Der Autor und Politiker in der Ronald-Reagan-Bibliothek
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Henry Kissinger im Februar 2023 im Simi Valley

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Kissinger (99) über greise US-Präsidenten: "Erschöpfungsgefahr"

Am 27. Mai wird er selbst 100 Jahre alt und kann sich sogar noch vorstellen, als "Berater" zwischen Moskau und Washington behilflich zu sein, aber Diplomatie-Legende Kissinger ist ziemlich skeptisch gegenüber sehr betagten Chefs im Weißen Haus.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Im vergangenen Februar hatte Henry Kissinger noch eine Grundsatzrede zum 112. Geburtstag von US-Präsident Ronald Reagan gehalten, sogar open air, vor der Gedenkbibliothek im kalifornischen Simi-Valley. Er ist nach wie vor als Buchautor und Stargast tätig, wenn auch in der Regel per Video zugeschaltet. Und vom US-Sender CBS gefragt, ob er sich vorstellen könne, im Ukraine-Krieg zwischen Moskau und Washington zu vermitteln, antwortete der bald hundertjährige Kissinger verschmitzt: "Ich wäre geneigt, zur Verfügung zu stehen. Aber ich wäre Berater, keine aktiv tätige Person." Diese Art von "Anmaßung" wäre bei jedem anderen unfassbar, hieß es von CBS, doch mit Verweis auf die eindrucksvolle Fotogalerie ehemaliger US-Präsidenten in Kissingers Büro gehe das schon in Ordnung.

"Erfordert gewisse körperliche Fähigkeit"

Allerdings ist Kissinger nicht sonderlich begeistert, dass bei der kommenden US-Präsidentschaftswahl möglicherweise der Amtsinhaber Joe Biden (wird im November 81) auf Donald Trump (wird im Juni 77) treffen könnte: "Es erfordert eine gewisse körperliche Fähigkeit. Bei der Erfahrung gibt es einige Vorteile. In der Erschöpfung liegen jedoch Gefahren, auch in der begrenzten Arbeitsfähigkeit." Der Ex-Außenminister (1973 - 1977) arbeitet nach eigener Aussage selbst allerdings nach wie vor 15 Stunden täglich - trotz mehrerer Herzoperationen, Schwerhörigkeit und der Erblindung auf einem Auge. Selbstbewusst ist der hoch umstrittene Kissinger trotz einer ausgesprochen zwiespältigen Bilanz als US-Chefdiplomat nach wie vor: Im Interview sagte er, dass der chinesische Präsident Xi Jinping "sehr wahrscheinlich" abheben würde, wenn er ihn zu sprechen wünsche, vermutlich gelte das auch für Putin.

Kissinger reagierte schmallippig auf Fragen nach seinem Verhalten im Vietnam-Krieg, wo er zunächst für eine Ausweitung der Kampfhandlungen gewesen war und die Bombardierung Kambodschas befürwortet hatte. Doch seinen heutigen Kritikern bescheinigte der viel beschäftigte Autor und Redner "Ignoranz" und seinen Interviewer rügte Kissinger: "Sie wählen ein Thema aus, das vor sechzig Jahren passiert ist. Sie müssen wissen, dass es ein notwendiger Schritt war. Jetzt hat die jüngere Generation das Gefühl, dass sie nicht groß nachdenken muss, wenn Sie deren Emotionen aufstacheln."

Warnung vor Gefahren von Künstlicher Intelligenz

2021 legte Kissinger gemeinsam mit deutlich jüngeren Co-Autoren ein Buch über die Chancen und Gefahren Künstlicher Intelligenz (KI) vor, "The Age of AI and Our Human Future". Jetzt sagte der greise Politiker, dass KI zwar "höchst begehrenswert" sei, das Tempo ihrer Entwicklung allerdings in Krisensituationen "problematisch" sein könne. Zum Beispiel sei es denkbar, dass eine KI-Maschine dem Präsidenten Handlungsanweisungen gebe: "Wenn wir uns auf die Antwort verlassen, können wir sie nicht doppelt überprüfen, weil wir nicht das gesamte Wissen überprüfen können, das sich die Maschine erworben hat. Wir geben ihr dieses Wissen. Aber das wird eine der großen Debatten sein. Ich versuche jetzt, das zu tun, was ich in Bezug auf Atomwaffen getan habe, um die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Auswirkungen dieser Entwicklung zu lenken."

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