Ronen Steinke (Jurist und Journalist).
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Ronen Steinke. Der Jurist und Journalist hat das Buch geschrieben: "Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht"

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"Schadet der Demokratie": Ronen Steinke über Verfassungsschutz

Der deutsche Verfassungsschutz sei ein "nebelumhüllter Geheimdienst", ein "Politik-Beobachtungs-Geheimdienst", der der Demokratie schade, schreibt der Journalist und Jurist Ronen Steinke in seinem neuen Buch. Er plädiert für dessen Abschaffung.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

In der Idealvorstellung sei der Verfassungsschutz ein "neutraler Türsteher der Demokratie", schreibt SZ-Journalist Ronen Steinke in seinem neuen Buch. Aber genau diesem Auftrag, politische Neutralität walten zu lassen, werde er oft genug nicht gerecht.

Im Gespräch mit dem BR urteilt Steinke: "Das geschieht hinter den Kulissen. Ein Grund mehr für uns als Demokratinnen und Demokraten, ihn kritisch zu hinterfragen." Er beschäftige sich seit sieben, acht Jahren mit dieser Geheimdienst-Welt, sei da unterwegs: "Ich unterhalte mich mit V-Leuten, und für mich war wichtig, das mal gründlich zu sortieren. Ich will mich nicht nur aus alten Archivsachen bedienen, sondern ich will die Agentinnen und Agenten sprechen, den Präsidenten des Verfassungsschutzes interviewen, ich will selber in Akten schauen."

Aus seiner Sicht Sicht ist "das ist so eine heikle Stelle in unserem demokratischen Ablauf, dass ein Geheimdienst da eingreifen und die politische Dynamik in unserem Land verändern kann, - das kann man gar nicht gründlich und sachlich genug aufklären."

Eine im Verborgenen agierende Institution

Der Verfassungsschutz ist in den letzten Jahren immer mal wieder in die Schlagzeilen geraten, vor allem wegen seines vormaligen, laut Steinke "rechtslastigen" Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Es gab Ungereimtheiten im Zuge der Ermittlungen zu einzelnen NSU-Morden, etwa dem an Halit Yozgat 2006 in seinem Internetcafé in Kassel. Bei dessen Ermordung war ein Agent des Verfassungsschutzes anwesend.

Das inwendige Leben dieser Institution kennt man kaum. Wer weiß schon, dass es eine "Akademie für Verfassungsschutz" gibt. Dort werden Nachwuchskräfte ausgebildet. Wer ahnt den gigantischen personellen Zuwachs, den der Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren erfahren hat? Und wer hat noch auf dem Schirm, dass dank des "Radikalenerlasses" von 1972 – übrigens verabschiedet unter Willy Brandt – in Bayern bis 1991 jeder durchleuchtet wurde, der im Öffentlichen Dienst arbeiten wollte.

Steinke beschäftigt sich auch mit der Geschichte, aber vor allem mit der Gegenwart dieses von ihm sogenannten "Politik-Beobachtungs-Geheimdiensts", der einschüchtere und somit die Demokratie beschädige. Im Buch schreibt er: "Die Erwartung, dass gegen Protestbewegungen oder auch andere gesellschaftliche Entwicklungen, die politisch auf Missfallen stoßen, der Inlandsgeheimdienst ausrückt, ist immer häufiger zu hören."

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Hans-Georg Maaßen: unter dem Ex-Verfassungsschutz-Chef geriet der Geheimdienst wiederholt in die Schlagzeilen

Sind Klimaaktivisten Verfassungsfeinde?

Der deutsche Inlandsgeheimdienst "scannt die Bevölkerung nach politischen Kriterien", so Steinke. Wieso ist das problematisch, wird jetzt mancher fragen. Ist doch – siehe die in dieser Woche erfolgte Einstufung der Jugend-Organisation der brandenburgischen AfD als gesichert rechtsextremistisch – richtig, wenn einer schaut, ob Parteien verfassungstreu im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung – handeln.

Das sei die Idee, weswegen dieser Geheimdienst auch gegründet wurde: Er sollte wachsam sein, wo sich Anti-Demokraten zusammentun, um die Demokratie von innen heraus lahmzulegen. Das sei eine Lehre aus der deutschen Geschichte, eine gute Vorsicht– aber das sei die Theorie, sagt Steinke. "Die Praxis ist: Niemand definiert uns, wer Verfassungsfeinde sind. Da gibt es keine klare Checkliste, sondern das ist etwas, was die jeweilige Regierung selbständig bestimmen kann".

Das sei eine große Macht, eine Deutungshoheit. Dann entscheide der Verfassungsschutz mal in dem einen Bundesland zu sagen: Klimaaktivisten sind Antikdemokraten, die verfolgen wir jetzt. Und in dem anderen Bundesland heiße es dann: Kapitalismuskritiker. So entstünden am Ende Eingriffe in eine eigentlich offene demokratische Debatte, die dadurch weniger offen sei.

In Bayern sind Antifaschisten ein "Beobachtungsobjekt"

Ein Problem sei auch die niedrige "Eingriffsschwelle". Das heißt, man muss gar nichts angestellt haben, um zum "Beobachtungsobjekt" deklariert zu werden. Ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes ist bis heute die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN).

Dieser Vereinigung gehört etwa der Augsburger Chirurg Harald Munding an. Wie aber geriet dieser unbescholtene Mann und bayerische Landessprecher des VVN ins Visier des Verfassungsschutzes? Ronen Steinke erzählt die Geschichte im BR-Interview: Überlebende der Konzentrationslager hätten die Gruppe 1945 gegründet, und natürlich seien da viele Kommunisten dabei gewesen. Und das sei der Grund, warum diese Gruppe in Bayern, aber auch in vielen anderen Bundesländern als antidemokratisch angeprangert und bekämpft worden sei, zum Teil bis heute.

"Die werden in die Ecke gestellt als ein letztlich nicht legitimer Beitrag zur Demokratie; nicht etwa als eine Stimme im Konzert, wo es ja auch Streit geben darf und soll, sondern als Fremdkörper". Das seien Leute, die heute Kränze niederlegen, Gedenkveranstaltungen mit Leben erfüllen, sehr hochbetagte Menschen, und die würden weiterhin von unserem Sicherheitsapparat so hingestellt. Harald Munding nennt das eine folgenreiche "Einschüchterungspolitik, die wirkt".

"Renazifizierung" in der frühen Bundesrepublik

Steinke behandelt auch die frühe Infiltration des Verfassungsschutzes mit Leuten, die in der Zeit des Nationalsozialismus etwa als Staatsanwalt gearbeitet hatten: Hubert Schrübbers, Chef des Verfassungsschutzes 1955 bis 1972, hatte so eine Nazi-Vergangenheit. Und der war kein Einzelfall.

Steinke nennt es eine regelrechte "Renazifizierung", die in den 50er- und 60er-Jahren eingesetzt habe, als die Studentenbewegung in ganz andere politische Richtungen aufzubrechen begann. Bemerkenswert auch, dass der ehemalige thüringische Verfassungsschutz-Chef Helmut Roewer sich nach Ende seiner Dienstzeit im Jahr 2000 politisch radikalisiert hat und seitdem als "umtriebiger rechtspopulistischer Publizist" unterwegs ist, wie Steinke schreibt.

Das alles legt den Verdacht nahe, dass der Verfassungsschutz schon immer einen Drall nach rechts gehabt hat. Steinke: "Sicherlich hatten alle Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik die längste Zeit einen Drall nach rechts. In den 60-er und 70-er Jahren waren Polizei und Staatsanwaltschaften durchsetzt von alten braunen Seilschaften. Das hat dann mit dem Generationswechsel abgenommen".

Steinke will es explizit nicht festmachen an Einzelpersonen, die als besonders rechts aufgefallen sind im Verfassungsschutzapparat, weil das ablenken würde von dem größeren, strukturellen Thema.: "Alle, die im Verfassungsschutz arbeiten – viele von ihnen auf Bundes- und Landesebene habe ich kennengelernt – sind Menschen mit einem starken politischen Sendungsbewusstsein. Und das kann man dort ausleben in der Form, dass man Menschen, deren Überzeugungen politisch querstehen zu den eigenen, anprangert, bekämpft, verunsichert", so Steinke. Und damit wirft er die generelle Frage auf: "Mit welcher Legitimation tut das ein Geheimdienst in einer Demokratie?"

Digitale Spione im Netz

Braucht es zwingend einen Verfassungsschutz? Steinke meint: nein: Er schlägt vor, die Man- und Womanpower, die beim Verfassungsschutz üppig auf diese wichtige Arbeit verwendet wird, in Zukunft komplett zu Polizei und Strafverfolgern hinüberzuschieben, wo sie hingehöre und auch dringend gebraucht werde.

Seit 2018 steht Thomas Haldenwang in Köln-Chorweiler an der Spitze des deutschen Verfassungsschutzes. Ein "viel liberalerer Mann" als sein Amtsvorgänger Hans-Georg-Maaßen, so Steinke in seinem erhellenden Buch. Bis heute denken viele bei Spionen zuvörderst an analoge, leibhaftige Menschen.

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Thomas Haldenwang: "Ein viel liberalerer Mann" als sein Amtsvorgänger Maaßen

Dabei gibt es längst das digitale Agentenwesen. Dem widmet der 1983 geborene Autor auch ein Kapitel. Der Verfassungsschutz unterhält zahlreiche Fake Accounts im Netz, die angelegt werden, um auf Insta- oder Telegram sowie dem gerade unter Rechtsextremen beliebten Netzwerk Gettr zum Beispiel verdächtige Personen unter gefälschter Identität auszuspionieren und mit ihnen in Kontakt zu treten.

Im Münchner Osten, erfährt man hier, gibt es eine sogenannte "Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich", die "digitale Dietriche" fertigt. Ronen Steinke hat ein gut recherchiertes Buch vorgelegt, das eine wichtige Diskussion anstößt.

Ronen Steinke: "Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht" , ist im Berlin Verlag erschienen.

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Cover: Ronen Steinke. Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht

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