Oktober 2022: Boris Palmer (l.), der alte und neue Oberbürgermeister von Tübingen, bekommt nach seiner Wiederwahl auf dem Marktplatz Glückwünsche von Rezzo Schlauch.
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Oktober 2022: Boris Palmer und Rezzo Schlauch

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Kritik an Boris Palmer hält an: Weggefährte wendet sich ab

Nach seinen umstrittenen Äußerungen bei einer Migrationskonferenz steht Boris Palmer weiter massiv in der Kritik. Sein Anwalt kündigt dem Tübinger Oberbürgermeister die Freundschaft - aber nicht nur er geht auf Distanz.

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Mit umstrittenen Äußerungen in Frankfurt am Main hat der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer heftige Kritik auf sich gezogen. Unverständnis herrscht nicht nur bei den Beteiligten dort, sondern auch in Baden-Württemberg. Anwalt Rezzo Schlauch wandte sich von Palmer ab, der Tübinger Grünen-Stadtverband ging auf Distanz.

Palmer hatte am Freitag mit einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gruppe vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main für Aufsehen gesorgt. Vor einem Gebäude der Goethe-Universität hatte er zu Art und Weise seiner Verwendung des N-Wortes Stellung bezogen.

Anwalt: Habe auch meine politische Loyalität aufgekündigt

Als er mit "Nazis raus"-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem Ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für Euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach." Mehrere Medien berichteten über den Vorfall. Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

Palmers Anwalt Schlauch teilte am Sonntag mit: "Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt."

Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: "Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen." Schlauch hatte Palmer im Parteiordnungsverfahren juristisch vertreten und auch beim Wahlkampf in Tübingen unterstützt.

Palmer: Meine Familie wurde von Nazis verfolgt

Der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte "die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern" durch Palmer. "Wir bedauern, dass erneut durch Aussagen von Boris Palmer viele Menschen verletzt wurden."

Wie Palmer der Nachrichtenagentur dpa bestätigte, sind die Äußerungen in Frankfurt so gefallen. "Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen", erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht. Er habe den Protestierenden erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass "ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet".

Palmer bestätigte zudem die Verfolgung seiner jüdischen Vorfahren durch die Nazis. Seine Familie habe sich dem Judenstern durch Flucht gerade noch entziehen können. "Mein Vater Helmut wurde in der Schule mit dem Namen 'Moses' gerufen und nach dem Krieg mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, weil er Nazis Nazis nannte", schrieb Palmer am Samstag auf Facebook.

Hessens Justizminister distanziert sich

Er erklärte zudem, er sage das N-Wort, weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. "Das hoch umstrittene Wort" gehöre jedoch nicht zu seinem aktiven Wortschatz. "Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext."

Zuvor hatten sowohl Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) wie auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, die Äußerungen Palmers verurteilt. Palmer hatte dort bei der Konferenz "Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland" gesprochen.

Organisatorin: Palmer hat mit Äußerungen Tagung schwer beschädigt

Die Direktorin des veranstaltenden Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität, Susanne Schröter, kritisierte Palmer massiv. Palmers Ausführungen kommentierte Schröter während der Veranstaltung nicht. Am Samstagvormittag twitterte sie, sie distanziere sich "nachdrücklich" von den Äußerungen Palmers. Sein Verhalten habe die "sehr gute und differenziert geführte Tagung schwer beschädigt und ist nicht akzeptabel". Die Konferenzteilnehmer seien aber teilweise auch als Nazis beschimpft worden. Das sei genauso zu verurteilen.

Zahlreiche Twitter-Nutzerinnen und Nutzer warfen Schröter Unglaubwürdigkeit vor - darunter auch der Publizist Max Czollek. Meinungsfreiheit zu fordern und bei ihrer Überschreitung keine Zivilcourage zu zeigen, sei "eine Form (kalkulierter) Kompliz*innenschaft", hieß es in einem Bericht des Hessischen Rundfunks. Czollek betonte: "Wer Palmer einlädt, bekommt Palmer."

Die "ausgezeichneten Vorträge" der anderen Referenten seien durch Palmer "mit einem Federstrich zunichte gemacht" worden, sagte Schröter. Sie sei "wirklich deprimiert" und "so sauer", sagte Schröter. "Es ist mir unverständlich, dass man sich provozieren lässt von demonstrierenden Studenten und dann einen Kampf anfängt und sämtliche Vorurteile bestätigt." Palmer habe "überhaupt kein Gespür für Anstand".

Psychologe Mansour: Kein Referent hat etwas gegen Ausländer gesagt

Ähnlich äußerte sich der Psychologe Ahmad Mansour, der sich auch in Bayern im Auftrag der Staatsregierung bei der Extremismusbekämpfung engagiert und etwa an Schulen oder Gefängnissen Workshops anbietet.

Er hatte Palmer schon während der Veranstaltung heftig widersprochen und legte am Sonntagmorgen in einem Facebook-Video nach: "Die Aufregung um Palmer kann ich sehr gut verstehen. Solche Aussagen sind inakzeptabel - egal in welchem Kontext sie getroffen werden." Kein einziger der Referenten habe irgendetwas gegen Ausländer oder Muslime gesagt. "Es ging um Integration, es ging um Konzepte, um diese Menschen emotional zu erreichen, um ihnen in Deutschland zu helfen."

Palmer war schon als Grünen-Politiker mit umstrittenen Äußerungen aufgefallen. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.

Mit Informationen von dpa, hr und epd

Boris Palmer
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Marijan Murat
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Boris Palmer (Archivbild)

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