Der ehemalige Außenminister der USA, Henry Kissinger, 2014 in New York. Der in Deutschland geborene Kissinger wurde 1969 Nationaler Sicherheitsberater in den USA, 1973 dann Außenminister. Er arbeitete unter den zwei Präsidenten Nixon und Ford. Kissinger machte sich einen Namen mit der US-Geheimdiplomatie während der 1970er Jahre in Verhandlungen mit China und Vietnam. 1973 erhielt er den Friedensnobelpreis.
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Ehemaliger US-Außenminister Kissinger wird 100 Jahre alt

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Henry Kissinger: Eine Politik-Legende ist 100

Er ist ein Jahrhundertpolitiker im doppelten Sinn. Henry Kissinger feierte am Samstag seinen 100. Geburtstag. Der gebürtige Franke war US-Außenminister und ist Träger des Friedensnobelpreises. Vor Kritik gefeit ist er jedoch nicht.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Er ist nicht der 100-Jährige, der aus dem Fenster steigt und verschwindet. Er ist derjenige, dem die Welt immer noch zuhört.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos warb Henry Kissinger Anfang des Jahres für einen Friedensschluss in der Ukraine: entlang der Vorkriegslinie. Das hieße, die Krim sowie Teile von Donezk und Luhansk für den Angreifer Russland. Die Ukraine solle Nato-Mitglied werden. Henry Kissinger, wie er die Welt mit knapp 100 sieht.

Der Vorstoß stieß auf Ablehnung und Kritik. Die Staats- und Regierungschefs folgen dem "Yoda der internationalen Diplomatie", wie ihn das Handelsblatt einmal nannte, schon lange nicht mehr.

Henry Kissinger: Ein Jahrhundertpolitiker

Was bleibt ist das Phänomen Henry Kissinger: Ein jüdischer Emigrant, geflohen aus Nazi-Deutschland, der es in den USA zum Außenminister bringt und mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird. Eine Legende, die den eigenen 100. Geburtstag erlebt.

Henry Kissinger ist so außergewöhnlich, dass man ein Detail fast übersieht: Obwohl er allen Grund gehabt hätte, Deutschland zu hassen, tut er es nicht. Bei einem seiner vielen Deutschlandbesuche sagte er in einer Rede 1973 in Fürth, seine Generation sei Zeuge der dunklen Mächte, der rohen Gewalt geworden. Es gebe keinen Grund, das jemals zu vergessen. Gleichzeitig mahnt Kissinger: "Und dennoch hat unsere Generation die Möglichkeit und Pflicht, es besser zu machen."

Flucht vor den Nazis in die USA

Henry A. Kissinger kommt am 27. Mai 1923 im fränkischen Fürth als Heinz Alfred Kissinger zur Welt. Der Vater ist Lehrer im Staatsdienst und orthodoxer Jude. Er ist angesehen in der Stadt und wäre gerne in Deutschland geblieben.

Seine Ehefrau Paula setzt 1938 durch, dass die Kissingers mit ihren Teenager-Söhnen Heinz und Walter vor den Nazis fliehen. 13 Verwandte der Familie werden später in Konzentrationslagern ermordet.

Kissingers steile Karriere in Amerika

In New York wird aus Heinz: Henry. Er nimmt 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und wird als GI gegen Nazi-Deutschland in den Krieg geschickt.

Zurück in den USA studiert er Politikwissenschaft und wird zu Professor Dr. Dr. Henry A. Kissinger. In Harvard knüpft er Kontakte zur Nachwuchselite aus aller Welt, findet einflussreiche Mentoren und etabliert sich Ende der 60er Jahre als außenpolitischer Berater amerikanischer Präsidenten.

Aus dieser Zeit stammt der Satz: "Wir müssen versöhnlich sein ohne Schwäche." Versöhnlich im Ton, hart in der Sache – das beschreibt Kissingers Politikstil ganz gut.

Krisendiplomat im Dienst des US-Präsidenten

Als Krisendiplomat jettet Kissinger um die Welt. Er ist ein begnadeter Netzwerker. Ob Kalter Krieg, Vietnamkrieg, Nahostkonflikt - der rasende Henry mischt überall mit. "Nächste Woche bitte keine Krise, mein Terminkalender ist voll", soll er einmal gesagt haben.

Ein Reporter des US-Magazins "Newsweek", der Kissinger häufig begleitet, beschreibt eine Szene in Ägypten. Als Kissinger in Luxor das Grabmal des Tutanchamun besichtigte, zeigte man ihm die Hieroglyphe für das Wort "Herrschaft". Kissinger sagte: "Machen Sie mir davon einen Gummistempel."

Als US-Sonderbotschafter unternimmt Kissinger geheime Reisen nach China und schafft die Voraussetzungen für eine Entspannungspolitik zwischen den Großmächten. Und er verhandelt über einen Friedensvertrag im Vietnamkrieg.

Auf dem Gipfel der Macht

1973 erklimmt Kissinger den Gipfel der Macht. Präsident Nixon macht ihn zum Außenminister, ein Amt, das Kissinger auch unter Präsident Ford noch ausübt. Im gleichen Jahr verleiht ihm das Nobelkomitee den Friedensnobelpreis. Zusammen mit dem nordvietnameschen Führer Lê Đức Thọ. Der nimmt den Preis nicht an: noch gebe es keinen Frieden in Vietnam.

Kissinger ziert sich da weniger. Nichts habe ihn mehr bewegt als dieser Preis, sagt er und wertet ihn als eine Anerkennung der amerikanischen Außenpolitik, die das Ziel habe, Frieden zu schaffen.

Amerikanische Außenpolitik als Friedensmission. Es gibt dazu auch andere Sichtweisen.

Kritik an Henry Kissinger: "Kriegsverbrecher"

Auf eine Ehrenplakette für Henry Kissinger in seiner Heimatstadt Fürth haben Unbekannte das Wort "Kriegsverbrecher" geritzt.

Der britisch-amerikanische Journalist Christopher Hitchens beschuldigt Kissinger, für illegale Geheimoperationen und Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich zu sein. Unter anderem in Vietnam, Kambodscha und beim Militärputsch in Chile.

Grundlage der Vorwürfe sind geheime Tonbandaufnahmen aus dem Weißen Haus, die um die Jahrtausendwende freigegeben werden. Die hat auch der Hamburger Geschichtsprofessor Bernd Greiner ausgewertet. Er beschreibt Kissinger in seinem 2020 erschienenen Buch mit dem Titel "Wächter des Imperiums" als erbarmungslosen Machtpolitiker.

Greiner nennt den US-Politiker einen "Meister in der Kunst der Heuchelei und der Verstellung". Kissinger vermittele nach außen den Eindruck, als seien die problematischen Entscheidungen in seiner Amtszeit allesamt zu Lasten Nixons gegangen und als habe er immer versucht, als liberales Korrektiv aufzutreten.

Biografie aus Bayern über Kissinger als Mensch

Zum 100. Geburtstag ist im Finanzbuchverlag eine Biografie von Dr. Wolfgang Seybold über Henry Kissinger erschienen, die ihn in ein freundlicheres Licht rückt. Vietnam und Chile bleiben ausgespart. Kissinger wird allenfalls eine "gesunde Portion Machtbesessenheit" attestiert. "Ich wollte nicht seine politische Leistung bewerten, sondern ihn als Mensch darstellen", sagt der Autor.

Wolfgang Seybold ist von Beruf Erbrechtsanwalt in Gmund am Tegernsee und Erfinder des deutsch-amerikanischen Freundschaftsdinners am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz. Henry Kissinger war dort sechsmal sein Gast. Seybold nennt ihn einen Freund und kennt viele Anekdoten.

Über ein privates Putin-Treffen auf Kissingers Landsitz bei New York erzählt Seybold, eine Nachbarin sei dazugekommen, als Putin ankam - leger mit einer Sportjacke bekleidet und von nur einem Bodyguard begleitet. Kissinger sei zum Gartentor gelaufen und habe der Nachbarin erklärt, der mit der Sportjacke sei der russische Präsident. Daraufhin soll die Nachbarin Putin erklärt haben: "Hören Sie nicht auf Henry, der hat manchmal einen komischen Humor."

Henry Kissinger
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