Ein Mann trägt im Rahmen einer Kranzniederlegung vor der Synagoge eine Kippa mit Judenstern - aufgenommen im November 2021.
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Der Zentralrat der Juden registriert zunehmenden Antisemitismus in Deutschland - und fordert aktive Prävention, etwa in Integrationskursen.

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Zentralrat: Juden in Deutschland fühlen sich stärker bedroht

Der Antisemitismus habe zugenommen, der Zulauf zu palästinensischen Demonstrationen sei auffallend: Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, äußert sich besorgt. Unterdessen rufen Vertreter von Muslimen und Juden zur Besonnenheit auf.

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Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, warnt vor einer zunehmenden Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland. Schließlich, so Schuster in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", habe der Antisemitismus im Land insgesamt zugenommen. Dieses Problem sei auch unter muslimischen Einwanderern "offensichtlich groß".

Arabischstämmige Menschen, die nach Deutschland kämen, hätten in den Schulen ihrer Heimat jeden Tag israelfeindliche Zerrbilder gelehrt bekommen und würden auch zu Hause nichts anderes hören. "Diesen Menschen fällt es wohl erst einmal schwer, sich von dieser Sicht auf Israel und die Juden zu lösen." Umso wichtiger sei es, sagte Schuster, dass auf die Menschen eingewirkt werde, schon in den Integrationskursen.

"Erheblich mehr Zulauf zu den palästinensischen Demonstrationen"

Der Zentralratsvorsitzende hatte nach eigenen Worten bereits nach der großen Migrationsbewegung im Jahr 2015 mit viel mehr antisemitischen Vorfällen gerechnet. Dass man diese Erfahrung nicht gemacht habe, habe ihn positiv überrascht. Nun falle aber auf, "dass wir im Moment erheblich mehr Zulauf zu den palästinensischen Demonstrationen in Deutschland haben". Sein Eindruck: Ein Teil der Menschen, die ins Land gekommen seien und sich zunächst unauffällig verhalten hätten, sei nun bereit sei, auf die Straße zu gehen und auch gewalttätig zu werden.

Nach Ansicht des Würzburgers Schuster ist die gefährlichste Form des Judenhasses in Deutschland aber der rechtsextreme Antisemitismus. Besorgt äußerte sich der Zentralratspräsident in dem Zusammenhang über die hohen Umfragewerte für die AfD. Die Partei trage "antisemitische Denkmuster in die Mitte der Gesellschaft".

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Pro-Palästina-Demonstranten.
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Pro-Palästina-Demonstranten.

Mazyek: Rassismus ist im Islam eine Sünde

Die Folgen des Krieges im Gazastreifen und in Israel beunruhigen auch den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Er macht sich nach eigenen Angaben große Sorgen über die Lage in Deutschland. Auf den Straßen seien derzeit Hass, Gewalt und Antisemitismus zu sehen. Das verurteile er ganz klar und deutlich. Das Vorgehen der Hamas bezeichnete er in den ARD-Tagesthemen als einen "schlimmen Terroranschlag".

Mazyek betonte, er verhehle nicht, dass es auch Muslime gebe, die antisemitisch seien - und das müsse man bekämpfen. Rassismus sei im Islam eine Sünde. Gerade die deutschen Muslime hätten eine besondere Verantwortung - auch gegenüber Juden und Israel. Muslime und Juden in Deutschland dürften sich nicht auseinanderdividieren lassen. Gerade die Religion biete Möglichkeiten und Formen, Gemeinsamkeiten und Anteilnahme zu bekunden, beispielsweise durch gemeinsame Friedensgebete. Deshalb habe er am Freitag eine Synagoge besucht.

Mazyek betonte zugleich, dass die Moscheegemeinden in den vergangenen Wochen "sehr stabil" geblieben seien und sich nicht von Hass hätten leiten lassen. Auch unter den Muslimen in Deutschland gebe es viele, die Angehörige und Freunde in Gaza verloren hätten. Auch ihnen müsse es möglich sein, Gefühle der Angst, Trauer und Ohnmacht öffentlich zu bekunden. Für sie gelte ebenfalls die Demonstrationsfreiheit, die allerdings friedlich genutzt werden müsse. Muslime sollten deshalb genau hinschauen, wer die Veranstalter von Demonstrationen seien und welche Ziele sie verfolgten.

"Muslime und Juden sitzen im gleichen Boot"

Auch der Berliner Rabbiner Andreas Nachama forderte gemeinsame Anstrengungen, um eine Eskalation von Hass und Gewalt in Deutschland zu verhindern. "Muslime und Juden sitzen im gleichen Boot", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Man werde von Rechtsextremen gleichermaßen antisemitisch oder rassistisch bedroht, sollte deshalb "miteinander für eine tolerante Gesellschaft eintreten".

Nachama, der sich in Berlin für den Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen stark macht, ahnte, Muslime nicht pauschal als gewaltbereit abzustempeln. Die Gewaltbereitschaft betreffe eine bestimmte Szene. Er habe in der muslimischen Community viele Freunde und appelliere an alle, einen Weg zur Geschwisterlichkeit und Partnerschaft zu finden.

Hunderte Straftaten bei Demos zum Nahost-Konflikt

Mehrere Gerichte hatten in den vergangenen Tagen pro-palästinensische Demonstrationen wegen befürchteter Straftaten verboten. In München und Frankfurt kippten höhere Instanzen die Verbote der für diesen Samstag geplanten Demos allerdings wieder.

Bei den Protesten zum Nahost-Konflikt wurden laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bislang mehr als 1.100 Straftaten registriert. Es handle sich um vorläufige Zahlen, vielerorts liefen Ermittlungsverfahren. Faeser mahnte eine rasche Verurteilung der Täter an. Dem BKA-Vizepräsident Jürgen Peter zufolge gibt es dabei weiterhin keine Anzeichen einer konkreten Gefährdung. "Wir haben keinen Hinweis auf einen konkret bevorstehenden Anschlag", sagte er in Wiesbaden. Die aktuelle Lage sei jedoch "sehr, sehr volatil".

Die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, setzt sich vor diesem Hintergrund dafür ein, Antidiskriminierungsgesetz auszuweiten. "Das würde helfen", sagte Ataman den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, "besser gegen israelbezogenen Antisemitismus vorzugehen." Anders als in anderen EU-Ländern sei eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in Deutschland bislang legal.

Die Diskriminierungsverbote würden derzeit etwa nicht gelten, wenn Juden aufgrund ihrer israelischen Staatsangehörigkeit benachteiligt würden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, unterstützt die Forderung. Er sagte: "Wir brauchen effektivere Gesetze zur Bekämpfung von Antisemitismus."

Mit Informationen von dpa und KNA.

Im Video: Kontrovers – Hamas-Sympathisanten in Bayern

Demo in München
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Hamas-Sympathisanten in Bayern

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