Ein jüdisches Buch und "Pünktchen und Anton", ein Werk von Erich Kästner, stehen in der Bibliothek.
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Die Werke von jüdischen, linksgerichteten und pazifistischen Autoren wurden 1933 verbrannt. Viele davon konnte Georg Salzmann retten.

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Von Kästner bis Kaléko: die "Bibliothek der verbrannten Bücher"

Vor 90 Jahren erreichten die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten ihren Höhepunkt. 9.700 dieser Werke sammelte der Münchner Georg Salzmann nach dem Krieg. Heute stehen sie in der "Bibliothek der verbrannten Bücher" in Augsburg.

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Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Vor 90 Jahren, am 10. Mai 1933, war der Höhepunkt der Bücherverbrennung in Deutschland durch die Nationalsozialisten. Den Flammen zum Opfer fielen vor allem Werke jüdischer, linksgerichteter und pazifistischer Autoren. Viele dieser Bücher haben heute in der "Bibliothek der verbrannten Bücher" an der Universität Augsburg eine neue Heimat gefunden. Die Sammlung stammt von Georg Salzmann und befindet sich in einem Nebenraum der Zentralbibliothek. Sie ist einmalig in Deutschland.

9.700 Bücher stehen in einem Nebenraum der Zentralbibliothek

Die "Bibliothek der verbrannten Bücher" gehört zu den Lieblingsorten der Literatur-Studentin Klara Mößnang. "Es ist überwältigend zu wissen, vor wie langer Zeit die Bücher gedruckt wurden, und was sie für eine Geschichte hinter sich haben", sagt Mößnang.

Unter den rund 9.700 Titeln hat die Studentin das Werk einer Lyrikerin entdeckt, die sie besonders fasziniert und über die sie auch schon eine Seminar-Arbeit geschrieben hat. "Das ist eine Gedichtanthologie von Gertrud Kolmar. Sie war eine jüdische Autorin, die im Alter von 48 Jahren in Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet wurde. "Was ich sehr fesselnd finde, ist, dass sie sehr viel über Frauen geschrieben hat", sagt Klara Mößnang. "Man könnte fast schon sagen, dass ihre Gedichte sehr emanzipatorisch und feministisch sind, und deswegen heute auch noch sehr aktuell."

Bereits 1945 fing Georg Salzmann an, Erstausgaben zu sammeln

Dass die 20-Jährige das Werk von Gertrud Kolmar überhaupt entdeckt hat, grenzt an ein Wunder. Denn die Schriften der jüdischen Lyrikerin fielen im Mai 1933 den landesweiten Bücherverbrennungen durch die Nationalsozialisten zum Opfer. Ebenso wie die Bücher von Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Mascha Kaléko, Erich Kästner, Anna Segers, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig und vielen anderen.

Dass junge Menschen wie Klara Mößnang dennoch Bücher dieser Autorinnen und Autoren lesen können, ist besonders dem Münchner Büchersammler Georg Salzmann zu verdanken. Schon 1945, gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, begann er Bücher zu suchen und zu sammeln, die von den Nazis verboten worden waren.

Sein Lebensziel sei es gewesen, zu verhindern, dass die besten Werke der deutschen Literatur infolge des Nazi-Regimes in Vergessenheit geraten. So hat es der inzwischen verstorbene Büchersammler Georg Salzmann einmal gesagt: "Ich hab es als meine Aufgabe angesehen, zu retten, was noch zu retten ist." Deutlich wurde dabei aber auch, wie viel Kulturgut damals von den Nationalsozialisten vernichtet worden war. "Es soll in das Bewusstsein der Bevölkerung, vor allem der jüngeren Leute, gebracht werden, dass die Nazis einen wesentlichen Teil der Literatur des 20. Jahrhunderts auf die Scheiterhaufen geworfen haben", ist von Georg Salzmann überliefert.

Salzmann war in ganz Europa unterwegs, durchforstete Antiquariate, ging zu Haushaltsauflösungen und auf Flohmärkte, um nach Erstausgaben zu suchen. Jahrelang lagerte sein Bücherschatz in seinem Wohnhaus in Gräfelfing bei München. Seit 2009 ist seine Sammlung im Besitz der Universitätsbibliothek Augsburg und öffentlich zugänglich.

1933 brannten in 22 Universitätsstädten Bücher

Ein Glücksfall, denn für viele Autoren bedeutete die Machtergreifung durch die Nazis auch das Ende ihrer schriftstellerischen Arbeit. Andrea Voß ist Fachreferentin für Germanistik an der Uni-Bibliothek Augsburg. Sie betreut die Sammlung von Georg Salzmann. "In 22 Universitätsstädten brannten die Bücher, auf zentralen Plätzen, vor den Universitäten, aber auch vor und nach dem Mai fanden zerstörerische Verbrennungsaktionen der Studenten statt", sagt Andrea Voß. "Das heißt: Das ganze Jahr 1933 wurden in Deutschland Bücher verbrannt. Der Mai ist nur der historische Höhepunkt, einer sehr frühen Aktion, einer sehr zerstörerischen Aktion, mit großer Strahlkraft, auch international natürlich."

Büchersammler Georg Salzmann zumindest hat sein Ziel erreicht: Junge Menschen wie Klara Mößnang können in seiner "Bibliothek der verbrannten Bücher" weiterhin Literatur lesen, die einst von den Nazis verboten worden war. Und immer öfter nutzen auch Schulklassen die Chance, schon fast vergessene Autoren wieder zu entdecken.

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Exemplare aus der "Bibliothek der verbrannten Bücher" in Augsburg

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