Ein Polizist steht bei Klima-Aktivisten, die sich in München auf die Straße geklebt haben
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Aktivisten haben sich Anfang Dezember in München auf die Straße geklebt - auch sie wurden von der Polizei losgelöst.

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Warum Polizisten Klima-Aktivisten nicht kleben lassen

Wer sich in Bayern als Klima-Aktivist auf eine Straße klebt, den löst die Polizei wieder ab. Im Netz fragen sich manche, ob die Behörden die "Klima-Kleber" nicht kleben lassen könnten. Warum das kaum möglich ist, erklärt dieser #Faktenfuchs.

Dieser #Faktenfuchs ist erstmals am 28. Dezember 2022 auf BR24 erschienen. Die Frage, warum die Behörden die "Klima-Kleber" nicht kleben lassen, wird im Netz weiterhin häufig gestellt. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert und am 10. Januar inhaltlich aktualisiert.

Wenn sich Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" auf die Straße kleben, endet der Protest immer gleich: Die Polizei entfernt erst den Kleber und dann die Demonstrierenden. Auf Twitter raten einige Nutzer der Polizei, die Klima-Aktivisten einfach kleben zu lassen. So schreibt einer: "In #München schaut die Polizei gelassen zu, wie sich #Klimakleber am #Stachus auf die Straße kleben. Tipp: Einfach sitzen lassen." Ähnlich formuliert es ein anderer User, der fordert, den Verkehr umzuleiten und die Aktivisten sitzen zu lassen. Und auch per Mail erreicht den #Faktenfuchs die Frage, "warum man diese Leute nicht einfach kleben lässt?"

Warum das nicht so einfach möglich ist, erklärt dieser #Faktenfuchs am Beispiel der Proteste in München.

Klima-Proteste sind Versammlungen

Rechtliche Grundlage ist das Versammlungsgesetz (VersammlG) des Bundes. Denn: "Das Kleben von mehreren Personen ist eine Versammlung", sagt Josef Franz Lindner, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg, im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Das bestätigt auch Werner Kraus von der Pressestelle der Münchner Polizei am Telefon: "Die Klima-Aktivisten bringen etwas zum Ausdruck, sind in der Regel mindestens zwei Personen und haben ein politisches Anliegen. Deswegen wird das von uns so gewertet."

In Deutschland gehört die sogenannte Versammlungsfreiheit zu den Grundrechten, die allen Bürgern und Bürgerinnen zustehen. Die dafür maßgeblichen Regelungen stehen im bereits erwähnten Versammlungsgesetz. Einige Länder – darunter auch Bayern – haben dazu noch eigene Landesversammlungsgesetze. Das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG) besteht aus mehreren Teilen. Im zweiten und dritten Teil werden die Versammlungen in geschlossenen Räumen und die Versammlungen unter freiem Himmel geregelt, also auch die Klima-Proteste.

Wie und wo werden Versammlungen angemeldet?

Weil die Versammlungsfreiheit, wie schon erwähnt, ein Grundrecht ist, müssen Versammlungen nicht genehmigt oder erlaubt werden. Für nicht spontane Versammlungen unter freiem Himmel besteht aber bundesweit eine sogenannte Anzeige- und Mitteilungspflicht (Art.14 Abs.1 VersammlG bzw. Art. 13 BayVersG) bei der zuständigen Versammlungsbehörde. Das sind in Bayern die Kreisverwaltungsbehörden, also die Landratsämter und kreisfreien Städte. In anderen Bundesländern - wie z.B. Berlin - kann das auch die Polizei sein. In München heißt das: Die Klima-Proteste müssen 48 Stunden vorher beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) angemeldet werden. Die Anmeldung dient den Behörden dazu, die Versammlung ohne Gefahr für andere zu ermöglichen.

So heißt es auf der Webseite der Stadt München: "Nur wenn Sie uns frühzeitig über die Einzelheiten der geplanten Versammlung informieren, können wir alle notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen rechtzeitig treffen (zum Beispiel Verkehrsumleitungen regeln, Haltverbote anordnen oder Freischankflächen und Obststände vorübergehend aufheben)."

Bei der Anmeldung sind der Ort, der Beginn und das Ende, das Thema sowie der Streckenverlauf und der Leiter der Versammlung anzugeben. Nach Anmeldung der Versammlung erlässt das KVR noch mal einen sogenannten Versammlungsbescheid mit Auflagen. Bei den Auflagen handelt es sich um Regeln, die von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen einzuhalten sind.

Ein Versammlungsbescheid enthalte in der Praxis immer Auflagen, sagt Sebastian Groth, Stadtdirektor und stellvertretender Leiter des KVR München. "Wir haben ein paar ganz allgemeine Auflagen. Zum Beispiel, dass keine Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen verwendet werden dürfen. Oder es wird noch mal die Örtlichkeit der Versammlung genau definiert."

Klima-Protest der "Letzten Generation" am Münchner Stachus

Den Bescheid mit Auflagen kann die Versammlungsbehörde übrigens auch erlassen, wenn eine Versammlung nicht angemeldet wurde. So erfuhr das KVR München von einem geplanten Klima-Protest der "Letzten Generation" am Stachus über die Sozialen Medien und erteilte daraufhin Auflagen: "Unter anderem sah der Bescheid eine 10-minütige Zwischenkundgebung auf der Straße, nach vorheriger Abstimmung mit der Polizei zur Aktivierung von Umleitungsmaßnahmen, kombiniert mit dem Verbot, sich auf der Fahrbahn oder aneinander anzukleben, vor", schreibt Groth in einer öffentlichen Mitteilung über die Protestaktion am 05. Dezember 2022. Im Gespräch mit dem #Faktenfuchs begründet Groth das Klebe-Verbot am Stachus: "Ohne Festkleben, weil sonst über eine lange Zeit eine Hauptroute für Rettungsgassen blockiert gewesen wäre." Die Aktivisten hielten sich bei der genannten Aktion am Stachus nicht daran und wurden von der Polizei losgelöst.

Das Festkleben stellt für das KVR und die Polizei grundsätzlich eine Problematik dar. Groth sagt: "Mit dem Ankleben wird es der Polizei vor Ort faktisch aus der Hand genommen, dass sie die Versammlung reglementiert. Uns geht es auch darum, dass Rettungsfahrzeuge nicht feststecken. Wir haben teilweise Kleber gehabt, bei dem wir zwei Stunden zum Lösen gebraucht haben."

Für Polizeisprecher Kraus sei die Problematik am Festkleben ebenfalls, dass die Polizei nicht schnell eingreifen könne, wenn dies erforderlich würde.

Und auch in der bereits erwähnten öffentlichen Mitteilung, heißt es: "Dadurch, dass sich die Aktivist*innen auf den Fahrbahnen oder aneinander ankleben, wird eine Räumung der Straße nach Auflösung der Versammlung stark verzögert."

Wann können und wann müssen Klima-Proteste aufgelöst werden?

Die "Letzte Generation" meldete ihre Klima-Proteste bisher nie direkt beim KVR in München an. Das werde wohl auch in Zukunft nicht passieren, da eine "Störung des Alltags" zu den Aktionen dazugehöre, wie ein Mitglied der Gruppe "Letzte Generation" dem BR mitteilte.

Die unterlassene Anmeldung ist zwar eine Ordnungswidrigkeit (Art.21 Abs.1 S.7 BayVersG), aber: "Eine Versammlung darf nicht allein deswegen aufgelöst werden, weil sie nicht angemeldet ist", sagt Rechtswissenschaftler Lindner. Das bestätigt auch Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, dem #Faktenfuchs: "Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Brokdorf-Entscheidung umfassend zu den Fragen des Versammlungsrechts Stellung genommen. Und es hat ausdrücklich gesagt: Allein der Umstand, dass eine Versammlung nicht angemeldet ist, ist nicht ausreichend, um eine Versammlung aufzulösen."

Es gibt allerdings Fälle, in denen die Polizei eine Versammlung auflösen kann oder muss – und damit auch die Klima-Aktivisten von der Straße zu lösen hat.

"Die Auflösung einer solchen Versammlung besteht darin, dass man die Versammlung für aufgelöst erklärt und die Teilnehmer bittet, den Versammlungsort zu verlassen. Und wenn sie das nicht können, weil sie kleben, muss die Polizei nachhelfen", sagt Rechtswissenschaftler Lindner. Das erklärt, warum die Behörden die Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten - unter bestimmten Bedingungen - nicht kleben lassen können.

Die Frage ist nun noch, welche diese Bedingungen sind, unter denen eine Versammlung aufgelöst werden kann oder muss. Auch das steht im Bayerischen Versammlungsgesetz (Art. 15 BayVersG). Dort sind zwei Fälle definiert, die für das Auflösen der Klima-Proteste relevant sind. Bei einer verbotenen Versammlung muss die Polizei die Versammlung auflösen, bei einer Versammlung, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, kann die Polizei die Versammlung auflösen.

Fall 1: Die Versammlung ist verboten

Die Versammlungsbehörde hat die Möglichkeit, eine Versammlung zu verbieten. "Ist eine Versammlung verboten, ist die Polizei verpflichtet, kraft Gesetzes die Versammlung aufzulösen. Hier hat die Polizei auch kein Ermessen", sagt Rechtswissenschaftler Lindner. Das steht so auch im Bayerischen Versammlungsgesetz. Darin heißt es: "Eine verbotene Versammlung ist aufzulösen" (Art. 15 Abs.6 BayVersG).

Ein generelles Verbot für Versammlungen komme jedoch so gut wie nie vor, sagt Sebastian Groth vom KVR München im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. "Das gab es in den letzten Jahren nie. Wir schauen immer, dass wir die Versammlungen durch Auflagen möglich machen", so Groth. "Ein generelles Verbot ist zum Beispiel gerechtfertigt, wenn sich eine verbotene Partei versammeln wollte oder wenn von Anfang an klar wäre, dass die Versammlung nicht friedlich ablaufen würde."

Die Stadt München erließ am 9. Dezember 2022 eine Allgemeinverfügung, die unangemeldete Klebe-Aktionen verbietet. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein generelles Verbot.

Groth sagt: "Das ist kein Totalverbot. Es dürfen nur keine Versammlungen stattfinden, bei denen sich Personen festkleben und die Versammlung im Vorfeld nicht angezeigt wurde und bei denen das Kleben auf Hauptrouten für Rettungsfahrzeuge stattfindet, die uns die Feuerwehr genannt hat." Das bedeutet: Sofern die Klima-Aktivisten ihre Klebe-Aktionen in Zukunft nicht anmelden, bleiben diese in München bis zum 8. Januar 2023 auf bestimmten Straßen verboten - und die Polizei muss die Klima-Demonstrationen dort auflösen. Die Stadt begründet diesen Schritt damit, die "Freihaltung der Hauptrouten der Einsatz- und Rettungsfahrzeuge im Stadtgebiet jederzeit zu gewährleisten und möglichen Schaden für Leib und Leben abzuwenden, der aufgrund von Verzögerungen bei Einsatzfahrten entstehen könnte". Denn auch wenn Mitglieder der "Letzten Generation" in der Vergangenheit angegeben hätten, für Notfälle eine Gasse freizumachen, könnten Rettungsfahrzeuge in Staus stecken bleiben. 

Update vom 10. Januar 2023, 14:30: Die Allgemeinverfügung vom 9. Dezember 2022 lief am 8. Januar 2023 aus und wird laut einem Sprecher des KVR "nach derzeitigem Sachstand auch nicht fortgeführt." Sollten sich die Umstände ändern, so der Sprecher in einer Mail an den #Faktenfuchs, werde das KVR die Situation gemeinsam mit der Münchner Polizei neu bewerten. Aktuell gebe es keinen Anlass für eine Fortführung oder Verlängerung der Allgemeinverfügung.

Fall 2: Die Versammlung gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung

Die Polizei kann eine Versammlung auflösen, "wenn die Voraussetzungen für eine Beschränkung oder ein Verbot vorliegen" (Art. 15 Abs.4 BayVersG). Diese Voraussetzungen liegen dann vor, "wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist" (Art 15 Abs.1 BayVersG).

Das Bayerische Innenministerium ist die allgemeine Sicherheitsbehörde für den Freistaat. Auf der Webseite des Ministeriums steht: "Der Begriff öffentliche Sicherheit wird weit definiert. Er umfasst die Unversehrtheit des Lebens, der Gesundheit, Ehre, Freiheit, des Vermögens und der Einrichtungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt. Kurz: Er umfasst die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung."

Das heißt: Immer, wenn eine Person gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, gefährdet das die öffentliche Sicherheit. Die Rechtsgrundlage hierfür ist durch das Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) gegeben. Der Begriff der öffentlichen Ordnung bezieht sich laut dem Ministerium hingegen auf "ungeschriebene Regeln, die als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Gemeinschaftslebens betrachtet werden".

Wann sind die Klima-Proteste eine Störung der öffentlichen Sicherheit?

Ob eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt, müsse die Polizei vor Ort einschätzen und je nach Einzelfall abwägen, sagt Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, dem #Faktenfuchs. Störungen des Autoverkehrs seien zum Beispiel kein Grund, eine Versammlung zu verbieten oder zu verlegen: "Man hat nicht ohne Weiteres die Möglichkeit, auf einem Privatgelände zu demonstrieren. Deswegen sind alle Demonstrationen mit einer Beeinträchtigung des Autoverkehrs verbunden. Das gehört dazu", sagt Achelpöhler.

Dieser Abwägung von Sicherheitsbedenken und Versammlungsfreiheit im Einzelfall sei sich die Polizei bewusst, sagt Werner Kraus von der Pressestelle der Münchner Polizei. Die Problematik ergebe sich durch das Ankleben, das die Polizei daran hindere, schnell eingreifen zu können: "Diese Anklebe-Aktion ist immer eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Und wir als Polizei sind natürlich gehalten, solche Störungen so gut es geht zu beseitigen."

Für Groth vom KVR ist die öffentliche Sicherheit bei den Klima-Demonstrationen gefährdet, weil Leib und Leben in Gefahr seien - zum Beispiel, wenn ein Rettungswagen feststeckt: "Bei den Klima-Aktivisten ist die Blockade durch den Kleber das Problem. Wenn jemand mit einem Herzinfarkt im Rettungswagen liegt, kommt es auf Sekunden und Minuten an. Und wenn wir vorher nicht über die Klebe-Aktionen Bescheid wissen, können wir den Verkehr auch nicht umleiten."

Der Ermessensspielraum der Polizei könne sich in solchen Fällen dann auch zur Pflicht verdichten, sagt Rechtswissenschaftler Lindner: "Bei einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, der Hilfs- und Rettungsfahrzeuge blockiert, kann das Ermessen auf Null schrumpfen."

Die Polizei muss die Klima-Aktivisten schützen

Neben den versammlungsrechtlichen Punkten gibt es noch einen weiteren Grund, wieso die Klima-Aktivisten nicht einfach kleben gelassen werden können: das Wetter. Genauer gesagt: die Hilfeleistungspflicht (§323c StGB). Rechtswissenschaftler Lindner sagt: "Wenn sich herausstellen sollte, dass Lebensgefahr oder eine Gefährdung der Gesundheit besteht – zum Beispiel durch die niedrigen Temperaturen - greift die Hilfeleistungspflicht. Dann muss die Polizei einschreiten und die Klima-Aktivisten loslösen."

Fazit

Eine Klebe-Aktion von Klima-Aktivisten stellt eine Versammlung dar. Im Versammlungsgesetz ist geregelt, wann eine Versammlung aufgelöst werden kann oder muss: Bei Verbot oder bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - zum Beispiel, wenn ein Rettungswagen feststeckt. Daran müssen sich die zuständige Behörde - in München das KVR - und die Polizei halten. Wenn eine Versammlung nicht verboten ist, liegt es im Ermessensspielraum der Polizei, ob die Versammlung aufgelöst wird.

Dieser Ermessensspielraum kann sich laut Rechtswissenschaftler Lindner in schweren Fällen aber auch zu einer Pflicht verdichten. Dass eine Versammlung unter Umständen nicht angemeldet ist, ist nach Ansicht von Juristen kein Grund, sie aufzulösen. Unabhängig vom Versammlungsgesetz gilt außerdem: Die Polizei muss auf die körperliche Unversehrtheit der Klima-Aktivisten achten.

  • Zum Artikel: "Letzte Generation": Was die Klima-Aktivisten fordern und warum

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