Bundesministerin Julia Klöckner (CDU)
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Klöckner mit Nestlé - Ist die Grenze zu Werbung überschritten?

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat in einem Video den Nestlé-Konzern für sein Engagement bei ihrer Initiative für weniger Zucker, Fette und Salz in Lebensmitteln gelobt. Ist die Grenze zur Werbung überschritten? Ein Faktenfuchs.

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Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat mit einem Twitter-Video heftige Kritik auf sich gezogen. Darin ist die CDU-Politikerin neben dem Vorstandschef von Nestlé Deutschland, Marc-Aurel Boersch, zu sehen - und lobt dessen Unterstützung im Kampf für gesündere Lebensmittel.

Der Konzern selbst steht immer wieder in der Kritik. Diesmal geht es aber vor allem um das Verhalten der Ministerin. Hat sie die Grenze zur Werbung überschritten? Ist ihre Nähe zu dem Unternehmen hier zu groß?

Produkte, "die die Bürger gerne mögen"

"Ich habe heute viel Neues erfahren und freue mich, dass wir Unterstützung haben für unsere Innovations- und Reduktionsstrategie", sagt Klöckner in dem Video. "Weniger Zucker, weniger Salz, weniger Fett in den Produkten, die die Bürger gerne mögen", sagt die Ministerin lächelnd – und deutet beim Verweis auf die Produkte, "die die Bürger gerne mögen", auf den Nestlé-Chef. Als Boersch dann von Nestlé erzählt, nickt Klöckner immer wieder.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass Politiker - verschiedener Parteien - sich mit Unternehmenschefs treffen oder Konzerne besuchen und dann anerkennende Worte sprechen.

"Salz, Zucker und Fette können nur diejenigen reduzieren, die die Produkte herstellen", schrieb eine Sprecherin des BMEL in einer Mail an BR24. "Daher gehört es dazu, mit jenen Verbänden und auch Unternehmen zu sprechen, die hier in der Verantwortung stehen, sie in die Pflicht zu nehmen."

Vorwurf der Schleichwerbung

Dass aber gerade ein einzelnes Unternehmen durch das Video herausgestellt wurde, ist Teil der Kritik. Darauf entgegnete die Sprecherin in ihrer Mail: "Dass wir als Bundesministerium nun verstärkt Kontakt mit einzelnen Unternehmen der Lebensmittelbranche aufnehmen, ist Beleg dafür, dass wir es mit der Umsetzung der Reduktionsstrategie sehr ernst nehmen." Denn die Verbände sähen solche Einzelkontakte nicht gerne, weil einige Unternehmen ambitionierter sein könnten als der Durchschnitt. Das Ministerium halte dies dagegen für wichtig.

Die Aufregung um das Video rührt sicher zum Teil von der allgemeinen und häufig wiederkehrenden Kritik an Nestlé - und an den neuerlichen Zweifeln an Klöckners Unabhängigkeit. Auch als "Bierbotschafterin" sah sich die Ministerin schon mit dem Vorwurf der Schleichwerbung konfrontiert.

Rezo schaltet sich in die Werbungs-Debatte um Klöckner und Nestlé ein

In die aktuelle Diskussion schaltete sich auch der Youtuber Rezo ein, der kürzlich mit seinem Video "Die Zerstörung der CDU" eine breite Debatte über den Klimawandel und die Digital-Kompetenz von Union, SPD und AfD losgetreten hatte. Er warf Klöckner jetzt vor, hätte er so ein Video erstellt, dann hätte er es als Werbung kennzeichnen müssen.

Die Antwort des Ministeriums auf Twitter fiel ausweichend aus: "Wir verstehen den Punkt. Und gleichzeitig werben wir dafür, dass es vorangeht mit gesünderen Lebensmitteln (...)." Regierungssprecher Steffen Seibert sagte dazu in der Bundespressekonferenz, in gemeinsamen O-Tönen von Politikern mit Unternehmen sei keine Werbung zu sehen.

Lobbycontrol attestiert fehlende kritische Distanz

Der Verein "Lobbycontrol" sieht das Video dennoch kritisch. Der gemeinnützige Verein, dem größtenteils Politikwissenschaftler und Juristen angehören, will nach eigenen Angaben über "Machtstrukturen und Einflussstrategien" in Deutschland und der EU aufklären und "für Transparenz, eine demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit" durch Interessenverbände einsetzen.

"Wir vermuten, dass dieses Video - auf juristischer Ebene - im Ermessensspielraum des Ministeriums liegt", sagte ein Sprecher BR24. Seine politische Einordnung fällt jedoch anders aus. "Es passt ins Bild von Frau Klöckner und der Union, in das der großen Industrienähe." Der Ministerin fehle in dem Video die kritische Distanz. "Man fragt sich schon, ob sie da als Politikerin auftritt, die Unternehmen auch mal kontrollieren soll. Oder als Unternehmenssprecherin. Die Grenze verschwimmt."

Unklar, wer die Idee zu dem Videostatement hatte

Die Fragen, wer die Idee zu dem Video hatte und ob der Text und die Dialogverteilung vorab geschrieben waren, ließ eine Sprecherin des Ministeriums in einer Mail an BR24 unbeantwortet. In der Bundespressekonferenz sagte eine Ministeriumssprecherin, wer die Idee hatte, könne sie nicht sagen. Jedoch kämen solche Anregungen häufig von den Social-Media-Redakteuren des Ministeriums. Ein Kopfschütteln zeigte, dass es einen Verhaltenskodex für solche Videos nicht gebe.

Auch Nestlé Deutschland schickte keine Antwort auf die Frage, wer die Idee zu dem Video hatte und ob die konkrete Gestaltung geplant gewesen sei. Das Video sei "im Rahmen eines persönlichen Gedankenaustausches im Ministerium" entstanden. Die Ergebnisse des Gespräches wurden vom Ministerium in einem kurzen gemeinsamen Videostatement dokumentiert", hieß es von Nestlé.

Landesmedienanstalt prüft das Video

Ob es sich tatsächlich um Schleichwerbung handelt, prüft jetzt die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Die Behörde setzt sich nach eigenen Angaben für Medienvielfalt ein. Dabei lizenziert und beaufsichtigt sie den privaten Rundfunk. Nach mabb-Angaben sind bereits mehr als zehn Beschwerden über das Video eingegangen. Anfragen über Twitter kamen dazu. Die Landesmedienanstalt prüft im privaten Rundfunk und in den sogenannten Telemedien die Trennung von Werbung und Inhalt sowie die Einhaltung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags. Im Fall von Klöckner und Nestlé untersucht sie also, ob die Ministerin und das Unternehmen hier kommerzielle Werbung machen, die dem Absatz von Produkten dient.

"Bei Influencern prüfen wir in solchen Fällen zum Beispiel, ob es einen Werbevertrag gibt", erklärte eine mabb-Sprecherin. "Nach aktuellem Stand würden wir aber eher ausschließen, dass es sich im Falle des Videos von Julia Klöckner um kommerzielle Werbung handelt."

Prüfer fordern mehr Transparenz bei politischer Öffentlichkeitsarbeit

Die Anstalt prüfe jetzt aber auch, ob das Video über die übliche politische Kommunikation hinausgeht und ob die Regeln dafür bei den Telemedien ausreichen. Hier spielt demnach beispielsweise auch Verfassungsrecht hinein: Maßstab für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist laut einer mabb-Sprecherin immer noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1977. Danach kann die Grenze der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit überschritten sein, wenn der informative Gehalt einer Aussage eindeutig hinter werbliche oder unterhaltende Aussagen zurücktritt. "Allerdings ist zu beachten", gab die Sprecherin zu bedenken, "dass das Urteil auf analogen Zeiten, also deutlich vor der Zeit von Twitter und YouTube, stammt." Die Landesmedienanstalt wünsche sich aber davon unabhängig mehr Transparenz bei der Erstellung solcher Videos.

Deutscher Rat für PR sieht Grenzen überschritten

Für die Öffentlichkeitsarbeit und Kontaktpflege im politischen Raum gibt es in Deutschland auch Richtlinien des Deutschen Rats für Public Relations. Der Vorsitzende, Lars Rademacher, sieht die Grenzen hier überschritten: "Die Ministerin stellt sich damit überdeutlich auf eine Seite." Er würde Klöckner, so schrieb er in einer Antwort an BR24, genauso wenig raten, sich einseitig mit Foodwatch oder anderen Aktivisten auf ein solches Video einzulassen. Es schade der Neutralität und dem Ansehen ihres Amtes und auch Nestlé - auch wenn das Video ethisch nicht zu beanstanden sei.

Fazit

Ob das Video von Klöckner mit Nestlé gegen rechtliche Regeln verstößt, prüft derzeit die Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Die Aufsichtsbehörde fordert aber grundsätzlich mehr Transparenz. Aus Sicht des Lobby-kritischen Vereins Lobbycontrol werden im Video die Grenzen zur Werbung überschritten. Und der Deutsche Rat für Public Relations sieht im Video einen Schaden für die Neutralität des Amts der Ministerin.