Bildmontage eines Schachbretts mit weißen und schwarzen Figuren, getrennt durch die russische und deutsche Flagge. Eine Figur auf der Seite der russischen Flagge trägt Kopfhörer.
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Putins Spione scheinen leichtes Spiel in Deutschland zu haben. Wie groß ist die Gefahr und was kann Deutschland tun?

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Russische Spionage in Deutschland: "Wie im Kalten Krieg"

Die Liste an russischen Spionageoperationen in Deutschland ist lang: Taurus-Leak, Verratsfall Carsten L., Jan Marsalek. Putins Spione scheinen leichtes Spiel zu haben. Wie groß ist die Gefahr und was kann Deutschland tun? Ein Expertengespräch

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Der Abhörskandal bei der Bundeswehr reiht sich ein in eine Serie an russischen Spionageerfolgen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mahnt zur "Besonnenheit" und bezeichnet die Abhöraffäre als Teil eines "Informationskrieges" Russlands. Doch Deutschlands Verbündete fragen sich: Ist Deutschland ein Sicherheitsrisiko? Erich Schmidt-Eenboom forscht seit 40 Jahren zu Geheimdiensten. Er sieht in Deutschland ein prioritäres Ziel Putins und fordert dringende Reformen. Für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) hat BR24 mit ihm gesprochen.

BR24: Ist Deutschland inzwischen ein Sicherheitsrisiko?

Erich Schmidt-Eenboom: Also man muss zunächst ins Auge fassen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein absolutes Schwerpunkt-Ziel der drei russischen Nachrichtendienste ist. Das gilt sowohl für den Militärnachrichtendienst GRU, für den Auslandsnachrichtendienst SWR und für den FSB. Wir erleben seit Jahren ein Anwachsen der russischen Spionage, insbesondere nach der Annexion der Krim einen ständigen Zuwachs.

BR24: Warum ist das so?

Schmidt-Eenboom: Die Bundesrepublik Deutschland spielt eine zentrale Rolle in der Europäischen Union. Und darum ist es für die Russen absolut wichtig, diese Entscheidungsprozesse auf der politischen Ebene aufzuklären. Nach dem Beginn des Ukraine-Krieges tritt natürlich hinzu, dass auch die Kapazitäten der Bundeswehr von großem Interesse sind.

Dazu kommen natürlich die Eingriffe in den Bundesnachrichtendienst, also dieser Fall Carsten L., wo die russischen Nachrichtendienste die Königsdisziplin der Spionage übertroffen haben, indem sie eine hochrangige Innenquelle im Bundesnachrichtendienst platzieren konnten, aber auch auf der Wirtschaftsspionage-Ebene sind die Russen weiter aktiv, insbesondere wo es darum geht, die deutsche Rüstungswirtschaft, Rheinmetall und andere, auszuspähen.

"Putin setzt massiv auf Spionage"

BR24: Das klingt wie eine Spionagetätigkeit zu Hochzeiten des Kalten Krieges…

Schmidt-Eeenboom: Die Spionageaktivitäten haben mindestens das Ausmaß wie im Kalten Krieg. Aber ich gehe mal davon aus, dass es noch intensiver geworden ist, weil in Zeiten der Entspannungspolitik in den 1980er-Jahren und unter Gorbatschow sind nachrichtendienstliche Aktivitäten heruntergefahren worden.

Das gilt auch noch vielleicht für die ersten 2000er-Jahre. Aber spätestens seit 2006 setzt Putin massiv auf Spionage, was nicht verwunderlich ist, weil er ja selber aus dem KGB kommt und lange Zeit Chef des Inlandsnachrichtendienstes FSB war.

Im Video: Russische Spionage – Deutschland Ziel Nummer eins!? Possoch klärt!

Wie viele russische Agenten gibt es in Deutschland?

BR24: Nach dem russischen Lauschangriff auf die Luftwaffe zweifeln Alliierte an den Fähigkeiten Berlins, weil sie sich einreiht in eine Pannenserie bei deutschen Sicherheitsbehörden. Wie gut ist Deutschland aufgestellt in Sachen Spionageabwehr?

Schmidt-Eenboom: Dieses Abfangen des Webex-Gesprächs eines Luftwaffengenerals, das ist natürlich von Seiten des Generals ein schwerwiegender Fehler. Und ich kann nicht verstehen, dass das nicht disziplinar geahndet wird. Aber insgesamt muss man natürlich sehen, dass die Russen das gesamte Spektrum der nachrichtendienstlichen Methoden einsetzen. Dazu zählt natürlich in erster Linie die Fernmelde- und Elektronische Aufklärung, das heißt, die arbeiten mit Abhöroperationen aus der russischen Botschaft in Berlin. Die arbeiten mit Wanzen und die arbeiten mit dem ganzen Spektrum der Satellitenaufklärung und der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung. Aber die Russen sind insbesondere stark auf dem Sektor, die man "humint" nennt, "human intelligence", das heißt die Arbeit mit Agenten.

Wir haben 2022 erlebt, dass die Staaten der Europäischen Union etwa 400 russische Scheindiplomaten ausgewiesen haben, 40 davon aus der Bundesrepublik Deutschland. Aber das bei einem Bestand von etwa 200, sodass wir immer noch davon ausgehen müssen, dass deutlich über 150 Scheindiplomaten, also russische Geheimdienst-Offiziere, in der Bundesrepublik Deutschland aktiv sind.

Wir haben einige spektakuläre Abwehrerfolge erzielt, das heißt, diesen BND-Oberst, der enttarnt wurde aufgrund des Sicherheitshinweises der Amerikaner, Bundeswehroffiziere im Beschaffungswesen, Mitarbeiter des Bundestages, Angestellte in Universitäten und dergleichen. Aber die Dunkelziffer ist groß, und ich gehe davon aus, dass die Russen noch eine Vielzahl aktiver Agenten oder auch Schläfer-Agenten in der Bundesrepublik haben.

BND "traditionell schwach auf der Brust und risikoscheu"

BR24: Also unterschätzt Deutschland die Gefahr der russischen Spionage?

Schmidt-Eenboom: Wir sind nicht hinreichend gut aufgestellt. Das beginnt beim Bundesnachrichtendienst. Der amtierende Präsident Bruno Kahl hat vor Kurzem geäußert, dass jetzt eigentlich das Fenster offen sei für sogenannte Gegenspionage-Operationen, das heißt das Eindringen in die russischen Nachrichtendienste. Aber da ist der BND traditionell schwach auf der Brust und ausgesprochen risikoscheu. Es gibt keine guten Innenquellen in den russischen Nachrichtendiensten.

Schauen wir auf den Verfassungsschutz. Da gibt es seit Jahren Reformvorschläge, die darauf abzielen, diese föderale Struktur, die die Alliierten 1950 festgelegt haben, aufzulösen. Das heißt, die gesamte Abwehrarbeit beim Bundesamt zu konzentrieren. Aber die Widerstände dabei sind vor allem bei größeren Landesfürsten in Nordrhein-Westfalen und Bayern ausgesprochen groß. Gerade Bayern möchte seinen kleinen eigenen Geheimdienst mit 400 Mitarbeitern behalten. Da müsste dringend eine Reform her, eine Konzentration aller Kräfte.

Und man muss natürlich auch ins Auge fassen, dass die Verfassungsschutzbehörden ein ganz breites Aufgabenspektrum haben. Das reicht von der Bekämpfung des ausländischen und inländischen Terrorismus, über die Spionageabwehr-Beratung der Industrie bis zur Überwachung der AfD. Und es gilt ja nicht nur allein, die russische Spionage abzuwehren, sondern auch andere Staaten wie China oder auch kleinere Akteure wie Nordkorea sind in der Bundesrepublik aktiv, und damit sind die Verfassungsschutzbehörden insgesamt deutlich überfordert.

Das gilt auch für den Bereich der Cyberabwehr. Die Verfassungsschützer haben im Jahre 2016 das erste Mal groß vor russischen Cyberattacken gewarnt. Und erst acht Jahre später, 2024, ist ein Abwehrzentrum in der Bundesrepublik etabliert worden, also mit achtjähriger Verspätung. Ich gehe davon aus, dass dieses neue Zentrum und die verstärkte Kooperation innerhalb der Europäischen Union das System der russischen Cyberattacken eindämmen können, aber gänzlich ausschließen kann man diese Attacken nicht. Und im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien festgelegt, dass es nur Spionageabwehr gibt und keineswegs Gegenangriffe.

Im Audio: Interview mit Geheimdienstforscher Erich Schmidt-Eenboom

Erich Schmidt-Eenboom (Geheimdienstexperte, Leiter des Forschungsinstitut fuer Friedenspolitik in Weilheim) in der ARD-Talkshow hart aber fair.
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Erich Schmidt-Eenboom (Geheimdienstexperte, Leiter des Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim) in der ARD-Talkshow hart aber fair.

Braucht der BND eine eigene Zeitenwende?

BR24: Das klingt nach einer Zeitenwende 2.0, also nicht nur die Bundeswehr muss gerüstet werden, sondern auch der BND?

Schmidt-Eenboom: Man muss zur Ehrenrettung des Bundesnachrichtendienstes sagen, dass es bereits 2008 massive Warnungen gab, die darauf zielten, Putins Expansionsgelüste darzustellen. Da gab es hinreichend viele Berichte an das Bundeskanzleramt, aber das ist auf der politischen Ebene, insbesondere unter Angela Merkel, einfach ignoriert worden.

BR24: Und das holt uns jetzt ein?

Schmidt-Eenboom: Jetzt trifft der Bundesnachrichtendienst natürlich auf ein deutlich offeneres Ohr, was seine Erkenntnisse angeht, angesichts des Ukraine-Krieges. Aber sowohl Angela Merkel als auch Frank-Walter Steinmeier waren so russophil, dass sie die Warnungen des BND immer in den Wind geschlagen haben.

BR24: Welche konkrete Gefahr erwächst aus dieser russischen Spionageaktivität in Deutschland?

Schmidt-Eenboom: Also zunächst geht es für die Russen natürlich darum, die Entscheidungsprozesse gerade in puncto Ukraine-Krieg aufzuklären, dazu zählen Rüstungslieferungen, Verträge mit Rheinmetall, Abstimmungsprozesse auf der europäischen Ebene, um das eigene Handeln darauf abzustimmen.

Aber im Fall dieses abgehörten Webex-Gesprächs sieht man auch ganz deutlich, worin ein weiteres Ziel der Russischen Föderation besteht, nämlich Zwietracht zwischen den europäischen Staaten zu säen und insbesondere auch einen Keil zwischen die europäischen Staaten und die Vereinigten Staaten von Amerika zu treiben. Das ist das vorrangige politische Ziel. Und ich fürchte, dass mit einer Wiederwahl von Donald Trump dieses Ziel auch erreicht wird.

"AfD ist für Russen das Einfallstor"

BR24: Russland führt also gezielt einen hybriden Krieg – auch gegen Deutschland?

Schmidt-Eenboom: Wenn man sich eine Schwerpunkt-Ausrichtung anschaut, dann beginnt die natürlich bei der Einflussnahme über die AfD. Gerade die russische Unterstützung der Propagandapositionen der AfD macht sehr deutlich, dass es den Russen darum geht, auch in der Bundesrepublik Deutschland die politische Landschaft zu polarisieren und dafür zu sorgen, dass die nachhaltige Unterstützung für die Ukraine im Abschmelzen begriffen ist.

BR24: Wie genau gehen russische Spione da vor?

Schmidt-Eenboom: Das Ziel russischer Nachrichtendienstoffiziere besteht darin, Quellen im Bereich Bundeswehr, Nachrichtendienste oder auch in der Wirtschaft und Politik zu gewinnen. Bei dieser Quellen-Gewinnung macht man zunächst einmal einen Abklärungsprozess und schaut, ob jemand als Kandidat für russische Spionage in Frage kommt.

Und da hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Mitgliedschaft oder die Affinität zur AfD ein wesentliches Merkmal für die Rekrutierung von Spionen ist. Das heißt, Menschen, die der AfD und ihren russlandfreundlichen Positionen nahestehen, sind für die Russen das Einfallstor [externer Link; evtl. Bezahlinhalt] in ganz viele gesellschaftliche und politische Bereiche.

"Alle Spionageabwehr-Kapazitäten beim Bundesamt für Verfassungsschutz bündeln"

BR24: Was kann Deutschland tun, um besser gegen Spionage vorgehen zu können?

Schmidt-Eenboom: Ich gehe mal davon aus, dass es zunächst sehr hilfreich wäre, wenn wir den Verfassungsschutz von seiner föderalen Struktur befreien und dass alle Spionageabwehr-Kapazitäten beim Bundesamt gebündelt werden, auch alle Observations-Kapazitäten, dass man da auch noch mal größeren Personalaufwuchs braucht, wobei das ausgesprochen problematisch ist.

Denn allein beim BfV gibt es 800 unbesetzte Stellen, beim Bundesnachrichtendienst ähnlich viele. Das heißt, die Nachrichtendienste haben offensichtlich das große Problem, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Das liegt natürlich auch gerade im Bereich der Technik daran, dass ein Informatiker in der Wirtschaft deutlich besser verdient, als wenn er für Abhöroperation beim Verfassungsschutz oder beim BND verantwortlich ist.

BR24: Russische Spionage wird es also immer geben?

Schmidt-Eenboom: Es wird immer russische Spionage und erfolgreiche Spionageoperationen in der Bundesrepublik Deutschland geben. Die Frage ist nur, ob man das mit gleicher Münze heimzahlen kann und es dem BND gelingt, entsprechende operative Erfolge auch in der Russischen Föderation zu erzielen.

Eigentlich ist das Fenster dazu groß, weil Putin den Auslandsnachrichtendienst SWR an die Wand gedrückt hat zugunsten seiner Hausmacht des FSB. Da dürfte es viele unzufriedene Nachrichtendienstler geben, die man möglicherweise für eine Zusammenarbeit mit westlichen Nachrichtendiensten gewinnen kann.

BR24: Danke für das Gespräch.

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