ARCHIV - 11.10.2023, Berlin: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, nimmt an der Vorstellung der Herbstprognose für das Wirtschaftswachstum teil. Habeck will Deutschland mit einer neuen Strategie wieder als starken Industriestandort positionieren. (zu dpa "Habeck will Industrie «in ganzer Vielfalt» erhalten") Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Wirtschaftsminister Habeck

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Habeck: "Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren"

Die Politik ist alarmiert, weil seit dem Hamas-Überfall auf Israel antisemitische Vorfälle zunehmen. Vizekanzler Habeck fordert eine "harte politische Antwort". Stimmen aus der CDU und vom Verfassungsschutz sehen die Flüchtlingspolitik mit als Grund.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

In einem viel beachteten Video hat Vizekanzler Robert Habeck Antisemitismus in Deutschland scharf verurteilt und Solidarität mit Jüdinnen und Juden angemahnt. "Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren, in keiner", sagte er.

Habeck in Social-Media-Video: Schutzversprechen an Juden

"Die Jüdischen Gemeinden warnen ihre Mitglieder, bestimmte Plätze zu meiden, zu ihrer eigenen Sicherheit - und das heute hier in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust!", mahnte der Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Politiker in dem Video, das sein Ministerium am Mittwochabend auf der Plattform X (vormals Twitter) verbreitete. Die Gründung Israels nach dem Holocaust sei "das Schutzversprechen an die Jüdinnen und Juden". Deutschland sei verpflichtet, zu helfen, dass dieses Versprechen erfüllt werden kann. Der Satz "Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson" sei nie eine Leerformel gewesen und dürfe auch keine werden.

Das Video kam bis Donnerstagfrüh laut Angaben der Plattform auf über drei Millionen Aufrufe und wurde tausendfach geteilt. Politiker auch der CDU lobten den Appell.

Islamistische Demos brauchen "harte politische Antwort"

"Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und in weiteren Städten Deutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort", sagte Habeck. Das Verbrennen israelischer Flaggen sei eine Straftat, das Preisen der Hamas-Taten auch. "Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden."

Habeck übt auch scharfe Kritik an antisemitischen Tendenzen unter Rechtsextremen sowie linken Aktivisten.

Muslimische Verbände sollen Antwort auf Antisemitismus geben

Habeck sagte, es brauche auch von den muslimischen Verbänden in Deutschland eine Antwort auf Antisemitismus. Einige hätten sich klar von den Taten der Hamas und Antisemitismus distanziert. "Aber nicht alle, und manche zu zögerlich und ich finde, insgesamt zu wenige." Die Muslime in Deutschland müssten sich klar von Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen. "Für religiöse Intoleranz ist kein Platz in Deutschland."

Antisemitismusbeauftragter zu Video: "Eindringliche Botschaft"

Lob kommt von dem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein: "Die eindringliche Botschaft von Herrn Vizekanzler Robert Habeck ist ein richtiger und wichtiger Beitrag in der aufgeheizten und von Falschmeldungen geprägten Diskussion."

Er fasse "in klaren wie besonnen Worten zusammen, was das Gebot der Stunde ist", so Klein. Und weiter: "Es gelingt ihm, ohne Schuldzuweisung an die Verantwortung aller in Deutschland lebenden Menschen zu appellieren, sich für die Sicherheit von Jüdinnen und Juden und gegen Antisemitismus einzusetzen."

Unionsfraktionsvize Middelberg sieht Lücken im Einbürgerungstest

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Mathias Middelberg wirft der Ampel-Koalition unterdessen vor, sie habe Maßnahmen gegen die Einbürgerung von Menschen mit antisemitischen Einstellungen verschleppt. "Sämtliche Ampel-Politiker schwadronieren gerade über Verschärfungen im Staatsangehörigkeitsrecht, um die Einbürgerung von Antisemiten zu verhindern", sagte der CDU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Ein Beschluss des Innenausschusses des Bundestages vom Juni 2021 dazu sei aber bis heute nicht umgesetzt, so Middelberg. Der Ausschuss hatte damals gefordert, die Fragen des Einbürgerungstests "auch mit Blick auf die Themen Antisemitismus, das Existenzrecht Israels und die jüdische Religion" zu überprüfen und entsprechend zu erweitern. Das Bundesinnenministerium hatte Middelberg auf Nachfrage mitgeteilt, es sei vorgesehen, den Fragenkatalog zu überprüfen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir warnte vor Pauschalurteilen und sagte: "Eine überwiegende Mehrheit weiß, dass Antisemitismus ein Gift ist, das wir stoppen müssen." Eine Mehrheit wisse auch, dass es falsch sei, Musliminnen und Muslime unter Generalverdacht zu stellen.

Seit dem Überfall der islamistischen Hamas in Israel hat die Zahl der antisemitischen Vorfälle bundesweit zugenommen.

Thüringens Verfassungsschutzchef warnt vor antisemitischen Anschlägen

Der Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan Kramer, wiederum warnte angesichts des Kriegs in Israel und Gaza vor einer wachsenden Gefahr antisemitischer Anschläge in Deutschland. "Wir müssen davon ausgehen, dass auch hiesige Islamisten und Hamas-Sympathisanten es nicht bei Demonstrationen und verbalen Entgleisungen belassen, sondern konkret gewalttätig werden - nicht nur in Neukölln, sondern landesweit", sagte Kramer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Die Lage sei extrem emotionalisiert, es herrsche "eine abstrakt hohe Gefährdung", sagte der Verfassungsschützer, der früher Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland war. Die jüdischen Gemeinden und Organisationen stünden "ganz besonders im Fokus", sagte Kramer. Dabei gehe die größte Gefahr von radikalisierten Einzelpersonen aus.

Verfassungsschützer macht auch Flüchtlingspolitik verantwortlich

Kramer macht auch die Flüchtlingspolitik für die Entwicklung verantwortlich: "Seit 2015 fliehen vermehrt Menschen nach Deutschland. Jetzt tritt die Phase ein, in der viele weder persönliches noch berufliches Fortkommen feststellen." Diese Frustration werde zu noch mehr Gewalt führen. Zudem kämen viele Flüchtlinge mit einer entsprechenden Vorprägung. "Antisemitismus gehört in den Herkunftsländern zur DNA." Das Problem sei andererseits "selbstverschuldet", weil Deutschland keine wirklichen Fortschritte bei der Integration erziele.

Auch die Parteinahme des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für die Hamas sei für Deutschland "extrem gefährlich", weil die türkische Regierung Teile der türkischen Gemeinschaft in Deutschland kontrolliere, so Kramer.

Zentralrats-Präsident würdigt "klares Bekenntnis zur deutschen Staatsräson"

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, lobte Habecks Rede in dem Video. Im RTL/ntv-"Frühstart" sagte Schuster, "ein so klares, und wie ich auch meine, ausgewogenes Statement, das auch die Belange der Palästinenser, berechtigten Belange der Palästinenser, ausdrücklich erwähnt, habe ich in dieser Form in den letzten Wochen nicht gesehen". In diesem Format und Stil sei es "die Ausnahme". Weiter lobte Schuster das "klare Bekenntnis zur deutschen Staatsräson" und das "Aufzeigen der Folgen für diejenigen, die das nicht akzeptieren wollen". Er hoffe, dass das Video vielleicht auch übersetzt werde, damit es auch Personen mit Migrationshintergrund verstehen könnten.

Der Zentralrat der Juden fürchtet um den Rückhalt der deutschen Zivilgesellschaft nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Jüdinnen und Juden würden wegen der Ereignisse auf deutschen Straßen "gegenwärtig einen psychischen Terror" erlebten, sagte Schuster der "Augsburger Allgemeinen". Trotz Solidaritätsbekundungen höre man von vielen Seiten der Gesellschaft bereits "das berühmte Ja, aber".

Auch habe die Bundesregierung mit ihrer Enthaltung zur UN-Resolution zum Nahen Osten "ein Zeichen des Alleinlassens gesendet", fügte Schuster hinzu. Das verletze und enttäusche viele Jüdinnen und Juden schwer. Die Resolution der Vereinten Nationen hatte einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen gefordert, ohne den Hamas-Terror zu verurteilen. Deutschland steht in der Kritik, weil es nicht mit Nein stimmte, sondern sich der Stimme enthielt.

Mit Informationen von dpa, KNA und AFP

Video zur aktuellen Lage in Nahost:

Wartende Menschen.
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Heute werden rund 400 ausländische Zivilisten den Gazastreifen in Richtung Ägypten verlassen können.

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