Papst Franziskus
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Nach seiner umstrittenen Forderung, die Ukraine müssen den "Mut zur Weißen Fahne" haben, steht Papst Franziskus in der Kritik.

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Papst Franziskus auf politischem Glatteis

Der Papst ist nicht nur Seelsorger, sondern auch eine wichtige moralische Autorität auf dem politischen Parkett. Doch nicht immer scheint Franziskus seine Worte sorgfältig genug abzuwägen - wie seine Äußerung zur "weißen Fahne" zeigt. Eine Analyse.

Es ist Februar 2022. Papst Franziskus steigt in einen weißen Fiat Panda 500 und lässt sich zur russischen Botschaft beim Heiligen Stuhl bringen. In der Welt der Diplomatie ist dies ein durch und durch ungewöhnlicher Schritt. Doch am Tag zuvor war Russland in die Ukraine eingefallen, der Papst will seinen Einfluss geltend machen: Er sei sehr besorgt über den Krieg, vor allem über die Situation der gesamten Bevölkerung.

Russland gratuliert Franziskus zum Jubiläum

Zwei Jahre später gratuliert die gleiche Botschaft dem Papst zum elfjährigen Pontifikat. Auf der Plattform X nennt sie Franziskus "einen echten und aufrichtigen Verfechter von Humanismus, Frieden und traditionellen Werten". Doch in der Ukraine tobt der Krieg weiterhin, unter grausamen Umständen müssen sich die Menschen gegen die russischen Aggressoren zur Wehr setzen. Warum also gratuliert ausgerechnet Russland dem Papst, was ist geschehen?

Papst fordert von Ukraine "Mut zur Kapitulation"

Franziskus gibt gerne Interviews, jüngst beantwortete er die Fragen des Tessiner Senders RSI. Das Oberthema des Gesprächs ist die Farbe Weiß und ihre Bedeutung, das Interview soll kurz vor Ostern am 20. März ausgestrahlt werden. Der Journalist stellt die Frage nach der weißen Fahne. In der Ukraine gebe es diejenigen, die den "Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne fordern. Aber andere sagen, dass dies die Stärksten legitimieren würde". Was meine der Papst dazu?

Es folgen Aussagen des Papstes, die einen gewaltigen Sturm der Entrüstung auslösen. Er denke, so erklärt er dem Journalisten, dass derjenige stärker ist, der die Situation sieht, der an die Menschen denkt, der den Mut zur weißen Fahne hat, um zu verhandeln. "Non abbiate vergogna" – "Schämt Euch nicht" zu verhandeln, bevor es schlimmer wird. Kurz darauf betont er: "Eine Verhandlung ist niemals eine Kapitulation".

Russland bleibt in Papst-Aussagen außen vor

Mit keinem Wort erwähnt Franziskus an dieser Stelle Russland, mit keinem Wort fordert er, dass Russland den Krieg beenden müsse. Der Journalist hatte ihn auch nicht danach gefragt, sondern explizit nach der Ukraine und nach der weißen Fahne. Doch es ist nicht das erste Mal, dass Franziskus den Angreifer zu schonen scheint, Russland nicht explizit erwähnt. Nach dem Überfall auf die Ukraine zauderte er zu lange, bis er erstmals "Russland" und "Putin" über die Lippen brachte. Ist der Papst also ein Putin-Versteher?

Leise Kritik an Nato-Osterweiterung

Sicher ist: Franziskus ist als Jorge Mario Bergoglio in Argentinien aufgewachsen, auf viele weltpolitische Ereignisse hat er nicht die europäische, sondern die südamerikanische Sicht. Das lässt sich auch in seiner Autobiographie nachlesen, die ab Dienstag erhältlich ist. Im Mai 2022 sinnierte er als Papst öffentlich darüber, dass das "Bellen der Nato an Russlands Tür" den Chef im Kreml dazu animiert haben könnte, den Konflikt auszulösen. "Ein Zorn, von dem ich nicht sagen kann, ob er provoziert wurde, aber vielleicht begünstigt."

Papst sucht Annäherung an russisch-orthodoxe Kirche

Sicher ist auch, dass die römisch-katholische Kirche die Annäherung an die orthodoxe Kirche sucht. 2016 traf erstmals in der Kirchengeschichte ein Papst das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, auf dem Flughafen von Havanna kamen Franziskus und Patriarch Kyrill I. zusammen. Nach dieser historischen Begegnung hoffte der Papst auf einen kürzeren Draht zu Kyrill I. und damit auch zu Putin, aber darin täuschte er sich. Der russische Präsident hat ihn als möglichen Vermittler im Ukraine-Krieg links liegen gelassen.

Papst Franziskus fordert Frieden unter allen Umständen

Sicher ist ebenfalls, dass Papst Franziskus ein rigoroser Verfechter des Friedens ist. Keine Gelegenheit vergeht, an dem er nicht den Krieg als Wahnsinn verurteilt, das Leid der Menschen benennt und zum Frieden aufruft. "Nie wieder Krieg", heißt es in seiner Autobiographie.

Doch der Argentinier gibt oftmals Interviews, in denen er im verbindlichen Plauderton seine Ansichten mitteilt – über Persönliches, über seine Vorstellungen vom Glauben und von der Kirche, aber eben auch über weltpolitische Vorgänge. Seine eigene Medienabteilung weiß oft nichts davon. Zudem bindet er meist erfahrene Mitarbeiter im Vatikan nicht ein, der 87-Jährige gilt als beratungsresistent. Die missverständlichen Aussagen des Interviews haben auch den Vatikan kalt erwischt, rasch bemühte sich dieser dann um eine Schadensbegrenzung. Zuerst durch den Pressesprecher, dann durch die Nummer zwei, Staatssekretär Pietro Parolin. Der Heilige Stuhl fordere weiter einen Waffenstillstand und die Aggressoren sollten zuallererst das Feuer einstellen – so hieß es danach.

Rückenwind für Russland aus Rom

Aber da waren die Worte des obersten Hirten von 1,4 Milliarden Katholiken bereits in der Welt: Sein Aufruf an die Ukraine, zu verhandeln, ohne dabei Russland zu erwähnen und ohne Putin zum Ende des Krieges aufzufordern. Damit erweckte der Papst den Eindruck, dass er auf der Seite des Aggressors stehe. Der Kreml jedenfalls sah das so, nicht umsonst gratulierte er Franziskus überschwänglich zum Jubiläum. Mit seiner fehlenden diplomatischen Vorsicht hat der Papst dem guten Ruf der Vatikan-Diplomatie geschadet. Denn während Franziskus im Laufe der Jahre durch den Austausch mit Freunden, mit Jesuiten und mit Besuchern quasi seine ganz eigene Diplomatie aufgebaut hat, vermittelt der Heilige Stuhl mitunter sehr erfolgreich in vielen Konflikten. Hinter den Kulissen, unbemerkt von der Öffentlichkeit. Mithilfe seiner Überparteilichkeit, seiner Diskretion und seinem Netzwerk hat der Vatikan eine wichtige Rolle gespielt – bisher wenigstens.

Franziskus verkennt seine politische Bedeutung

Sicherlich hatte Franziskus bei seinen Äußerungen nicht Böses im Sinn, ganz im Gegenteil. Franziskus stellt die Menschen in den Mittelpunkt, er hat ihr Schicksal im Blick. So will er auch um jeden Preis erreichen, dass Frieden einkehrt. Doch der Papst aus Argentinien verkennt womöglich zu oft, dass er das, was er sagt und das, was er nicht sagt, eine große politische Bedeutung hat. Er ist nicht nur Seelsorger, sondern auch eine wichtige moralische Autorität auf dem politischen Parkett. In dieser Rolle ist es essenziell, dass er von allen Seiten respektiert wird. Indem er sich auf keine Seite stellt. Und indem er seine Worte sorgfältig abwägt. Denn Worte lösen Emotionen aus – unabhängig davon, ob sie wirklich so gemeint sind oder nicht.

Papst fordert Ukraine zu Verhandlungen auf
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