Ein Mann trägt im Rahmen einer Kranzniederlegung vor der Synagoge eine Kippa mit Judenstern. Die Stadt gedenkt der Opfer der Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1938 und die Jüdische Gemeinde feiert 20 Jahre Weihe der Neuen Synagoge Dresden.
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Ein Mann trägt im Rahmen einer Kranzniederlegung vor der Synagoge eine Kippa mit Judenstern

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Der "Kostümjude": Zur Debatte um Fabian Wolff

Er sei gar nicht jüdisch, gestand der vermeintlich jüdische Publizist Fabian Wolff vor kurzem. Wir haben mit der Judaistin Barbara Steiner darüber gesprochen. Das Bedürfnis, sich als jüdisch zu identifizieren, habe hierzulande Geschichte, sagt sie.

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Seit etwa zwei Wochen ist es raus: Fabian Wolff ist nicht jüdisch. Zu diesem Geständnis rang sich der Journalist in einem langen Text bei "Zeit Online" durch. Titel: "Mein Leben als Sohn". Tenor: Seine Mutter habe ihn über seine Herkunft getäuscht.

Fabian Wolff: Ein ehrliches Outing?

Das wäre alles nicht so wichtig, hätte Wolff sein vermeintliches Jüdischsein in seinen Texten nicht ständig als Autoritätsargument benutzt – und nicht selten, um andere Positionen scharf abzukanzeln. In den vergangenen Jahren machte er sich vor allem als jüdischer Israelkritiker einen Namen. Wolff habe sich "genau mit dieser Position in die Herzen der deutschen Intellektuellen katapultiert", kommentierte die Autorin Mirna Funk den Fall in der FAZ. "Fabian Wolff hat über Jahre den Juden performt, den sich jeder Deutsche wünscht."

Zudem wurden inzwischen auch Zweifel an der Aufrichtigkeit seines Outings laut. Kaum ein Thema wird in den deutschen Feuilletons derzeit so heiß diskutiert: Hatte Wolff schon früher Kenntnis davon, wie fraglich seine jüdische Identität ist? War sein Geständnis am Ende nur eine taktische Flucht nach vorn? Um das zu klären, recherchiert die "Zeit" mittlerweile sogar ihrer eigenen Veröffentlichung hinterher.

Erst gestern veröffentlichte die Chefredaktion mit Blick auf Wolffs Bekenntnisartikel einen "Faktencheck", der zu dem so skeptischen wie salomonischen Schluss kommt: "Unsere Recherchen zeigen (...), wie er die spärlichen, von seiner Mutter erfundenen Informationen zu seinem vermeintlichen Jüdischsein durch weitere 'fundierte Spekulationen', wie er sie selbst bezeichnete, ergänzt hat. Diese 'fundierten Spekulationen' sind von bewussten Täuschungen teilweise nur mit gutem Willen zu unterscheiden."

Was macht die jüdische Sprecherposition so attraktiv?

Klar scheint zu sein: Fabian Wolff hatte ein Interesse daran, aus einer jüdischen Perspektive zu sprechen. Und die Redaktionen, die ihn viel beschäftigt haben – etwa bei der "Zeit", der "Süddeutschen Zeitung" oder dem "Spiegel" – hatten ein Interesse daran, ihn aus dieser Perspektive sprechen zu lassen. So sieht es auch die Judaistin und Historikerin Barbara Steiner. "Das ist natürlich für Zeitungen ganz angenehm, wenn sie unliebsame Positionen an Juden delegieren können", so Steiner im Interview mit dem BR, denn "dann müssen sie sich selber nicht dem eventuellen Vorwurf des Antisemitismus aussetzen."

In ihrer Dissertation hat sich Steiner mit der Frage auseinandergesetzt, wieso so viele Deutsche nach 1945 zum Judentum konvertiert sind. Tatsächlich habe das Bedürfnis, sich als Jüdin oder Jude zu identifizieren, hierzulande eine gewisse Tradition, sagt sie. Wenngleich die Motive sehr verschieden seien. Kurz nach Kriegsende seien es vor allem Täter gewesen, die versucht hätten, sich in der Rolle von Jüdinnen und Juden aus der Verantwortung zu stehlen. Heute habe es wohl eher mit dem "Suchen nach Aufmerksamkeit" zu tun.

Bediente Wolff antisemitische Stereotype?

Letztlich zeigten Fälle wie der von Fabian Wolff, dass es in Deutschland immer noch an der Aufarbeitung des Nationalsozialismus hapere, vor allem was die individuelle Familiengeschichte angehe. "Es ist viel leichter, sich als Jude neu zu erfinden, als anzuerkennen, dass man Täter-Nachfahre ist." Neben einer Aufmerksamkeits- hat die Fiktion einer jüdischen Biografie also auch eine Entlastungsfunktion.

Na, und? Könnte man nicht so gelassen reagieren, wie es Meron Mendel in der "Zeit" erwägt? ("Als Israeli sagt (...) mein Bauchgefühl: If you want to be a Jew, you're one of us. Am liebsten würde ich so einem Wolff sagen: 'Hey Fabian, komm dazu. Be my guest!'") So einfach sei es in diesem Fall nicht, meint Steiner. Schließlich habe sich Fabian Wolff in eine Rolle hineinfantasiert, die auch antisemitische Stereotype bediene. "Und das ist das Problem mit den 'Fakejuden' insgesamt – dass sie Bilder von Juden entwerfen, die so nicht existieren und damit die Arbeit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland konterkarieren und stören."

Die "Zeit" entschuldigt sich

Bei der "Zeit" scheint man das inzwischen erkannt zu haben. Denn in dem gestrigen Faktencheck findet sich zum ersten Mal auch das: eine Entschuldigung, vor allem mit Blick auf einen älteren Text Wolffs, in dem dieser die jüdische Community selbst harsch kritisiert. "Es tut uns insbesondere leid, dass Fabian Wolff mit diesem Text viele Jüdinnen und Juden verletzt hat", schreibt die Chefredaktion, "unter anderem dadurch, dass er aus einer – vermeintlich – jüdischen Sprecherposition scharfe Kritik an der jüdischen Gemeinde in Deutschland oder deren Mitglieder geäußert hat."

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