Harry G. Frankfurt
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Kein "Bullshitter": Der Philosoph Harry G. Frankfurt ist tot

Freiheit, Gleichheit, Verantwortung: Harry G. Frankfurt dachte über die ganz großen Begriffe nach. Das machte ihn zu einem der wichtigsten Philosophen seiner Generation. Und zu einem Bestsellerautor. Nun ist er im Alter von 94 Jahren verstorben.

Ein Architekt war Harry Frankfurt nicht. Kein Grandios-Denker, keiner, dem es ums Ganze ging. Eher einer, der, ganz in der Tradition der Analytischen Philosophie, intellektuelles Vergnügen daraus zog, ein Problem etwas schärfer zu sehen als zuvor.

Man könnte es auch so sagen: Frankfurt war nicht Meisterdenker, sondern Handwerker, Begriffsschnitzer – und vielleicht gerade deshalb so nah dran an der Lebenswelt so vieler, ob nun mit Philosophiestudium oder ohne.

Begriffsarbeiter und Bestsellerautor

Zumindest wurde dieser Harry G. Frankfurt, ein akademischer Dinosaurier, Professor in Princeton und Yale, in den frühen 2000ern zum Bestsellerautor. Und zwar mit einem Büchlein, das sich Gedanken über ein Thema macht, das nun nicht gerade in den Kernbereich philosophischer Analyse fällt.

Frankfurt schrieb über Bullshit. Und nahm damit ein Phänomen in den Blick, das seinen Siegeszug in der politischen Öffentlichkeit des Westens erst ein paar Jahre später antreten sollte. Ein in gewisser Hinsicht prophetischer Text also. Wer Bullshit redet, der lügt nicht, so Frankfurt. Sondern schlimmer: Er (oder sie) hat gar kein Interesse an Wahrheit. Der Unterschied zwischen beidem spielt für ihn (oder sie) keine Rolle.

Nun kann man natürlich dagegenhalten, dass es ein bisschen naiv ist, anzunehmen in der politischen Kommunikation gehe es immer und ausschließlich um Wahrheit. Genauso wahr ist aber: Wenn es gar nicht mehr um Wahrheit geht, haben wir ein Problem. Das hat spätestens Donald Trump gezeigt, der "Paradebullshitter" schlechthin. Wenn Wahrheit in der politischen Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielt, dann verlieren wir auch den Bezug zu einer geteilten Realität. Die Folgen lassen sich in den USA bis heute beobachten. Insofern kam Frankfurts Warnung zur rechten Zeit, auch wenn sie nichts verhindert hat.

Frankfurt wächst als Adoptivkind auf

Geboren wurde Harry G. Frankfurt 1929 in Langhorn, einem winzigen Dorf im Nordosten der USA. Allerdings als David Bernard Stern. Den Namen "Harry" verpassten ihm erst die Frankfurts, seine Adoptiveltern, eine Klavierlehrerin und Buchhalter. Frankfurt wuchs in Brooklyn und Baltimore, wo er später die John Hopkins University besuchte, um Philosophie zu studieren. Mit Mitte Dreißig wurde er erstmals Professor, zunächst in New York. Wenig später veröffentlichte er seine wichtigsten Texte – zumindest im akademischen Kontext. Wer heute noch Philosophie studiert und (was nicht besonders schwierig ist) über die Frage der Willensfreiheit stolpert, der kommt auch an Frankfurt nicht vorbei.

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Ist nur derjenige verantwortlich für sein Handeln, der auch anders gekonnt hätte? Anders als die meisten Philosophinnen und Philosophen seiner Generation, meinte Frankfurt: Nein. Um zu demonstrieren warum, konstruierte er ziemlich vertrackte Gedankenexperimente, die zeigen sollen, dass wir Personen auch dann verantwortlich machen, wenn ihr Handeln alternativlos war.

Nachdenken über Willensfreiheit

Außerdem war er empfindlich dafür, dass ein gewisser Mangel an Freiheit zu einem erfüllten Leben dazugehört. Luthers "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders …" ist das vielleicht beste Beispiel dafür. Gerade in Momenten großer innerer Souveränität – etwa bei stark wertgeleiteten Entscheidungen – ist unsere erlebte Freiheit ziemlich klein, unser Handeln von einem inneren Müssen getrieben.

Nachdenklich war Harry G. Frankfurt bis ins hohe Alter. Seinem Hang zu kontraintuitiven Positionen blieb er dabei treu. Zuletzt erschien von ihm ein Essay über Ungleichheit. 2016 war das, der Philosoph kratzte damals bereits an die 90 und vertrat die These: "Ökonomische Ungleichheit als solche ist moralisch nicht verwerflich". Wichtiger als das Gleichviel, sei das Genug. Sozialpsychologen mögen da allerdings einwenden, dass auch das Genug etwas ist, das im Verhältnis zu dem erlebt wird, was die anderen haben. Wir vergleichen uns nun mal. Zufrieden (oder Unzufrieden) ist man eben nie allein.

"Manch wichtige Debatte ignoriert Frankfurt souverän", würdigte ihn die FAZ milde giftelnd zu seinem Neunzigsten. Allerdings ohne Zweifel daran zu lassen, dass dieser Philosoph genauso viele wichtige Debatten angestoßen hat. Nun ist Harry G. Frankfurt im Alter von 94 Jahren verstorben.

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