Archivbild: Matthias Matussek zu Gast in der ARD Sendung "Menschen bei Maischberger" am 15.05.2012
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Viel Verrücktheit, viel Misanthropie: Matthias Matussek gleicht der Hauptfigur von "Armageddon" in auffallend vielem. (Archivbild vom 15.05.2012)

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Voller Angstwut: Matthias Matusseks Roman "Armageddon"

Der Titel klingt nach Endzeit und finaler Schlacht: "Armageddon". Doch welcher Kampf wird in diesem Roman des Ex-"Spiegel"-Journalisten Matthias Matussek überhaupt geführt und von wem? Held und Verfasser gleichen einander jedenfalls bis aufs Haar.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Dieser Rezension sind viele Mails vorausgegangen. Zwanzig allein von Seiten Matthias Matusseks, um genau zu sein. Und da die letzte lautete, "selbstverständlich" dürfe man daraus zitieren, werden wir diese Freigabe nutzen, weil alles Hinreden an ihn, ein Interview zu seinem Roman "Armageddon" zu geben, trotz zwischenzeitlicher Zusage schlussendlich erfolglos blieb. Warum? Man weiß es nicht. Lag es am "Ekel gegenüber Systemjournalisten", der die Hauptfigur dieser Autofiktion überkommt? An seiner Furcht vor einer von ihm vermuteten "Hinrichtung", zu der er nicht auch noch die Stichworte liefern wollte?

Die Hauptfigur Richard "Rico" Hausmann, 69 Jahre alt, hat mit ihrem Schöpfer Matthias Matussek viel gemein: Einst war er ein Großer, ein "Zwölfender" im deutschen Medienbetrieb, Korrespondent in New York, Rio, London, Kulturchef des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Nun ist er ein gegen "Genderkram", "Klimareligion", "die woken Einpeitscher von links" und die "grüne Junta" in Berlin keilender AfD-Sympathisant im real existierenden "alternativen Internet-Radio": Dort im "Kontrafunk" spielt er Musik aus seiner, der guten alten Zeit.

Ein Rebell und Radioaktivist

In diesem "Rebellionsbiotop" fühlt sich der einstige Maoist, jetzige Radioaktivist und Schimpfkanonier allem Anschein nach wohl: eine Art letzter Mohikaner in seinem Widerstandswigwam. "Rabaukig, aus Notwehr" nennt Matussek das selbst in einer Mail. Es ist aber auch unfreiwillig klamaukig, z.B., wenn sein literarisches alter ego gegen die künstliche Intelligenz ChatGPT poltert, diese sei eine "digitale linkslastige Hure". Das ist so dermaßen absurd, dass es schon wieder komisch ist. Genauer gesagt: tragikomisch.

Man könnte das Buch schnell ad acta legen, als Zeugnis eines Mannes, der sich darin wohl nicht zu Unrecht "wie Büchners Lenz am Beginn seiner Nachtfahrt ins Irresein" wähnt. Der sich als "Gesinnungsverbrecher", "Paria" und also Opfer stilisiert, "ausgemustert vom konventionellen Betrieb", von seinem "Eigensinn hinauskatapultiert aus der Gesellschaft", – so zumindest sieht er es.

Roman voller Tiraden und Schmähreden

Man kann aber diesen tiradenreichen Roman in Zeiten, in denen die "geächtete Schwefelpartei" AfD von Woche zu Woche steigende Umfragewerte erzielt, auch als Dokument einer um sich greifenden, irrationalen "Angstwut" in der Gesellschaft lesen. "Angstwut", dieses Wort Matusseks ist nicht schlecht gewählt. Heute steigen die Angstwutpegel von Tag zu Tag, und es ist leider überhaupt nicht auszuschließen, dass manch einer den Wahnsinn teilt, der sich in Sätzen wie diesen artikuliert: "Ja, ganze Heerscharen an Teufeln krochen da zurück in die Seelen dieses Volkes, in die Kapillaren, die Blutbahnen, die Herzen und die Hirne." Dank solcher satanischen Zeilen ist ihm die moralische Panikpräsidentschaft sicher.

Anders als die verzeihende Rede von den "idiotischen Jugendirrtümern" es will, gibt es die viel gefährlichere Sorte von Altersirrtümern, die sich bei Matussek zeigt. Thomas Mann wetterte gegen die "Zeitkorrekten", vor denen ihm ekelte, eben nicht als alter Mann, sondern als noch halbwegs junger, in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen". Matussek hingegen geht streng auf die 70 zu und beschwört das Phantasma eines "düsteren, verhexten, todesschweren" Landes. Deutschland, das ist "Geisterland", eine "Scheißrepublik" in der Hand von – so steht es wörtlich auf Seite 172 – "grünen Nazis". Der Erzähler beklagt die allseitige Nazifizierung Andersdenkender, bemerkt indes gar nicht den Selbstwiderspruch, wenn er sieben Seiten später befindet: "In Deutschland stehen alle, die nicht regierungskonform sind, auf einer Stufe mit Nazis."

Abrechnung mit Benjamin von Stuckrad-Barre

Umso bemerkenswerter, wie Matussek auf seine eigene Branche und ihren "Doppelton" blickt. Zu den scharfsinnigsten Kapiteln zählen die, in denen Rico alias Matussek mit seinem vormaligen Freund Benjamin von Stuckrad-Barre und dem "guten Kai" – Kai Diekmann – abrechnet. Balzac hat in seinen "Verlorenen Illusionen" für die falsche Verbrüderung im Journalismus das Wort "Halbkameraden" erfunden. Matussek illustriert, was das bedeutet. Und doch ist man auch hier am Ende fassungslos, wenn Julian Reichelt im Roman ernsthaft als "einer der wirkungsvollsten Regimekritiker" gefeiert wird, der gegen einen "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" kämpfe.

"Was aber ist mit Ironie." Diese Frage aus dem Roman möchte man gleich an seinen überdrehten Autor weitergeben. Ja, da ist viel "going nuts", viel Verrücktheit, wie Matussek in einer Mail schreibt, aber kaum je der "Luftzauber", die Leichtfüßigkeit der Ironie. Stattdessen: viel Misanthropie. Dass Matthias Matussek sich bzw. seiner ihm bis aufs Haar ähnelnden Hauptfigur an einer Stelle selbst eine "sehr durchwachsene Lebensbilanz" attestiert, nimmt einen doch für ihn ein. Auch, dass er im Roman freimütig seine manisch-depressiven Phasen anspricht und von einem Selbstmordversuch 1977 erzählt. Und das Fernduell, das sich der gläubige Katholik Rico alias Matussek mit einer befreundeten "Sterbe-Aktivistin" liefert, die freiwillig und ohne Not aus dem Leben scheiden will, ist eine so intensive Meditation über den Tod, dass der Autor glücklicherweise für einen Moment mal all seine Verschwörungserzählungen vergisst.

"Was soll denn das Geeiere. Jetzt bin ich aber doch sehr neugierig auf Ihr Urteil", hatte Matthias Matussek dem Verfasser vor ein paar Tagen gemailt und dahinter ein Lachsmiley gesetzt. Nun, hier haben Sie's.

Matthias Matussek: "Armageddon" ist im Europa Verlag erschienen, 288 Seiten, 22 Euro.

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Buchcover von Matthias Matusseks Roman "Armageddon"

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