Mann am Meer, ausnahmsweise an der Nordsee
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Mann am Meer, ausnahmsweise an der Nordsee

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"Mann vom Meer": Volker Weidermann über Manns Wasserliebe

Schon sein Bestseller "Ostende" spielte an der See, im belgischen Badeort, der verfolgten deutschen Schriftstellern eine Zuflucht bot. Nun hat der ZEIT-Feuilletonist Volker Weidermann ein Buch über Thomas Manns Liebe zum Meer geschrieben.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Von Vladimir Nabokov stammt eine schöne Beschreibung der Ostsee. Blicke man nämlich auf eine Karte Nordeuropas, so heißt es in seinem Roman "Lushins Verteidigung", dann sähe die Ostsee, das mare balticum, aus "wie eine kniende Frau".

Thomas Mann und die Ostsee: Eine Lebensliebe?

Man muss ein wenig Fantasie aufbringen, aber ja, dort, wo Nabokov zur Welt kam, in St. Petersburg, könnten die bittenden Hände dieser Frauengestalt sein, und da, wo sich die Lübecker Bucht befindet, könnten ihre Füße sein. In eben jener Lübecker Bucht wuchs Thomas Mann auf, und hier nahm jene lebenslange Liebe zum Meer ihren Anfang, über die Volker Weidermann nun ein Buch geschrieben hat.

Die Ostsee, sagt Weidermann im Gespräch, sei die titelgebende "Liebe seines Lebens" gewesen: "Über die Ostsee hat er nie etwas kommen lassen. Er wusste zwar, dass sie mit ihren grauen Farben und kleinen Wellen ein vielleicht etwas jämmerliches Meer ist, aber seine erklärte Lieblingstochter Elisabeth Mann Borgese hat einmal wundervoll beschrieben, wie ihr Vater mit ihr, als sie ein kleines Mädchen war, zu einer Art Gottesdienst an den Strand von Kloster auf Hiddensee gegangen ist, um in sie seine Liebe zur Ostsee hinein zu pflanzen." Elisabeth Mann Borgese wurde später Seerechtsexpertin und Verfechterin einer "ozeanischen Politik".

Weidermann schreibt eine "Meeresbiographie" Manns

Volker Weidermann erzählt wichtige Stationen von Thomas Manns Leben und Werk entlang der Küstensäume. Das Wort "Meeresbiographie" taucht mehrmals in seinem Buch auf, und es tauchen darin auch die Gestade des Südatlantiks auf, denn, so Weidermann im Gespräch: "Das reicht bis hin zu seiner Mutter zurück, Julia da Silva-Bruhns, die in Brasilien an einem paradiesischen Strand in Paraty aufgewachsen ist. Im Alter von sieben Jahren ist sie von dort nach Lübeck verpflanzt worden. Und sie hat ihre eigene Meeresliebe immer und immer wieder in ihren eigenen Sohn Thomas hineingequatscht. Mich interessiert ja immer auch beim Schreiben, wie ererbte Erinnerung fortwirkt."

Weidermann schreibt sogar von einer "Meeresdroge", dem sozusagen auf Papier gebannten "Ruf des Strandhorns". Es fallen einem auf Anhieb viele maritime Bezüge im Werk Thomas Manns ein: Morten Schwarzkopf und Tony Buddenbrook am Strand von Travemünde, die auf einer Transatlantik-Schiffspassage entstandene "Meerfahrt mit Don Quijote" des Literaturnobelpreisträgers, sein Sommerhaus in Nidden an der Kurischen Nehrung, und dann natürlich die vielen Fotos von Thomas Mann im Strandkorb, in Bademantel oder Ganzkörperbadeanzug.

Es dürfte keinen anderen deutschen Schriftsteller geben, der – egal ob an Ost- oder Nordsee – sich so oft am und im Strandkorb (gern rauchend) hat ablichten lassen. Weidermann zeigt aber auch anhand des "Schnee"-Kapitels im "Zauberberg", wie sehr selbst die Davoser Bergwelt metaphorisch von Meeresströmungen durchzogen ist. Das "Schnee"-Kapitel ist eigentlich recht besehen auch ein See-Kapitel.

Das Meer als Sinnbild von Verlangen und Vergänglichkeit

Das Mittelmeer, an dessen französischem Teil in Sanary-sur-mer der Emigrant Mann mit seiner Frau Katia im Sommer 1933 einige Woche verbrachte, scheint ihn weniger angesprochen zu haben. Zumindest findet das träge italienische Meer im "Tod in Venedig" als "ödes Meer" Erwähnung. An anderer Stelle spricht Mann mal von der "Großwildnis" des Atlantiks oder von der Nordsee als einem "erschütternden Meere" nach einem Sylt-Aufenthalt.

Weidermann beschreibt anhand vieler Fundstellen in Manns Werk, inwiefern das Meer als Naturgewalt für den "Meister von der Trave" auch immer ein Sinnbild des Sexus, des Verlangens war. Einige seiner meist nur dem Tagebuch anvertrauten homoerotischen Liebschaften nahmen hier ihren Ausgang. Wo Eros ist, ist Thanatos nicht weit: Gleichzeitig steht das Meer für Mann auch immer für die Vergänglichkeit, für den Tod. Also war es offenkundig eine sehr ambivalente Anziehungskraft, die vom Meer für ihn ausging.

Volker Weidermann formuliert es so im Gespräch mit dem BR: "Dieser Meereszauber war ja auch immer eine dunkle Kraft. Wer in Meeresnähe kommt, ist dem Tod schon anheimgegeben. Als Thomas Buddenbrook anfängt, Ferien am Meer machen zu wollen, ahnen die kundigen Leser schon, dass es mit ihm zu Ende gehen könnte." Nach der Lektüre dieses Buches versteht man viel besser, warum Thomas Mann einst festhielt: "Meine Liebe zum Meer, dessen ungeheure Einfachheit ich der anspruchsvollen Vielgestalt des Gebirges immer vorgezogen habe, ist so alt wie meine Liebe zum Schlaf."

Volker Weidermann: „Mann vom Meer. Thomas Mann und die Liebe seines Lebens“, Kiepenheuer & Witsch. 240 Seiten. 23 Euro.

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