Die Kühltürme des tschechischen Atomkraftwerks Temelin in Südböhmen.
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In Bayern sorgt man sich vor den tschechischen Ausbauplänen für die grenznahen Atomkraftwerke. Doch wie sicher sind die tschechischen Meiler?

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Neue AKWs in Tschechien: Grund für Sicherheitsbedenken?

Mit der Ankündigung, bis zu vier neue Atomkraftwerke bauen zu wollen, hat Tschechien zuletzt für Aufruhr gesorgt. Viele Bürger im Grenzgebiet fürchten einen Unfall. Doch sind die tschechischen Meiler tatsächlich unsicherer als die letzten deutschen?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

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Die Nachricht kam unerwartet: Statt mit nur einem neuen Atomreaktor liebäugelt die tschechische Regierung aktuell mit dem Bau von insgesamt vier neuen Atomkraftwerken. Zwei davon sollen in Temelin, also unweit der bayerischen Grenze, entstehen.

Kritik aus Bayern an tschechischen Kernkraft-Plänen

In Deutschland, wo man sich nach langem Hin und Her im April vergangenen Jahres von der Atomkraft zur Stromerzeugung verabschiedet hat, sieht man die Pläne mit Skepsis. Der Vorwurf vieler Bürger und auch aus der Politik: Während man hierzulande unter anderem aus Sorge vor der Strahlenbelastung die bestehenden Meiler, die als besonders sicher galten, vom Netz genommen hat, sollen bald in unmittelbarer Nähe neue gebaut werden. Und ob die tschechischen Reaktoren dann ebenso sicher sein werden? Fakt ist: Jedes Land entscheidet selbst, welche Standards erfüllt werden müssen, um eine Betriebserlaubnis zu erhalten.

Wie lassen sich Atomkraftwerke vergleichen?

Grundsätzlich ist die Frage nach der Sicherheit von Atomkraftwerken auch keine einfache. Ein seriöser Vergleich einzelner Anlagen sei sowieso nicht möglich, heißt es etwa von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mit Sitz in Köln auf BR24-Anfrage. "Die Sicherheit eines Kernkraftwerks ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig: Da spielen unter anderem die (sicherheits-)technische Auslegung, die Betriebsführung, das jeweilige nationale Regelwerk oder auch die Effektivität staatlicher Aufsicht eine wichtige Rolle."

Während in Deutschland unter anderem die TÜV-Organisationen im Auftrag der Umweltministerien der jeweiligen Bundesländer als externe Prüfeinheit für die Sicherheit der kerntechnischen Anlagen zuständig sind, übernimmt diese Aufgabe in Tschechien in der Regel das National Radiation Protection Institute (SURO). Das ist eine öffentliche Forschungseinrichtung und vergleichbar mit Einrichtungen wie beispielsweise der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Deutschland oder dem TÜV. Ergänzt wird das tschechische Sicherheitskonzept durch die staatliche Aufsicht der nationalen Atomaufsichtsbehörde SUJB.

Reaktorsicherheit ist Sache der Nationalstaaten

Dennoch bemüht man sich innerhalb der Europäischen Union um Einheitlichkeit. So gilt für alle Kernkraftwerke in der EU eine Richtlinie, mit der gewährleistet werden soll, dass "die Mitgliedstaaten geeignete innerstaatliche Vorkehrungen für ein hohes Niveau der nuklearen Sicherheit treffen, um die Arbeitskräfte und die Bevölkerung vor Gefahren ionisierender Strahlungen aus kerntechnischen Anlagen zu schützen".

Diese Richtlinie stellt aber eher einen rechtlichen Rahmen dar und gibt wenig konkrete Vorgaben, wie eine Anlage im Einzelfall ausgelegt werden soll, so ein GRS-Sprecher. Dies ist Sache der Einzelstaaten und des nationalen Regelwerks. "Zu den Regelwerken lässt sich sagen, dass keins dem im Nachbarland genau gleicht, hier aber auch keine gravierenden Unterschiede bestehen." Das liege unter anderem daran, dass in der Regel die Sicherheitsstandards der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) als Vorbild herangezogen würden.

Aber enger Austausch zwischen den Ländern

Außerdem arbeiten die Atomaufsichtsbehörden (darunter auch die tschechischen) auf europäischer Ebene eng zusammen, um grundlegende einheitliche europäische Sicherheitsanforderungen für Atomkraftwerke zu entwickeln. So werden unter anderem grundsätzliche Fragen der nuklearen Sicherheit im Rahmen der sogenannten "European Nuclear Safety Regulators Group" (ENSREG), einem Beratungsgremium der EU-Kommission, diskutiert. Andere Gremien wie die "Western European Nuclear Regulators Association" (WENRA) beschäftigen sich mit technischen Aspekten und arbeiten auf hohe Sicherheitsstandards und ein gemeinsames Sicherheitsverständnis hin.

Vor dem Hintergrund der nationalen Verantwortung für die nukleare Sicherheit hat Deutschland zudem mit knapp 60 anderen Staaten bilaterale Vereinbarungen abgeschlossen, um sich unter anderem in Fragen der Reaktorsicherheit, der nuklearen Entsorgung und des Strahlenschutzes auszutauschen - darunter auch mit Tschechien. Hinzu kommen extra eingerichtete Nuklear-Kommissionen mit den jeweiligen Aufsichtsbehörden, wie die Deutsch-Tschechische Kommission (DTK). Darin werden laut dem BMUV ebenfalls sicherheitstechnische Fragestellungen zu AKWs in der Tschechischen Republik, insbesondere auch im Zusammenhang mit den geplanten Neubauten, beständig erörtert. Dazu gehört regelmäßig auch die gegenseitige Berichterstattung über die Atomkraftwerke.

Kontrollen und Überprüfungen nur auf freiwilliger Basis

Eine Art verbindlichen TÜV, wie etwa beim Auto, gibt es für europäische Atomkraftwerke nicht. Für die Sicherheit der Anlagen ist in den jeweiligen Ländern primär der Betreiber verantwortlich. Im Fall der beiden tschechischen Kernkraftwerke in Temelin und Dukovany ist das die teilstaatliche CEZ Group. Die Firmengruppe mit Sitz in Prag zählt nach eigenen Angaben mit Standorten in mehreren Ländern zu den zehn größten Energieerzeugern Europas. CEZ ist auch in anderen Bereichen der Stromerzeugung aktiv, wie etwa durch Wind- und Wasserkraftanlagen.

Selbst die EU-Kommission hat keine eigene Kompetenz, Sicherheitsanforderungen im Atombereich festzulegen oder zu überprüfen, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesministeriums für nukleare Sicherheit (BMUV) auf die Anfrage von BR24. Allerdings hat Tschechien - ebenso wie Deutschland - die sogenannte "Convention on Nuclear Safety" der IAEO unterzeichnet. Diese Erklärung verpflichtet ihre Vertragspartner, zu einer alle drei Jahre stattfindenden Überprüfungstagung einen Bericht über den erreichten Stand der nuklearen Sicherheit vorzulegen. Zudem nahm Tschechien wie alle anderen EU-Länder nach dem Reaktorunfall von Fukushima an einem europaweiten Stresstest für Kernkraftwerke teil.

Bislang kein Grund zur Sorge

Darüber hinaus hat Tschechien auch wiederholt freiwillige IAEO-Missionen zugelassen, zuletzt beispielsweise 2023 zur Überprüfung des Genehmigungsregelwerks oder zum Sicherungsstatus der dortigen Anlagen. Das Ergebnis: "Die Mission bestätigte, dass die Tschechische Republik über einen umfassenden und robusten Regulierungsrahmen für die nukleare Sicherheit verfügt", erklärte ein Sprecher des Bundesministeriums für nukleare Sicherheit. In dem Bericht wurde der tschechischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde außerdem ein Bestreben nach kontinuierlicher Verbesserung bescheinigt.

Größere Stör- oder gar Unfälle gab es in tschechischen Kernkraftwerken bis dato keine. Allerdings wurde 2016 festgestellt, dass alle Röntgenbilder der Schweißnähte in den vier Reaktorblöcken des Kraftwerks in Dukovany systematisch manipuliert worden waren. Betreiber und Aufsichtsbehörde stellten damals Strafanzeige. Die Schweißnähte wurden daraufhin alle überprüft und deren Haltbarkeit nachgewiesen.

Wie geht es weiter?

Ob die Regierung in Prag nun an den Plänen für zusätzliche Atomreaktoren festhalten wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. In der bayerischen Staatsregierung hält man sich deshalb mit einer offiziellen Stellungnahme noch bedeckt. Sollte das Vorhaben aber weiter konkretisiert werden, erwarte man einen offenen Austausch mit Tschechien, so ein Sprecher auf BR24-Anfrage. Auf österreichischer Seite, deren Grenze auch nur unweit zu Temelin entfernt liegt, zeigte man sich in einer Antwort an BR24 etwas kritischer. Hier will man zur Not "alle rechtlichen Mittel nutzen, um seine Sicherheitsbedenken einzubringen".

Im Video: Tschechiens AKW-Pläne - "Für die Grenzregion besorgniserregend"

Atomreaktoren in Temelin, Tschechien.
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Bisher sollte nur ein Atomreaktor gebaut werden, jetzt wohl bis zu vier. Zwei davon sollen in Temelin in der Nähe von Bayern entstehen.

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