Historiker Norbert Frei spricht in der Paulskirche bei einem Festakt zum Gedenken des 50. Todestages des ehemaligen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer.
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Norbert Frei bei einer Rede in der Paulskirche 2018 (Archivbild)

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Aufarbeitung gestartet: Norbert Frei in der Siemens-Stiftung

Sie fördert die Wissenschaften, aber mit der Aufarbeitung ihrer rechtslastigen Vergangenheit tut sich die Münchner Carl Friedrich von Siemens Stiftung offenkundig schwer. Doch nun ist mit dem Vortrag des Historikers Norbert Frei ein Anfang gemacht.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Im Kavaliershaus am Südlichen Schlossrondell war es gestern Abend in der 1958 gegründeten Carl Friedrich von Siemens Stiftung nicht die Zeit für chevalereske, sondern für deutliche Worte. Der Historiker Michel Brenner fand sie gleich zu Beginn, als er bei seiner Einführung sagte: "Es gibt zahlreiche deutsche Stiftungen, die oftmals spät und vielleicht mehr schlecht als recht, aber dann doch ihre braune Vergangenheit vor 1945 aufarbeiten ließen oder aufarbeiteten. Es gibt andere Stiftungen, die ihre Vergangenheit vor 1945 bis heute in den Mantel tiefen Schweigens hüllen. Und es gibt eine Stiftung – viel mehr dieser Art ist mir nicht bekannt –, die es bis heute vermieden hat, ihre braune Vergangenheit nach 1945 offenzulegen." Das ist die landläufig nur Siemens-Stiftung genannte Institution, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einer Eloge 1989 mal als "Klein-Oxford in München" und "Gelehrtenhimmel" pries.

Geschäftsführer bekannte sich als Faschist

Norbert Frei sprach gestern noch auf Einladung des im Februar entlassenen Geschäftsführers Marcel Lepper, der in seiner kurzen Amtszeit eine intensive Erforschung der Vergangenheit der Stiftung initiiert hatte und "in einer nebulösen Aktion aus dem Amt entfernt" worden war, wie Lepper Norbert Frei in einem Telefonat mitgeteilt hatte. Die Stiftung steht im Moment akephal da. Ihr Stiftungsvorstandsvorsitzender, der Sinologe Thomas Otfried Höllmann, war zugegen und versicherte, man habe gemeinsam mit dem Münchner Institut für Zeitgeschichte jetzt den Aufarbeitungsprozess begonnen. Norbert Freis Vortrag trug den Titel "Die deutschen Deutungseliten und die NS-Vergangenheit". Diese nachkriegsdeutsche Geschichte berühre sich mit dem "genius loci", hieß es in der Programmankündigung.

Und so befasste sich der Jenaer Historiker mit der bis zum Amtsantritt Marcel Leppers 2022 lautstark beschwiegenen und überaus rechtslastigen Historie dieses Hauses im Rahmen der bundesrepublikanischen Vergangenheitspolitik. Diese ist eng verknüpft mit ihrem ersten Geschäftsführer, dem rechtsextremen Publizisten Armin Mohler, der 1989 etwa das Buch "Der Nasenring. Im Dickicht der Vergangenheitsbewältigung" veröffentlicht hatte. Frei sparte nicht mit Kritik am jahrzehntelangen Unwillen der Stiftung, Mohlers Rolle erforschen zu lassen: "Dazu gehört auch, dass die Stiftung bereits vor Jahrzehnten Anlass gehabt hätte, sich von ihrem langjährigen Geschäftsführer Armin Mohler zu distanzieren. Zum Beispiel 1995, als sich Mohler in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung ausdrücklich zwar nicht zum Nationalsozialismus, aber zum Faschismus bekannte. Dass diese Distanzierung nicht geschah, liegt als Schatten auch über der Amtsführung seines seinerzeitigen Wunschnachfolgers Heinrich Meier."

Fernsehereignis "Holocaust" triggerte die Neue Rechte

Heinrich Meier, 37 Jahre lang von 1985 bis 2022 im Amt, hatte in seiner Ära keinerlei Anstalten gemacht, das zu erforschen, was jetzt erst langsam eine "Neubelichtung" (Michael Brenner) oder auch Erstbelichtung erfährt. Stattdessen hing vor Meiers Büro eine Deutschland-Karte aus dem Jahr 1934, gefertigt vom Kartenkünstler und "deutschen Schreibmeister" Rudolf Koch, der 1933 u.a. Adolf Hitlers Satz "Die Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission" kalligraphiert hatte.

Meiers Vorgänger Armin Mohler, der die Geschicke der Stiftung bis 1985 leitete, war eine Zentralfigur der Neuen Rechten. Norbert Frei: "Mohlers Verachtung für die Vergangenheitsbewältiger schwelte seit Jahrzehnten. Er hatte daraus nie einen Hehl gemacht und in Criticón, der Zeitschrift seines neurechten Freundes Caspar von Schrenck-Notzing, immer wieder zu diesem Thema publiziert. Als Geschäftsführer dieser Stiftung. Wobei auch noch zu klären bleibt, ob Mohlers Förderung dieses Organs Criticón auch bedeutet, dass dafür Gelder der Siemens-Stiftung flossen."

Offenbar in unmittelbarer Reaktion auf den Riesenerfolg der Fernsehserie "Holocaust" 1979 – sie hatte 20 Millionen Zuschauer hierzulande – startete Mohler in der Stiftung ein umfangreiches Programm unter dem Titel "Die deutsche Neurose", zu dem als Redner die rechtsextremen Soziologen und Politologen Robert Hepp und Hans Joachim Arndt geladen wurden. Auch der Erlanger Geschichtsrevisionist Hellmut Diwald sowie der damals bundesweit bekannte, "weit nach rechts gewanderte" Theologe Helmuth Thielicke waren dabei. Frei, der auf digitalisierte Dokumente der Stiftungsgeschichte zugreifen konnte, machte deutlich, dass die Siemens-Stiftung somit zum zeitweiligen Sammelpunkt der Neuen Rechte wurde.

Wie Ernst Nolte 1980 in der Stiftung sprach

Ein Jahr später dann, im Frühjahr 1980, war der junge Norbert Frei mit seinem damaligen Chef vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, Martin Broszat selbst das erste Mal in der Münchner Carl Friedrich von Siemens Stiftung zu Gast: als Zuhörer. Denn es referierte einer, der mit seinem Buch "Der Faschismus in seiner Epoche" 1963 bereits ein Standardwerk vorgelegt hatte. "Der Redner vor 43 Jahren war niemand anderes als Ernst Nolte", so Frei: "Das war der Moment, als der anerkannte Faschismus-Forscher Nolte zu entgleisen begann." Nolte nämlich hielt in der Carl Friedrich von Siemens-Stiftung 1980 den Vortrag "Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus", den die FAZ unter dem Titel "Die negative Lebendigkeit des Dritten Reiches" druckte. Darin war schon all das formuliert, womit Nolte sechs Jahre später den Historikerstreit auslösen sollte.

Es sprach sich unter Alt-Nazis und Ewiggestrigen schnell herum, dass Nolte einen "trefflichen Impuls" zur "Entsorgung der Vergangenheit" (Jürgen Habermas) vorgelegt hatte: Werner Naumann etwa, einst SS-Brigadeführer und persönlicher Referent von Joseph Goebbels, bat sogleich um ein Exemplar des Vortrags bei der Stiftung. All diese Dinge kommen jetzt erst, Jahrzehnte später ans Licht. Es ist schon so, wie Michael Brenner sagte: "Ein Ruhmeskapitel der Siemens-Stiftung wird diese Auseinandersetzung wohl nicht mehr werden. Dafür kommt sie zu spät und auf zu verschlungenem Wege."

Hinweis: In der kulturWelt-Sendung vom 23.06. waren an manchen Empfangsgeräten aus technischen Gründen keine O-Töne zu hören. Wir bitten dies zu entschuldigen, oben im Artikel ist der Radiobeitrag verlinkt, auch im kulturWelt-Podcast kann man den Beitrag nachhören.

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