"Wie hältst du's mit der Kirche?" lautet der Titel der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die nun auf der EKD-Synode in Ulm vorgestellt worden ist. Für die evangelische Kirche ist es bereits die sechste Studie dieser Art, die katholische Kirche hat erstmals daran teilgenommen. Auf 94Seiten wird analysiert, wie eng die Bindung an die beiden christlichen Kirchen in Deutschland ist. Dafür wurden rund 5.000 Personen befragt.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Kirchenbindung und Religiosität gehen noch stärker zurück als bisher angenommen. Auf den Kirchen lasten enorme Reformerwartungen angesichts "multipler Krisen". Und während sich in der Vergangenheit Katholiken und Protestanten stärker unterschieden haben, gleichen sie sich in ihren Erwartungen immer mehr an. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Trotz ihrer Krisen genießen die Kirchen auch bei Nicht-Mitgliedern nach wie vor großes Ansehen für die gesellschaftliche Rolle, die sie übernehmen.
Prognose: Mitgliederzahlen werden sich schneller halbieren
Sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche knacken die Austrittszahlen jedes Jahr neue Rekorde. 2023 waren erstmals weniger als 50 Prozent der Menschen in Deutschland Mitglied der beiden christlichen Kirchen. Zwei Drittel der evangelischen Kirchenmitglieder und drei Viertel der katholischen Kirchenmitglieder schließen einen Kirchenaustritt als Option nicht aus. Das ist eine deutliche Zuspitzung im Vergleich zu früheren Befunden.
Und dieser Trend wird sich wohl noch verstärken: Zwischen 2023 und 2025 beispielsweise werden wohl fast eine Million evangelischer Kirchenmitglieder aus der Kirche austreten. Nicht nur die Austritte lassen die Mitgliederzahlen sinken, auch der demographische Wandel und die sinkende Taufquote tragen dazu bei.
In der Freiburger Studie aus dem Jahr 2021 war noch prognostiziert worden, dass sich die Mitgliederzahlen der Kirchen bis 2060 halbieren. Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung deuten aber darauf hin, dass es weitaus schneller geht, und zwar schon zehn bis 20 Jahre früher. "Wenn Religion aus dem Leben von Einzelnen verschwinden kann, dann kann sie sogar aus Gesellschaften verschwinden", befürchten die Kirchen.
Katholiken vertrauen evangelischer Kirche mehr als der eigenen
Deutliche Unterschiede gibt es zwischen Katholiken und Protestanten, warum sie aus der Kirche austreten. Protestanten treten vor allem dann aus, wenn ihnen "das Thema Religion und Kirche in einem längeren biografischen Prozess gleichgültig geworden ist". Bei den Katholiken ist es anders: Dort treten viele nicht aus Gleichgültigkeit aus, sondern aus Zorn und Wut über die eigene Kirche. Der Vertrauensschwund der Kirchen ist demnach auf viele verschiedene Probleme zurückzuführen und nicht auf "einzelne Skandale".
Für Führungspersonen in der katholischen Kirche dürfte eine Erkenntnis aus der Studie besonders bitter sein: "Katholische vertrauen der evangelischen Kirche mehr als ihrer eigenen Kirche." Evangelische und katholische Kirchen sehen sich laut der Studie gerade an einem "Kipppunkt", der in den nächsten Jahren zu "erheblichen Instabilitäten" führen werde. Viele Landeskirchen und Diözesen befinden sich ohnehin schon auf Sparkurs, um sich finanziell zu konsolidieren.
Fast 90 Prozent der Gläubigen gehen nicht mehr regelmäßig in den normalen Sonntagsgottesdienst, sondern besuchen die Kirche nur noch zu besonderen Anlässen wie Taufe, Konfirmation, Erstkommunion, Beerdigung und dem Weihnachtsgottesdienst. Von Generation zu Generation beobachte man eine nachlassende Religiosität. Überraschend ist dabei die hohe Anzahl an Katholiken, die immer noch täglich beten: 13,8 Prozent. Von den Protestanten beten nur 2,1 Prozent jeden Tag.
Kirchen müssten sich "deutlicher" zur eigenen Schuld bekennen
Auf die Frage, was die Kirchen tun können, um die Mitglieder zum Bleiben zu animieren, sagen 77 Prozent, dass sich die Kirche "deutlicher" zur eigenen "Schuld" bekennen müsste. 66 Prozent würden bleiben, "wenn sich die Kirche radikal reformiert". 45 Prozent sagen aber auch: "Die Kirche kann tun, was sie will, irgendwann trete ich ohnehin aus."
In der evangelischen Kirche zeigt sich, dass die "religiöse Sozialisation und die längerfristige kirchliche Bindung" in der Konfirmationszeit stattfindet. Deshalb gebe es aktuell "verstärkte Bemühungen um die Konfirmandenarbeit und ihre Verknüpfung mit der kirchlichen Jugendarbeit", um "anschließende Formen der Vernetzung und Gemeinschaftsbildung aufzubauen und zu stärken". Die Teilnahmequoten an Konfirmation, Religionsunterricht, kirchlichen Kindergärten und kirchlichen Jugendgruppen seien stabil, heißt es in der Studie.
Gläubige wünschen sich mehr gesellschaftlich-politisches Engagement
Menschen, die nach wie vor in der Kirche bleiben wollen, halten vor allem soziale Motive: "Ich bin in der Kirche, weil sie etwas für Arme, Kranke und Bedürftige tut." Sowohl Protestanten als auch Katholiken wäre es wichtig, dass das Führungspersonal durch die Kirchenmitglieder demokratisch gewählt wird. 43 Prozent wünschen sich von ihrer Kirche sogar noch mehr gesellschaftlich-politisches Engagement, was sie dann auch zum Bleiben bewegen würde. Dazu passt auch, dass sich zwei Drittel der katholischen und evangelischen Kirchenmitglieder nicht wünschen, dass sich ihre Kirche mehr mit religiösen Fragen beschäftigt.
Gerade die Rolle der Kirchen als gesellschaftliche Akteure genießt nach wie vor ein "respektables Ansehen". Sogar Menschen, die mit Religion wenig anfangen können, schreiben den Kirchen eine "wichtige soziale Aufgabe" zu. Die Zahlen belegen außerdem, dass sich Katholiken (49 Prozent) und Protestanten (46 Prozent) stärker ehrenamtlich engagieren als Konfessionslose (32 Prozent). Etwas Positives abgewinnen können die Studienschreiber auch den andauernden Reformdiskussionen in den beiden Kirchen. Solche Erwartungen bedeuteten auch: "Es gibt in dieser Hinsicht keine Gleichgültigkeit. Das ist ein Pfund, mit dem Kirchen wuchern können und müssen."
Im Video: Große christliche Kirchen in Deutschland in der Krise
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