Der russische Präsident vor einer Flagge
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Wladimir Putin bei seiner Ansprache am 24. Juni

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Prigoschin lenkt ein: "Zusammenbruch von Putins Autorität"

Dass ausgerechnet der belarussische Präsident Lukaschenko Russland "rettet" und die Wagner-Söldner straffrei ausgehen, ja sogar die Ablösung des Verteidigungsministers erreichen, höhlt Putins Position gefährlich aus, meinen die Beobachter.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Hätten wir vor anderthalb Jahren gedacht, dass der Präsident eines anderen Staates garantieren würde, 'in Russland kein blutiges Gemetzel zwischen Russen und Russen zu zulassen'?", fragte sich einer der russischen Militärblogger kopfschüttelnd und fuhr fort: "Und noch dazu Lukaschenko? Generell zwingt uns die Situation dazu, uns in das Lager der Verschwörungstheoretiker zu begeben. Frei gewählt oder nicht, aber die Wirkung der Handlungen aller, aller Seiten ist der völlige Zusammenbruch der Autorität von Präsident Putin persönlich." Die angebliche Lösung des dramatischen Konflikts zwischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin und dem Kreml lässt die Russen staunen und an der Zukunft des Regimes zweifeln.

"Sechs abgestürzte Flugzeuge sind nicht gerecht"

Ausgerechnet der belarussische Präsident Lukaschenko, bisher ein Bittsteller an Putins Hof, noch dazu kränklich und stets finanziell klamm, will seiner Pressemitteilung zufolge im Auftrag des Kremls "den ganzen Tag" mit Prigoschin verhandelt und ihm "Sicherheitsgarantien" gegeben haben, die sogar vom russischen Parlament beglaubigt werden sollen. Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte, dass Prigoschin und all seine Leute trotz "Dolchstoß-Versuchs" und "Aufrufs zum Bürgerkrieg" völlig straffrei davon kommen und nach Belarus umziehen werden - angesichts von Putins morgendlicher Rede an die Nation mit Hochverratsvorwürfen eine schiere Ungeheuerlichkeit, zumal durch Abschüsse zwölf Piloten zu Tode kamen.

Der so "geadelte" Söldnerchef befahl seiner Truppe daraufhin, zurück in die Kasernen zu gehen, als ob nichts gewesen wäre. Kriegsberichterstatter Alexander Kots schrieb denn auch entgeistert: "Sechs abgestürzte Hubschrauber und ein zerstörtes Flugzeug sind keine Gerechtigkeit. Russische Städte zu blockieren ist keine Gerechtigkeit. Die Eroberung von Militärflugplätzen ist keine Gerechtigkeit." Doch so, wie es aussieht, bekommt Prigoschin, was er will und muss keinerlei Sanktionen fürchten.

"Tod meines Landes"

Was für eine Machtverschiebung: Der Privatarmee-Betreiber verhandelt mit einem ausländischen Staatschefs darüber, ob er in Moskau einmarschiert oder nicht. Der russische Parlamentsabgeordnete Viktor Alksnis fiel nach eigenen Angaben aus allen Wolken: "Ich muss mit Bitterkeit zugeben, dass die Russische Föderation ihrem endgültigen und unwiderruflichen Tod einen Schritt näher gekommen ist. Von nun an gibt es in der Russischen Föderation zwei Präsidenten – den echten Präsidenten Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin und den inhaftierten Vizepräsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin. Der Hauptzweck des Sitz-Präsidenten besteht darin, den echten Präsidenten regelmäßig und in kniender Position mit der Frage anzusprechen: 'Was darf es sein, Jewgeni Wiktorowitsch?' Niemals, nicht einmal im schlimmsten Albtraum, hätte ich mir vorstellen können, dass ich diese Schande und den Tod meines Landes jemals erleben würde."

"Aufstand war erfolgreich"

Für den "patriotischen" Aktivisten Igor Strelkow steht fest, die "Revolution" sei "erfolgreich" gewesen. Prigoschin selbst triumphierte, der Kreml habe seine Truppe "auflösen" wollen, doch das sei jetzt abgewendet. Vladimir Putiin hält zwar an Verteidigungsminister Schoigu fest, aber gerüchteweise soll ihn der bisherige Gouverneur der Region Tula, Alexander Djumin, ablösen: Einen Wechsel im Amt hatte Prigoschin von Anfang an als Ziel seiner Rebellion ausgegeben.

Daran gemessen ist er tatsächlich auf ganzer Linie erfolgreich gewesen, denn Armeechef Gerassimow muss wohl gehen. Ob Prigoschin seine Leute, wie Gerüchte wissen wollen, künftig nur noch in Afrika und Belarus "arbeiten" lässt, wird sich noch herausstellen. Dass er auf Dauer Russland verlässt, erscheint höchst fraglich, zumal er laut Umfragen zu einem wahren "Volkshelden" aufgestiegen ist und zu den fünf populärsten Politikern zählt, obwohl er selbst ständig betont, gar keine politischen Ambitionen zu haben.

Der populäre Blogger Boris Rohzin schrieb nach durchwachter Nacht am Ende seiner Kräfte: "Im Allgemeinen herrscht trotz der gefallenen Piloten und der allgemeinen politischen Kosten für das Land an diesem Abend immer noch das Gefühl, dass wir etwas sehr Schrecklichem entkommen sind, das ganz nah an uns vorbeigegangen ist und uns fast alle verwundet hätte." Alles wäre anders gekommen, wenn der Kreml den schwelenden Konflikt früher gelöst hätte: "Ich möchte so etwas in unserem Land nicht noch einmal erleben."

"Prigoschin stärker als vorher"

Originell reagierte Blogger Alexander Chodakowski: Er werde aus diesem "Friedenskelch" mit belarussischem Wappen nur dann trinken, wenn der "Teufelsaustreiber den Exorzismus ausdrücklich bestätigt" habe, und selbst dann nur mit einer Patrone im Gurt. Vor dem "Satz" am Boden des Glases graut es dem Blogger nach eigenen Worten ganz erheblich. Dass die Wagner-Leute mit Applaus aus Rostow am Don verabschiedet wurden, dürfte ihm auch nicht behagen.

Am Morgen sei Prigoschin erledigt gewesen, am Abend Verteidigungsminister Schoigu, in Russland wechselten die Verhältnisse stündlich, bilanzierte ein Blogger. Ein anderer urteilte: "Wenn Berichte zutreffen, dass Prigoschin und Wagner Garantien auf der Ebene des russischen Parlaments erhalten, bedeutet das, dass in Russland eine private Parallelarmee legalisiert wird, die der Zentralregierung nicht gehorcht, und Prigoschin selbst als Sieger und stärker hervorgehen wird als er vorher war."

"Jeder hat Putins Schande gesehen"

Wie sehr Putins Position erodiert ist, zeigen die Leserreaktionen russischer Zeitungen: "Nun gibt es ein wunderbares Beispiel – wie man mit der aktuellen Regierung umgeht, um gehört zu werden. Sie versteht es nicht anders." Oder auch: "Nun muss Putin, der bis zum völligen Gesichtsverlust Angst hat, ohne Alternativen nackten Terror im Land entfesseln. Ein Feigling ist immer bösartig, kleinlich und grausam. Besonders gegenüber den Schwächeren, die seine Schande sahen. Und jeder hat es gesehen. Und es gibt keinen Ort, an den man flüchten könnte - sie haben es geschafft, an nur einem Tag ein solch monströses Beispiel eines feigen Bürgen auf den Tisch zu legen."

Die Erfüllung der Forderungen von Aufständischen sei noch beschämender als das Nachgeben bei Terroristen, hieß es. Es gab allerdings auch weniger aufgebrachte Reaktionen: "Es scheint, dass Moskau verstanden hat, dass es notwendig war, zu verhandeln und Zugeständnisse zu machen." Und eine Warnung gab es auch: "Das wird ihnen nicht verziehen, egal welche Garantien sie jetzt geben." Vergleiche wurden ebenfalls angestellt: "Kann sich irgendjemand so etwas in den USA vorstellen? Dass ein Militärkonvoi von Florida nach Washington mit Drohungen einhergeht? Dort würde die gesamte trägergestützte Luftfahrt auf die Kolonne geworfen."

"Das Absurde versuchen, das Unmögliche erreichen"

Ein eher poetisches Fazit zielte auf das allgemeine innenpolitische Unbehagen: "Es ähnelt einem Theater, in dem die Schauspieler die Rolle nicht gelernt haben!" Dass Jewgeni Prigoschin mit über einer Million Telegram-Fans am Tag des Aufstands sogar am Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew vorbeigezogen ist, dürfte für den geltungsbedürftigen Oligarchen eine willkommene Zugabe sein. Und auch über dieses Albert-Einstein-Zitat, das ein Blogger erwähnte, wird sich der Rebell wohl freuen: "Nur diejenigen, die das Absurde versuchen, werden das Unmögliche erreichen!"

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Wie geht es nach dem Deal mit Wagner-Chef Prigoschin weiter?

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