Der Soziologe Hartmut Rosa im Jahr 2015
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Der Soziologe Hartmut Rosa im Jahr 2015

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Der Soziologe beim Headbanging: Hartmut Rosa über Heavy Metal

Über zehn Millionen Deutsche hören regelmäßig Heavy Metal. Den Soziologen Hartmut Rosa wundert das nicht: Metal sei für viele Menschen eine existenzielle Angelegenheit, schreibt er in seiner eben erschienenen Analyse dieser Stilrichtung.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Heavy Metal sei wie eine "feste Umarmung", sagt Hartmut Rosa im Interview mit dem BR. Das ist das vielleicht eindrücklichste Bild, das der Soziologe wählt, um die Wirkung dieses Musikgenres zu beschreiben - egal, ob in positiver oder in negativer Richtung.

Heavy Metal: Wie eine feste Umarmung

Wo gewünscht, sei eine feste Umarmung ja etwas sehr Schönes, so Rosa. Sei sie jedoch nicht erwünscht, werde sie als Übergriff erlebt. So ähnlich sei es auch mit Heavy Metal. Die einen fühlten sich regelrecht aufgehoben in dieser "Ganzkörpermusik", wie Rosa sie nennt. Bei den anderen löst sie starke Ablehnung aus. Kein Wunder: Immerhin ist Metal auch einer gewissen Lautstärke verpflichtet. Oder wie Rosa es ausdrückt: "Metal hören kann man eigentlich nicht leise."

Hartmut Rosa, Soziologieprofessor in Jena und Erfurt, ist einer der prominentesten Vertreter seines Fachs. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde der er vor allem durch seine Überlegungen zu Zeitknappheit und Entfremdung in der Gegenwartsgesellschaft. Dagegen setzt der 57-Jährige den Begriff der Resonanz, seine Metapher für eine "schwingende" und also gelingende, sinnstiftende Beziehung zur Welt.

Und hier kommt Metal ins Spiel: Bei über 100 Dezibel in Wacken gerät schließlich jede Zelle ins Schwingen. Mehr Resonanz geht kaum. "Heavy Metal ist eine Musik, die die Menschen mit dem ganzen Körper wahrnehmen", sagt Rosa. Was auf körperlicher Ebene gilt, gilt für viele auch auf geistiger. Dem Musikmagazin "Van", gestand der Soziologe vor ein paar Jahren, dass er seine einschlägigsten "musikalischen Resonanzerlebnisse" dem Komponisten Anton Bruckner und Heavy Metal verdanke. Zitat: "Auch bei Heavy Metal, zum Beispiel bei Savatage, musste ich mal aus der Halle gehen, weil ich so bewegt war."

Für viele eine "Rettung"

Diese Erfahrung hat Rosa nun zum Gegenstand seiner Forschung gemacht - und das in Gestalt einer "Kleinen Soziologie des Heavy Metal", die gerade erst erschienen ist. Eine Erkenntnis seiner Arbeit: Er ist bei weitem nicht der einzige, der mit dem Hören von Heavy Metal existenzielle Erfahrungen verbindet. Tatsächlich zeigten Studien, dass 30 bei 40 Prozent der Hörerinnen und Hörer die Aussage unterschreiben würden, Metal habe sie "gerettet". Dazu passe auch, dass viele Fans Wacken als einen Ort beschrieben würden, "an dem sie heil sein können", so Rosa im BR-Interview. Nicht umsonst werde der Bereich zwischen den Bühnen in Wacken "Holy Ground" genannt.

Womit Rosa ein weiteres wichtiges Merkmal dieser Musikrichtung antippt: Ihre Nähe zu Religion. Das zeige sich auch in den vielen Ritualen, die es im Metal gebe. Von der "gehörnten Hand" (dem berühmten Metaller-Gruß) bis zum Headbanging - die Szene verfügt über ein ganz eigenes Repertoire an Zeichen und Gesten. Und auf dieses Repertoire können sich nicht nur erstaunlich viele, sondern auch erstaunlich unterschiedliche Menschen einlassen.

Ein Querschnitt durch die Gesellschaft

Metal versammele gewissermaßen einen Querschnitt durch die Gesellschaft, sagt Rosa. Fans dieser Musikrichtung fänden sich in allen Altersgruppen, allen Schichten und allen politischen Lagern. Ganz offenbar auch unter Soziologieprofessoren. Seine eigenen "wilden Zeiten" seien zwar vorbei, gesteht Rosa, der in seiner Jugend selbst in einigen Metal-Bands gespielt hat. Die Leidenschaft für diese Musik ist allerdings geblieben.

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