Menschen stehen in Fulda vor dem Dom (Symbolbild)
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Immer mehr Menschen treten aus der katholischen Kirche aus

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Rekordaustritte - "Katholische Kirche stirbt quälenden Tod"

Immer mehr Menschen verlassen die katholische Kirche. In Bayern fiel die Zahl der Kirchenmitglieder erstmals unter sechs Millionen. Besonders betroffen sind diejenigen Bistümer, deren Bischöfe dem Synodalen Weg besonders kritisch gegenüberstehen.

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Es ist ein drastischer Negativrekord: Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 in Deutschland aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Zahl der Austritte lag vergangenes Jahr bei 522.821, wie die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in Bonn mitteilte. Das sind so viele wie noch nie und deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021. Damals hatten 359.338 Katholiken ihrer Kirche den Rücken gekehrt.

  • Zum Artikel: Kann die Kirche die Menschen noch erreichen?

Zahl der Katholiken in Bayern erstmals unter sechs Millionen

Die Zahl der Katholiken in Bayern ist 2022 erstmals unter die Marke von sechs Millionen gesunken. 153.579 Katholiken haben die Kirche im Freistaat demnach verlassen. Im Bistum Augsburg traten im vergangenen Jahr 30.921 Gläubige aus, ein Plus im Vergleich zu 2021 von 55,5 Prozent (19.884). Im Erzbistum Bamberg waren es 15.705, ein Plus von 53,1 Prozent (2021: 10.261). Dem Bistum Eichstätt kehrten 8.637 Menschen den Rücken, ein Plus von 69,5 Prozent (2021: 5.096).

Den prozentual niedrigsten Anstieg der Austrittszahlen zum vergangenen Jahr verzeichnete die Erzdiözese München und Freising. Hier traten 2022 49.029 Menschen aus der Kirche aus. 2021 waren es 35.323, ein Plus von 38,8 Prozent.

In den Bistümern Passau und Regensburg, von deren Bischöfen besonders viel Gegenwind angesichts des "Synodalen Wegs", des Reformprozesses der katholischen Kirche, zusammen mit dem Bistum Eichstätt kam, sind die Austrittszahlen im Vergleich zu 2021 prozentual am meisten gestiegen. In Passau traten 9.338 Menschen aus, ein Plus von 63,7 Prozent (2021: 5.703), in Regensburg waren es 23.868 Gläubige, ein Plus von 70,3 Prozent (2021: 14.013). Das Bistum Würzburg verzeichnete einen Rückgang um 16.081 Mitglieder, ein Plus von 52,2 Prozent (2021: 10.567).

Höchster und niedrigster Anstieg der Austrittszahlen 2022 in den bayerischen Bistümern im Vergleich zum Vorjahr.
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Höchster und niedrigster Anstieg der Austrittszahlen 2022 in den bayerischen Bistümern im Vergleich zum Vorjahr.

Kirchenrechtler: "Katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod"

Der Würzburger Bischof Franz Jung zeigte sich angesichts der Zahlen in seinem Bistum bestürzt. Dem BR sagte er, die Austritte seien "ein Indiz für die Spannungen und Zerreißproben, die wir momentan durchlaufen. Die Spannungen in den Gemeinden vor Ort, die Spannungen zwischen Rom und der Kirche in Deutschland und der Frage, wie Erneuerung geht, ob sie geht und wie weit wir auf diesem Weg voranschreiten können."

"Die Zahlen sind erschreckend hoch", kommentiert auch der Passauer Bischof Stefan Oster angesichts der Vorjahresstatistik die Austritte. "Wir merken, dass es uns immer weniger gelingt, zu zeigen und vorzuleben, dass die Kirche - trotz allem - ein Ort ist, in dem der Lebenssinn zu finden und in dem das Heil wirklich da ist."

Besonders deutlich wurde der Kirchenrechtler Thomas Schüller. "Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Der Münchner Generalvikar Christoph Klingan sagte, die hohen Austrittszahlen seien "nicht zu beschönigen und die Entwicklung besorgniserregend". Er macht dafür auch "die Fälle sexuellen Missbrauchs" sowie den "mangelhaften Umgang" seitens der Kirche dafür verantwortlich. Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke sagte, die Menschen hätten mit ihren Austritten "der Kirche Hausaufgaben mit auf den Weg" gegeben.

Der Augsburger Bischof Bertram Meier teilte mit, die Kirche habe "viel Vertrauen verspielt" und brauche Geduld, ihre Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Der Bamberger Diözesanadministrator Weihbischof Hedwig sagte, nicht jeder Ausgetretene habe seinen Glauben verloren.

Landtagspräsidentin Aigner: "Als Katholikin bin ich alarmiert"

Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner zeigte sich tief besorgt über die Zahl der Kirchenaustritte und mahnte gleichzeitig mehr Reformen in der Katholischen Kirche an. "Es ist erschreckend - und als Katholikin bin ich alarmiert", sagte Aigner dem Münchner Merkur (Donnerstagsausgabe). In den in Deutschland eingeschlagenen "Synodalen Weg" habe sie große Hoffnungen gesetzt, so die CSU-Politikerin. "Doch die Weltkirche in Rom sieht ihn kritisch - und auch deutsche Bischöfe sind sich leider uneins - man kann sogar von einer Blockade durch einige Bischöfe sprechen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Kirche schafft sich lieber ab, anstatt sich neu zu erfinden."

Die Kirchen in Deutschland seien immer noch ein Fundament unserer Gesellschaft, sagte Aigner der Zeitung. "In den Gemeinden wird viel geleistet, was für den Zusammenhalt der Menschen wichtig ist. Auch wenn kirchliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Krankenhäuser oder Heime heute größtenteils vom Staat finanziert werden, so befürchte ich in diesem Bereich künftig große Lücken, die der Staat nicht zu 100 Prozent ersetzen kann."

Münchner Missbrauchsgutachten lässt Austrittszahlen explodieren

Dass sich die für die katholische Kirche ohnehin dramatische Entwicklung noch einmal beschleunigen würde, hatte sich bereits zu Jahresbeginn 2022 abgezeichnet. Vor allem nach der Vorstellung eines Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising im Januar und der Diskussion um eine Mitschuld des inzwischen verstorbenen Papstes Benedikt XVI. waren die Austrittszahlen förmlich explodiert.

In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, waren pro Arbeitstag in München etwa 80 Menschen aus der Kirche ausgetreten; nach dem 20. Januar, dem Tag der Vorstellung des Gutachtens, waren es dann zeitweise bis zu 160 Kirchenaustritte - also etwa doppelt so viele.

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Austrittszahlen der katholischen Kirche in Bayern von 2018 bis 2022

Steigende Austrittszahlen auch bei evangelischer Kirche

Auch bei den Protestanten gehen die Mitgliedszahlen zurück. Wie die bereits im März veröffentlichten Zahlen zeigen, verabschiedeten sich gut 48.500 Menschen 2022 im Freistaat von der evangelischen Kirche und damit fast 12.000 mehr als 2021.

Knapp 4.000 Wiedereintritte

Im Vergleich zu den über einer halben Million Austritten wirkt die Zahl gering, doch aller Skandale zum Trotz gab es 2022 auch Wiedereintritte. 3.753 Menschen kamen bundesweit wieder in die katholische Kirche zurück, 1.158 davon in Bayern. Die Zahl der Gottesdienstbesucher lag im Freistaat bei 7,7 Prozent.

Über die hohe Zahl der Kirchenaustritte reden wir mit dem Würzburger Bischof Franz Jung.
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Über die hohe Zahl der Kirchenaustritte reden wir mit dem Würzburger Bischof Franz Jung.

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