Die deutsche Industrie im Hintertreffen: Wie sieht die richtige KI-Strategie aus?
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Die deutsche Industrie im Hintertreffen: Wie sieht die richtige KI-Strategie aus?

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KI-Revolution: Welche Chancen haben deutsche Firmen noch?

Wieder ist Europa im Hintertreffen: Bei der Künstlichen Intelligenz dominieren Konzerne aus Amerika und China. KI-Experte Alexander Thamm und Vanessa Cann vom KI Bundesverband glauben aber: Die deutsche Industrie hat viele ungenutzte Möglichkeiten.

Über dieses Thema berichtet: Computermagazin & Umbruch am .

Künstliche Intelligenz entwickelt sich immer schneller weiter. So schnell, dass es selbst Fachleute überrascht: "Ehrlicherweise hätte ich bis vor einem halben Jahr nicht für möglich gehalten, dass es so gut funktioniert", sagt Alexander Thamm, Chef einer Münchner Beratungsfirma für Daten und KI, im Gespräch mit BR24. "Was mich gerade total flasht, das ist die Verknüpfung von den Sprachmodellen mit Agentensystemen. Mein PR-Kollege und ich haben uns zum Beispiel eine komplette Social Media-Strategie einfach runterschreiben und teilweise ausführen lassen. Und das Ganze hat eine halbe Stunde gedauert."

Geschichten wie diese hört man immer öfter: KI, die in kürzester Zeit Aufgaben erledigt, für die man früher ein ganzes Team von Menschen gebraucht hätte. Nur: Dafür verantwortlich sind vor allem KI-Modelle wie GPT-4, das von dem amerikanischen Startup OpenAI mit Unterstützung von Microsoft entwickelt wurde. Findet die Revolution also – wieder einmal – ganz außerhalb von Europa statt?

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Eine KI für die deutsche Industrie

Alexander Thamm meint: Nicht unbedingt. Zumindest, wenn die deutsche Industrie einen Weg findet, ihre Vorteile auszuspielen: "Wir haben Industrieunternehmen, die seit 100 Jahren existieren und das kannst du als Google oder Microsoft nicht so schnell aufholen", sagt er. Er könne sich ein neues KI-Modell speziell für die deutsche Industrie vorstellen. Das müsse nicht wie ChatGPT versuchen, alles zu können, sondern könnte spezialisiert arbeiten: "Kann man vielleicht so eine Art Industrie-Metamodell bauen? Dass ich zum Beispiel alle Anleitungen von allen Maschinen, die es in den Maschinenbauverbänden gibt, da reinlade und auf einmal lernt die KI Maschinenbau-Sprech?"

Auch Vanessa Cann sieht im BR24-Gespräch Chancen für deutsche Unternehmen. Sie ist Geschäftsführerin des KI Bundesverbandes, einem Zusammenschluss von KI-Startups, kleinen Unternehmen und Experten. "Der europäische Ansatz muss wirklich sein: Was braucht unsere Industrie? Was ist unsere Stärke, mit der wir spielen können? Da liegen unfassbar viele Daten und das ist etwas, wo wir auch drei Schritte voraus sein können."

KI kann noch nicht einfach eingesetzt werden

Es geht um viel: Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt in den nächsten Jahren wohl stark verändern. Vanessa Cann vergleicht die Entwicklung mit der Einführung des PC: "Der Mensch, der früher keinen PC genutzt hat, wird mittlerweile ersetzt durch den Mensch, der einen PC nutzt. Und in Zukunft wird der Mensch, der eine KI nutzt, den Menschen, der einen PC nutzt, ersetzen."

Einer Prognose von Goldman Sachs zufolge könnte in Zukunft ein Viertel aller Arbeitsaufgaben von künstlicher Intelligenz übernommen werden – ein enormer Produktivitätsschub. Doch dafür muss die KI erst einmal eingesetzt werden können. Und das ist nicht einfach. "Ich war jetzt erst auf einer Konferenz mit vielen Head of AIs", erzählt Vanessa Cann. "Die sagen allesamt: Wir können diese Lösungen, die es momentan vom US-amerikanischen Markt gibt, nicht verwenden. Weil was passiert? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben Firmengeheimnisse rein, und dann gehen diese Daten zu OpenAI aufs US-Festland, wo wir keinen Einfluss mehr haben."

Erklärbare KI aus Europa?

Wenn Europa international nicht abgehängt werden soll, braucht es also Lösungen, um KI sicher und vertrauenswürdig zu machen: "Einfach zu sagen, wir machen jetzt OpenAI 2.0 aus Europa, dafür ist es schon zu spät", sagt Vanessa Cann. "Was aber schon eine Lösung sein kann, ist zu fragen: Was können denn die Modelle momentan nicht? Ich weiß, OpenAI hat Open im Namen, aber da ist nichts offen dran. Da ist keine Transparenz, keine Erklärbarkeit dahinter. Wir müssen besser nachvollziehen können, wie die KI zu ihrer Entscheidung kommt."

Genau hier setzt zum Beispiel das Heidelberger Start-Up Aleph Alpha an. Das hat zwar nur einen Bruchteil der Geldmittel von OpenAI zur Verfügung, arbeitet aber mit Hochdruck an generativer KI, deren Ergebnisse transparent und nachvollziehbar sind – und das alles made in Europe. Kleine Unternehmen, so die Hoffnung, könnten schon bald eng mit der deutschen Industrie zusammenarbeiten – und spezialisierte KI-Lösungen entwickeln, deren Ergebnisse für ihre Kunden besser funktionieren als die der großen amerikanischen Firmen.

Mehr Kooperation statt Konkurrenz

Für viele Firmen könnte das allerdings bedeuten, in den sauren Apfel beißen zu müssen. Denn, so meint Vanessa Cann vom KI Bundesverband: Es braucht vor allem mehr Kooperation. "Die etablierten Unternehmen tun sich weiterhin sehr schwer, zusammenzuarbeiten, wenn es zum Beispiel ums Teilen von Daten geht. Man hat sehr stark diese Konkurrenz-Brille auf. Aber Zusammenarbeit kann eine ganz große Stärke sein. Unternehmen in einem ähnlichen Bereich könnten ihre Daten teilen, und so zusammen ein KI-Modell entwickeln, was für ihren Fachbereich auch sinnvoll ist."

Größere Organisationen könnten außerdem besser mit der kommenden Regulierung umgehen. "Das Risiko ist natürlich schon, dass die Regulatorik, die wir bauen, ähnlich wie bei der DSGVO, eher die kleinen, innovativen Unternehmen hemmt", sagt KI-Experte Alexander Thamm mit Blick auf den kommenden AI Act der Europäischen Union. "Weil es die großen Unternehmen eher hinbekommen, Leute für Compliance abzustellen."

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