Pestizid-Hersteller haben bei der Zulassung wichtige Studien zurückgehalten.
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Pestizid-Hersteller haben bei der Zulassung wichtige Studien zurückgehalten.

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Pestizidstudie alarmiert Politik und Wissenschaft

Hersteller haben laut schwedischen Wissenschaftlern bei der Zulassung von Pestiziden Studien zur Wirkung auf die Gehirnentwicklung zurückgehalten. Nachdem der BR mit internationalen Medien berichtete, zeigen sich Experten und Politik besorgt.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Die Wissenschaftler Axel Mie und Christina Ruden von der Stockholm University zeigen, dass Konzerne relevante Studien bei den amerikanischen Behörden eingereicht haben - bei den europäischen Zulassungsbehörden dagegen nicht. In diesen Studien wurde untersucht, ob Pestizidwirkstoffe die Entwicklung des Gehirns bei Föten und Kindern gefährden.

Neurowissenschaftler: Unverantwortlich, Pestizid-Studien nicht vorzulegen

Diese Studien seien ernst zu nehmen, sagt der international renommierte Neurowissenschaftler Yehezkel Ben-Ari. Es sei unverantwortlich, sie bei den europäischen Zulassungsbehörden nicht vorzulegen. Er geht davon aus, dass die Risikobewertung bei Pestiziden in den USA besser funktioniert als in Europa:

"Die Folge ist, dass in den USA einige Pestizide nicht erlaubt sind und diese Information nicht in Europa ankommt."

Das sich entwickelnde Gehirn reagiere sehr empfindlich auf Pestizide, sagt der Experte für Neurowissenschaften. Zahlreiche Studien würden das zeigen. Müttern, die gegen Ende ihrer Schwangerschaft Pestiziden ausgesetzt sind, hätten eine höhere Wahrscheinlichkeit für Frühgeburten. Ihre Kinder litten vermehrt an Erkrankungen wie Autismus oder anderen Entwicklungsstörungen, so Ben-Ari.

EU-Behörden konnten erst spät reagieren

Studien, die an Tierversuchen diese Auswirkungen untersuchen, wurden von den Herstellern bei den europäischen Behörden in einigen Fällen erst dann vorgelegt, als diese sie anforderten. Ein Beispiel ist Abamectin, ein Wirkstoff des Chemiekonzerns Syngenta. Abamectin wird zur Schädlingsbekämpfung auf Obst-und Gemüse eingesetzt.

Axel Mie, Chemiker an der Stockholm University geht davon aus: "Hätte Syngenta bereits 2005 und 2007 ordnungsgemäß diese Studien bei den Behörden eingereicht, dann wären schon damals die Anwendungen in verschiedenen Kulturen eingeschränkt oder verboten worden."

Hersteller sahen sich nicht zur Vorlage verpflichtet

Syngenta hatte beim Zulassungsantrag für Abamectin zwei Studien nicht vorgelegt hat. Als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, gut zehn Jahre nach der Erstzulassung von diesen Studien erfuhr, reagierte sie: Die Behörde senkte nachträglich Referenzwerte und hat die Schädlingsbekämpfung bei Erdbeeren, Äpfeln und Birnen eingeschränkt. Syngenta teilt dem BR auf Nachfrage mit, man habe die Studien im Rahmen des Zulassungsprozesses in den USA durchgeführt. Im EU-Verfahren seien sie damals nicht angefordert gewesen. Man habe sie daher nicht "proaktiv" eingereicht. Der Konzern sei davon ausgegangen, dass die Studien keine neuen Erkenntnisse bezüglich der Toxizität des Wirkstoffs ergeben hätten.

Abamectin ist kein Einzelfall: Laut der Analyse von Mie und Ruden haben nicht eingereichte Studien in zwei weiteren Fällen zu einer neuen Risikobewertung geführt. In vier Fällen prüfen die Behörden ihre Bedeutung noch.

BR-Reporterin Eva Achinger stellt im BR4-Interview ihre Recherchen vor.
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BR-Reporterin Eva Achinger stellt im BR4-Interview ihre Recherchen vor.

Scharfe Kritik aus dem Europaparlament

Die Europaabgeordnete Sarah Wiener (Grüne) ist Berichterstatterin des Parlaments für die Neuordnung des Pflanzenschutzes. Sie geht davon aus, dass die aktuelle Untersuchung nur die Spitze des Eisbergs ist und Hersteller möglicherweise noch mehr Studien zurückhalten. Dafür zahlten die EU-Bürger den Preis: "Die Analyse zeigt, dass die Pestizidindustrie die EU-Behörden an der Nase herumführt."

Rechtsverstoß der Hersteller?

Wissenschaftlicher Mie ist überzeugt davon, dass die Konzerne hier gegen europäisches Recht verstoßen haben. Die EU-Kommission äußert sich nicht zu konkreten Fällen, schreibt aber allgemein: Hersteller seien verpflichtet "alle Informationen über potenziell schädliche Wirkungen des Wirkstoffs" vorzulegen.

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