bergwandernden Familie des Sohnes Victor – Violett dazu. Eine lange Bilderfolge am Ende wechselt in verschiedene Pastell-Töne: Sie zeigt die Traumsequenzen, die Rufus nach einem Ohnmachtsanfall in der Obdachlosenküche befallen. Und damit die ganze emotionale Wucht, in der Auseinandersetzung mit der Schuld.

Das Gemälde als Sinnbild für den Sohn

Ein berühmtes Bild spielt in der "Vatermilch"-Geschichte eine wichtige Rolle: Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer". Es hängt in einer (fiktiven) Ausstellung Ende der 70er im Haus der Kunst, wo Rufus Himmelstoß alias Roland Herzig seinen großen Plan schmiedet. Gleichzeitig ist das Gemälde auch ein Sinnbild für den Sohn, Jahrzehnte später. Er steht auch im Gebirge und muss schauen, wie er den Nebel zu seinen Füssen durchdringen kann.

"Vatermilch: Unter der Oberfläche" von Uli Oesterle ist bei Carlsen erschienen und kostet 25 Euro.

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