Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Ali Chamenei, Oberster Führer des Iran
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Iran-Israel: Lassen sie die Lage in Nahost eskalieren?

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Iran-Israel: Lassen sie die Lage in Nahost eskalieren?

Raketen und Kampfdrohnen auf Israel abgefeuert von Iran. Dazu ein mutmaßlicher Gegenangriff Israels. Der bisherige Schattenkrieg zwischen den beiden Staaten scheint Vergangenheit. Droht die Lage in Nahost nun zu eskalieren?

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Die Lage in Nahost spitzt sich zu. Seit vergangenem Wochenende kämpft Israel nicht mehr nur gegen Terrororganisationen wie die Hamas oder Hisbollah. Auch Iran ist nun aktiver Kriegsgegner. Am 1. April 2024 feuerten zwei israelische F-35 Stealth-Bomber sechs Raketen auf ein Gebäude der iranischen Botschaft in Damaskus, der Hauptstadt Syriens, ab. Dabei wurde unter anderem Mohammad Reza Zahedi, ein führender Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, getötet.

Iran reagierte darauf mit mehr als 300 Raketen und Kampfdrohnen auf Israel, die weitestgehend alle abgefangen werden konnten. Die israelische Regierung wiederum antwortete darauf jetzt mit einem mutmaßlichen Gegenangriff. Eine paradoxe Situation, da keine der beiden Seiten eigentlich eine militärische Eskalation haben möchte, jedoch nun in einer solchen landen könnte, erklärt die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad im BR24-Interview für "Possoch klärt" (Video unten).

Im Video: Iran-Israel: Lassen sie die Lage in Nahost eskalieren? Possoch klärt!

Das Ende von Irans Schattenkrieg

Iran befindet sich seit längerer Zeit schon im außenpolitischen Aufwind, sagt Zamirirad. Vor allem da Israel durch das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 laut Irans politischen und religiösen Oberhaupt Ali Chamenei einen irreparablen Schaden davongetragen habe. "Hier sieht Iran so ein bisschen ein Gelegenheitsfenster für die Schwächung des israelischen Staates und für die Etablierung einer post-westlichen Ordnung", erklärt die Iran-Expertin. Die offizielle Staatsdoktrin Irans besagt seit Jahrzehnten sogar, dass der jüdische Staat bis 2040 vernichtet werden soll.

Bisher versuchte Iran durch die Unterstützung islamistischer und Israel-feindlicher Terrororganisationen, wie die Hisbollah oder die Huthi-Rebellen, Israel zu schaden. Eine Art Schattenkrieg des Mullah-Regimes. Doch durch den israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus – was nach israelischer Auffassung kein Gebäude der iranischen Botschaft gewesen sein soll - kam im Iran die Sorge auf, an glaubhafter Abschreckung zu verlieren, wenn man nicht direkt darauf reagiert hätte, erklärt Zamirirad. Es ginge darum, eine Art Abschreckungs-Gleichgewicht wiederherzustellen.

Rechtsextremistischer Druck auf Israels Ministerpräsidenten

Auf der anderen Seite ist es Teil der israelischen Sicherheitsdoktrin, ein erhebliches Abschreckungspotenzial gegenüber allen tatsächlichen und mutmaßlichen Feinden aufzubauen. Folglich möchte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die iranischen Drohnen- und Raketenangriffe nicht unbeantwortet lassen, obwohl westliche Verbündete zur Deeskalation aufrufen. Ein militärischer Gegenschlag auf Iran folgte bereits.

In Israel üben rechtsextremistische Regierungsparteien starken Druck auf Netanjahu aus. Unter ihnen forderten der Minister für Nationale Sicherheit Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich eine sehr harte Reaktion auf den iranischen Drohnen- und Raketenangriff. Ben Gvir twitterte, sehr zum Ärger des israelischen Oppositionsführers und Ex-Premierministers Lapid, am Freitagmorgen nur ein einziges Wort: "Schwach!" Eine klare Botschaft Ben Gvirs an seine Anhängerschaft, was er von der bisherigen Reaktion Israels hält. Ben Gvir und Smotrich versuchen damit ihre extremistische Wählerbasis weiter zu animieren und auszubauen. Gleichzeitig haben sie großen politischen Einfluss auf Netanjahu, da dieser mit seiner Regierungskoalition nur eine knappe Mehrheit innerhalb des israelischen Parlaments besitzt.

Mögliche Auswirkungen auf Europa

Sollte es zu einem dauerhaften Krieg zwischen Iran und Israel kommen, würden viele weitere Parteien involviert werden, so Zamirirad. Irans sogenannte Achse des Widerstands, bestehend aus der Hisbollah im Libanon, den Huthi im Jemen und weiteren Milizen in Syrien und Irak, würde weite Teile der Nahost-Region mit in den Krieg ziehen. Auf der anderen Seite würden sich die USA als Verbündeter Israels an den Kriegshandlungen womöglich beteiligen.

Das alles hätte auch Auswirkungen auf Europa, erklärt Zamirirad. Kriege dieser Art hätten Flucht und Vertreibung als Folge. Außerdem würde der Ölpreis massiv steigen und der Welthandel beeinträchtigt werden. Iran könnte die Straße von Hormus blockieren, eine Meerenge zwischen den Persischen Golf und den Golf von Oman und damit die wichtigste Handelsroute für den Ölexport nach Asien, Westeuropa und den USA.

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Karte zur Straße von Hormus

Iran kurz vor der Atombombe

Iran verfügt über eines der fortschrittlichsten und größten Arsenale an ballistischen Raketen in der gesamten Region, erklärt die Iran-Expertin Zamirirad weiter. Darüber hinaus ist Iran auch ein nuklearer Schwellenstaat. Die meisten technischen Hürden seien überwunden und die Kapazität vorhanden, in einem Zeitraum zwischen sechs und 18 Monaten eine Atombombe zu bauen.

Da das iranische Atomprogramm jedoch nicht mehr einer umfassenden internationalen Kontrolle unterliegt, fehlen viele Informationen und Daten. "Hier könnten sich Dinge also schneller entwickeln, als wir es im Moment noch absehen können", so Zamirirad.

Israel ist bereits eine Nuklearmacht. Bei einem langfristigen kriegerischen Konflikt mit Iran und seinen Verbündeten könnte der jüdische Staat aber an seine militärischen Kapazitätsgrenzen kommen. Nachdem es für den Krieg in Gaza bereits eine große Mobilisierung von Reservisten gab, wurden nun auch Anfang April Reservisten für die Luftverteidigung gegen Iran mobilisiert. Diese Menschen fehlen den Unternehmen in Israel, was die israelische Wirtschaft belastet.

"Irans Selbstbewusstsein ist die eigentliche Gefahr"

Sowohl Israel als auch Iran ist es wichtig, die eigene Abschreckungshoheit in der Nahost-Region zu unterstreichen. Die eigentliche Gefahr in der aktuellen Konfliktlage sieht Zamirirad dabei darin, dass Iran zurzeit über ein sehr hohes Selbstbewusstsein verfügt. Iran sei ein Staat, "der möglicherweise seinen außenpolitischen Handlungsspielraum deutlich überschätzt und damit auch zum Beispiel Reaktionen aus Israel unterschätzt sowie die eigene Stärke überschätzt", erklärt die Iran-Expertin.

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