Bildmontage: rechtsseitig ein Foto des russischen Präsidenten Wladimir Putin, links der Bundestag mit einem Fadenkreuz draf
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Russische Spionage: Deutschland Ziel Nummer eins!?

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Russische Spionage: Deutschland Ziel Nummer eins!?

Geheimdienst-Experten fordern eine Zeitenwende im gesamten Sicherheitsbereich, auch zugunsten der Nachrichtendienste. Deutschland sei bisher zu naiv und ermöglicht Russland damit, seine Spionage-Vorteile zu nutzen, wie der Taurus-Abhörskandal zeigt.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Das Interesse Russlands an erfolgreichen Spionageoperationen in Deutschland ist kein Zufall. Für Peter Neumann, Professor of Security Studies am King's College in London, ist Deutschland aus russischer Perspektive strategisch besonders relevant, denn: "Deutschland ist ein wichtiges Land in Europa. Deutschland ist ein wichtiges Land in der Nato. Wenn Deutschland kippt, dann kippt die gemeinsame Front des Westens. Und genau das versucht Russland."

Spionage ist hierbei, neben der Verbreitung von Falsch-Informationen, ein Mittel der hybriden Kriegsführung, auf die Russland laut Experten setzt: "Bei Nachrichtendiensten ist immer Krieg. Der Nachrichtendienst-Krieg ist eine Normalität, er findet stets und jeden Tag immer statt", fasst auch Helmut Müller-Enbergs, Geheimdienst-Forscher und ehemaliger Leiter der Spionageabwehr beim Verfassungsschutz in Berlin, zusammen.

Das Ziel der hybriden Kriegsführung Russlands und russischer Spione in Deutschland sei die Polarisierung und Destabilisierung Deutschlands, so Neumann.

Russlands Hybride Kriegsführung: Spionage und Desinformation

Der Abhörskandal bei der deutschen Luftwaffe um potenzielle Lieferungen von Taurus-Marschflugkörpern aus Deutschland an die Ukraine ist dabei das wohl jüngste bekannte Beispiel russischer Spionage in Deutschland: Ein Mitschnitt des Gesprächs unter deutschen Offizieren wurde von russischen Propaganda-Kanälen veröffentlicht.

Wenngleich die aktuelle Abhöraffäre offenbar auf einen individuellen Anwendungsfehler zurückzugehen scheint – mindestens ein Teilnehmer des Gesprächs wählte sich über einen unsicheren Kanal ein – stellt sich die Frage: Wie ist es um Deutschlands Spionageabwehr bestellt?

Deutschland ist im Visier russischer Spionage

Dass gerade Deutschland im Fokus russischer Spionageaktivitäten ist, überrascht auch den ehemaligen Leiter der Spionageabwehr beim Verfassungsschutz in Berlin, Helmut Müller-Enbergs nicht. Sowjetische und russische Geheimdienste haben in Deutschland einen historisch gewachsenen Standortvorteil, analysiert Müller-Enbergs im neuen Video von "Possoch klärt": "Bis 1994 gehörten ihnen relativ viele Landstriche auf deutschem Terrain, wo sie in aller Ruhe ihre Perspektive und Zukunft vorbereiten konnten."

Im Video: Russische Spionage – Deutschland Ziel Nummer eins!? Possoch klärt!

Hierzu gehört für Müller-Enbergs die russische Botschaft sowie von russischen Geheimdiensten in Deutschland eingesetzte Spione mit konstruierten Biografien und Tarnidentitäten, die über Jahre oder gar Jahrzehnte aktiv bleiben und gewonnene Informationen an ihre Nachrichtendienste weitergeben.

Russische Spione in Deutschland

Das Einschleusen russischer Spione sei extrem erfolgreich, da es sich um professionell sehr gut ausgebildete nachrichtendienstliche Quellen handele. Ihr Verhalten habe somit eine geringe Fehlerquote: "Für Russland war Deutschland immer eine wunderbare Tankstelle für Wissenschafts- und Technologiespionage, für Militärspionage", erläutert der Geheimdienst-Experte im Interview mit BR24.

So soll etwa der ehemalige Wirecard-Manager Jan Marsalek nach Recherchen von "ZDF frontal", des "Spiegels", des österreichischen "Standards" und der russischen Investigativplattform "The Insider" offenbar seit Jahren Teil russischer Spionagenetzwerke gewesen sein.

Russische Geheimdienste haben in Deutschland leichtes Spiel

Dass russische Nachrichtendienste in Deutschland so präsent sind, liegt auch in der deutschen Russlandpolitik begründet. Mit der Entspannungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), sowie dem Eingeständnis der großen Kriegsschuld Nazi-Deutschlands an den Russen und durch die Ostverträge der 1970er Jahre, änderte sich die deutsche Russlandpolitik. Die neue Devise lautete "Wandel durch Annäherung". Das Verhältnis zum Osten sollte neu begründet werden: mehr Nähe als Distanz. Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde Russland gar zum Freund Deutschlands erkoren und auch Angela Merkel bleib diesem Kurs treu.

Für den Politikwissenschaftler Peter Neumann liegt im vermeintlichen Sicherheitsgefühl der deutschen Russlandpolitik eine Erklärung dafür, dass Russlands Spionage in Deutschland so erfolgreich wachsen konnte: Die Idee, "dass man Probleme mit Russland lösen kann, hat dazu beigetragen, dass man das vielleicht gar nicht so ernst genommen hat, dass man gesagt hat: Okay, lass sie doch ein bisschen spionieren. Das ist für unsere Beziehung nicht wichtig, denn die wollen uns ja nicht wirklich schaden."

Erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 gilt die deutsche Russlandpolitik der vergangenen Jahrzehnte als gescheitert.

Sind Nachrichtendienste Instrument der Stabilität?

Doch wie kann Deutschland sich vor hybrider Kriegsführung und einer Destabilisierung schützen? Russische Spionage in der Bundesrepublik Deutschland werde es immer geben, davon ist der Geheimdienst-Forscher Erich Schmidt-Eenboom überzeugt: "Die Frage ist nur, ob man das mit gleicher Münze heimzahlen kann und es dem Bundesnachrichtendienst (BND) gelingt, entsprechende operative Erfolge auch in der Russischen Föderation zu erziehen."

Auch für Müller-Enbergs, der inzwischen Professor an der Syddansk Universitet mit Schwerpunk Nachrichtendienstgeschichte ist, sind geheimdienstliche Erfolge als Stabilisierungsinstrument entscheidend: "Es gibt in Demokratien nur ein Instrument, um sich gesellschaftlich stabil zu halten: Das ist der Rückenwind der Gesellschaft selbst. Dazu braucht die Gesellschaft das Gefühl, dass Demokratie stabil ist und die Stabilität wird mit durch nachrichtendienstliche Informationen hergestellt."

"Brauchen eine Zeitenwende im Bereich Geheimdienste"

Geheimdienst-Forscher Peter Neumann fordert, Versäumtes aufzuholen: "Wir brauchen eine Zeitenwende im gesamten Bereich Sicherheit." Dazu gehöre etwa der Schutz kritischer Infrastrukturen. Doch auch im Bereich Nachrichtendienste und Geheimdienste fordert er eine Zeitenwende: "Auch dort sind wir im Prinzip zu naiv aufgestellt." Er appelliert nachzudenken, ob man die Befugnisse des BND in Zeiten des europäischen Krieges nicht wieder etwas erweitern sollte:

"Was dazukommt, ist, er hat eben sehr begrenzte Befugnisse, so dass ich zum Beispiel in Großbritannien häufig schon gehört habe von Spionen hier, die gesagt haben, wir finden die Leute beim BND eigentlich toll, und wir würden gerne mit denen mehr zusammenarbeiten. Aber jedes Mal, wenn wir eine konkrete Idee haben zum Beispiel für eine Abhöraktion oder eine verdeckte Operation, da heißt es dann eben aus Berlin: Wir dürfen das nicht. Und das ist, glaube ich, etwas, was den BND tatsächlich beschränkt." Peter Neumann, Professor of Security Studies am King's College London

Doch bis tatsächlich alle Rückstände aufgeholt sind, könnte es laut Schätzungen von Geheimdienst-Insidern bis zu zehn Jahre dauern – in denen Nachrichtendienste anderer Länder vermutlich nicht tatenlos bleiben.

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