Angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen will Israel Hilfslieferungen aus Ägypten für die Menschen im Süden des Palästinensergebiets zulassen. Israel werde sich dem Aufruf von US-Präsident Joe Biden, die Zivilbevölkerung im Süden des Gazastreifens mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten zu versorgen, nicht entgegenstellen, teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwoch in einer Erklärung mit.
Israel werde die Hilfslieferungen aus Ägypten so lange zulassen, "wie diese Lieferungen nicht die Hamas erreichen", hieß es in der Erklärung weiter. Von israelischem Territorium würden aber keine Hilfslieferungen für die Bevölkerung im Gazastreifen starten, bis die dort herrschende Hamas all ihre rund 200 aus Israel verschleppten Geiseln freigelassen habe.
Öffnung hängt auch von Ägypten ab
Wann die Transporte beginnen könnten, war aber zunächst nicht klar. Der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen hat nur begrenzte Kapazitäten und wurde nach ägyptischen Angaben bei einem israelischen Luftangriff beschädigt. Die Vereinten Nationen schätzen, dass derzeit rund eine Million der 2,4 Millionen Einwohner des Gazastreifens in den Süden geflohen sind. Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel, die an den Süden des Gazastreifens grenzt, stauen sich bereits Lkw-Konvois mit Hilfslieferungen für den Gazastreifen.
Nun muss noch Ägypten die Grenze öffnen. Der ägyptische Grenzpunkt Rafah ist der einzige Übergang zum palästinensischen Gazastreifen, der nicht auf israelisches Territorium führt. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte zuvor gesagt, dass sein Land mit einer Öffnung einverstanden sei, wenn Israel den Grenzübergang nicht bombardiere. Al-Sisi war am Mittwoch mit Kanzler Olaf Scholz in Kairo zusammengekommen.
Der ägyptische Regierungschef warnte vor einer militärischen Auseinandersetzung zwischen seinem Land und Israel, sollten Ägypten Palästinenser aus dem Gazastreifen aufnehmen und auf der Halbinsel Sinai ansiedeln. "Sinai würde dann die Basis für weitere Angriffe gegen Israel", sagte er. "Israel wird sich dann bestimmt wehren." Die Folge dürften Angriffe auf ägyptisches Territorium sein. Deshalb sei eine Evakuierung der Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten unmöglich. Der Norden des Sinai gilt seit Längerem als instabil und als Rückzugsgebiet militanter Islamisten.
Scholz: Menschen in Gaza brauchen Wasser und Nahrung
Kanzler Scholz äußerte sich nach dem Treffen mit al-Sisi optimistisch. Tags zuvor hatte er in Israel Premier Netanjahu getroffen. "Es hat sich was bewegt in den letzten Tagen", sagte Scholz. Er hoffe, dass bald Grenzübergänge für humanitäre Einsätze geöffnet werden könnten. "Die Bemühungen der Vereinigten Staaten, die Bemühungen unsererseits, die Bemühungen vieler anderer haben sicher dazu beigetragen, dass das jetzt hoffentlich bald bevorsteht." Die Menschen im Gazastreifen brauchten Wasser, Nahrung und Medikamente.
US-Präsident Joe Biden versicherte während seines Besuchs in Tel Aviv, Israel habe zugesagt, Hilfslieferungen in den Gazastreifen "schnellstmöglich" zuzulassen. Zugleich sicherte der US-Präsident Israel "beispiellose" Hilfen angesichts des Krieges gegen die Hamas zu.
Karte: Übersicht Israel und angrenzende Länder
Rund 200 Geiseln in Händen der Hamas
Die Hamas hatte am 7. Oktober einen Großangriff auf Israel gestartet und dabei etwa 1.400 Menschen in Israel getötet und rund 200 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Israel riegelte daraufhin das Palästinensergebiet ab und stoppte die Lieferung von Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser.
In Vorbereitung einer Großoffensive rief die israelische Armee am Freitag die Zivilisten in der Stadt Gaza und den umliegenden Gebieten im Norden des Gazastreifens auf, sich in den Süden des Palästinensergebiets in Sicherheit zu bringen. Nach Hamas-Angaben wurden bei israelischen Angriffen bislang mindestens 3.478 Menschen im Gazastreifen getötet.
USA verhindern UN-Resolution zu humanitären Feuerpausen
Wie lange der Krieg weitergeht, ist fraglich. Die USA haben mit einem Veto eine Forderung des UN-Sicherheitsrats nach humanitären Feuerpausen im Nahostkrieg verhindert. In dem entsprechenden Resolutionsentwurf fehle eine Passage zum Selbstverteidigungsrecht Israels, erklärte die US-Botschafterin bei den UN, Linda Thomas-Greenfield, am Mittwoch in New York. Zudem müsse der Diplomatie Zeit gegeben werden.
Der Resolutionsentwurf enthielt auch eine Verurteilung aller Gewalt gegen Zivilisten. Für die Annahme des Textes, den Brasilien eingebracht hatte, stimmten zwölf Ratsmitglieder. Zwei enthielten sich, darunter Russland. Vorher hatte Russland versucht, den brasilianischen Text zu ändern. Dieser Versuch wurde von den USA per Veto blockiert.
Bislang haben sich die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates nicht zu einer gemeinsamen Position zu dem Nahostkrieg einigen können. International wird der Ruf nach humanitären Feuerpausen für die Versorgung von Zivilisten in dem Krieg immer lauter. Die Abstimmungen fanden einen Tag nach dem verheerenden Beschuss eines Krankenhauses in Gaza statt, bei dem nach palästinensischen Angaben Hunderte Menschen getötet wurden.
Mit Informationen von AFP, AP, epd und dpa
Video: Die aktuelle Lage in Nahost
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