Mit Mut zur Brust: Michael Maertens bei einer Probe zum neuen "Jedermann"
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Mit Mut zur Brust: Michael Maertens bei einer Probe zum neuen "Jedermann"

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Michael Maertens: Das ist der neue Salzburger Jedermann

Klaus Maria Brandauer, Peter Simonischek, Lars Eidinger: Sie alle haben in Salzburg bereits den Jedermann gespielt. Ein Paraderolle, in die in diesem Jahr erstmals der Schauspieler Michael Maertens schlüpft. Kann der Hamburger den Schnösel?

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Als der Anruf kam, dachte er zunächst, er sei bei der versteckten Kamera gelandet, erzählt Michael Maertens im Interview mit dem BR. Man wolle ihm einen Streich spielen, so seine Vermutung. Mit 60 sei er schließlich zu alt für den Jedermann. Außerdem fehle ihm die "Imposanz". Er habe sich deshalb einen Tag Bedenkzeit auserbeten. "Und dann habe ich aufgelegt. Aber dann habe ich innerlich gedacht: So ein Blödsinn! Ich brauche doch keine Bedenkzeit, das musst du machen. 27 Sekunden später habe ich dann zugesagt."

Zusage nach 27 Sekunden Bedenkzeit

Michael Maertens ist ein Bühnentier, aufgewachsen in einer Theaterfamilie. Schon die Großeltern waren Schauspieler, auch der Vater. Die Geschwister Kai und Miriam sind es ebenfalls. Er war mit Mavie Hörbiger verheiratet, die in den letzten Jahren den Teufel auf dem Salzburger Domplatz gespielt hat und deren Großonkel Attila einst auch ein gefeierter Jedermann war.

Da passt einiges zusammen, und ja, sagt Michael Maertens, früher, als er auf die vierzig zuging so wie der Jedermann im Stück, da habe er durchaus mit der Rolle geliebäugelt. Umso erfreulicher, dass es nun doch noch geklappt hat. Seiner Eitelkeit schade das auch nicht, scherzt Maertens. "Ich mag es, wenn die Leute sagen: Mensch, wir freuen uns! Oder: Herr Maertens, wir haben gestern das Interview gelesen! Oder: Wir kennen Sie aus "Bibi und Tina". Das finde ich schön."

Komödiant und Rampensau

"Als Jedermann, da bist‘ der Faschingsprinz von Salzburg", hat Klaus-Maria Brandauer mal gesagt, weil derjenige, der die Rolle spielt, auch abseits der Domplatz-Bühne ein gefragter Mann ist. Michael Maertens fühlt sich sichtlich wohl mit der Situation und verfügt auch über Rampensau-Qualitäten. Nicht die schlechteste Eigenschaft, um auf der Freilichtbühne zu bestehen.

Maertens ist ein Erzkomödiant und Entertainer, ein Meister darin, Pausen und Pointen zu setzen. Seine Figuren sind meist Neurotiker mit unverwechselbar nöligem Unterton, der oft eine ironische Distanz zwischen Darsteller und Rolle verrät. Das habe wohl mit seinem Hamburger Slang zu tun, meint er. In Salzburg müsse er sich da aber zurückhalten: "Ironie ist, glaube ich, falsch bei dem Abend. Vor allen Dingen dann, wenn es, in Anführungsstrichen, ans Eingemachte geht. Da geht es eigentlich dann eher um wahrhaftige Auseinandersetzung mit den Gefühlen."

Kein Mann nur fürs Leichte

In der Bühnenadaption von Yasmina Rezas Roman "Serge"" am Wiener Akademietheater war Maertens zuletzt als tieftrauriger Verzweiflungskomiker zu erleben. Bester Beweis dafür, dass es absolut verfehlt wäre, ihn als Mann fürs Leichte, gar Seichte abzustempeln. Von Shakespeare über Schiller bis Schnitzler– Maertens hat auch schon viele so genannte ernste Rollen gespielt. Den Hamlet zum Beispiel (nach eigenem Bekunden leider vergeigt) und Richard II. in der Dauerbrenner-Inszenierung von Claus Peymann.

Tatsächlich erinnere ihn der Richard stark an den Jedermann, erklärt Maertens. Beide Figuren stünden zu Beginn des Stückes im Zenit ihrer Kraft und spielten rücksichtslos die eigene Macht aus. Und dann folgten Entthronung, Reflexion und Tod. "Das hat eine große Fallhöhe und beschäftigt sich ohne große Umwege mit dem, was einer meiner Gründe ist, Theater zu spielen. Nämlich: Warum bin ich hier? Und vor allen Dingen: Warum muss ich wieder gehen?"

Am Ende wartet das Jenseits

Und so kann Michael Maertens am Domplatz stark aus sich selbst schöpfen. Er ist zwar kein Prahler und Prasser wie der Titelheld in von Hofmannsthals Mysterienspiel, sich aber sehr bewusst, dass sein Ruhm ebenso vergänglich ist wie dessen Reichtum. Die Rufer, die den Jedermann ins Jenseits abberufen – so viel war schon auf den Proben zu erleben – spuken der Figur in der Neuinszenierung von Michael Sturminger zunächst nur Kopf herum. Maertens spielt das, als würde ihm eine Migräne in den Schädel schießen. Der Kater nach dem Fest des Lebens.

Die Premiere des neuen "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen 2023 ist am Freitag (21.7). Eine Kritik der Inszenierung finden Sie im Anschluss hier.

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