Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat darf in der EU für weitere zehn Jahre verwendet werden
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Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat darf in der EU für weitere zehn Jahre verwendet werden

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"Bitterer Tag für die Natur": Warum Glyphosat weiter erlaubt ist

Landwirte in der EU können für weitere zehn Jahre mit einer Zulassung für den Unkrautvernichter Glyphosat rechnen. Die EU-Kommission kündigte an, den Einsatz des Mittels bis 2033 zu erlauben. Naturschützer in Bayern sind geschockt.

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Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, kann es nicht fassen: Die EU-Kommission verlängert die Zulassung für das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat um weitere zehn Jahre. "Es ist ein absolut bitterer Tag für die Natur", sagt Mergner gegenüber BR24. Und er zeigt nach Berlin: "Es ist ein Totalversagen der Bundesregierung und auch ein Bruch des Koalitionsvertrages", sagt Mergner.

Naturschützer: "Totalversagen der Bundesregierung"

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien steht klipp und klar: "Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt." Doch dieses Versprechen kann wohl nicht gehalten werden. In Europa konnte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nicht annähernd eine Mehrheit für ein Verbot organisieren. Selbst in der eigenen Regierung konnte er bei der Abstimmung kein "Nein" zu Glyphosat erreichen. Nach dem Widerstand der FDP kam es zur deutschen Enthaltung. Auch das bringt Umweltschützer aus mehreren Verbänden auf die Palme.

Glyphosat-Verbot in Deutschland hat wenig Aussichten auf Erfolg

Zwar liebäugeln einige Grüne damit, Glyphosat in Deutschland komplett zu verbieten - unabhängig davon, was die EU macht. Doch diese Vorstellung trifft nun auf die rechtlichen Fakten. Die Grünenfraktion im Europaparlament sagt auf Nachfrage von BR24 zu einem möglichen Verbot in Deutschland: "Nein, das wäre vermutlich nicht möglich, da wären die Klagen vorprogrammiert." Luxemburg etwa wollte Glyphosat eigenmächtig verbieten, ist aber am dortigen Verwaltungsgericht abgeprallt. Schließlich sei Glyphosat in der EU zugelassen, begründete das Gericht.

Der Bayerische Bauernverband sagte auf Anfrage von BR24, zu einer "sachlichen und ehrlichen Debatte" rund um Glyphosat gehöre auch der Hinweis, dass es sich bei dem Wirkstoff um ein Totalherbizid handle. "Doch genau diese Wirkungsweise hat auf dem Acker einen nur sehr schmalen Einsatzbereich zur Folge – zumindest in Deutschland und Bayern."

Warum verlängert die EU die Zulassung?

Die EU-Zulassung für den Wirkstoff Glyphosat war im Jahr 2022 ausgelaufen. Doch die EU hat die Verwendung des Mittels übergangsweise bis 15. Dezember 2023 verlängert. Weil der Wirkstoff umstritten ist, gibt es viele Studien, Gegenstudien und Daten. Es heißt sogar, Glyphosat sei die meistuntersuchte chemische Substanz der Welt. Für die Neubewertung seitens der EU musste all das geprüft und mit einbezogen werden. Und das hat gedauert – immerhin wurden zwischen Dezember 2019 und Juli 2023 im Rahmen der jetzigen Entscheidung 2.400 Einzelstudien herangezogen und durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ausgewertet. Außerdem gab es eine Konsultation, an der sich auch die Öffentlichkeit beteiligen konnte – daraus wurden weitere 400 Eingaben betrachtet.

Das Urteil der EFSA im Juli 2023 war: unbedenklich. Die Empfehlung der EU-Kommission lautet deswegen: Glyphosat für weitere zehn Jahre zulassen – unter bestimmten Bedingungen und Maßnahmen zur Risikominderung. Das wird so nun auch durchgezogen.

Was passiert nach 2033?

Die Zulassung muss dann wieder überprüft werden. Neue Studienerkenntnisse fließen dazu erneut in die Bewertung ein. Und dann beginnt der Prozess von vorne: Bewertung durch EU-Behörden, dann eine Empfehlung, es folgt der Vorschlag der EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten stimmen darüber ab. Bemerkenswert: In der Regel werden Pestizide in der EU für 15 Jahre zugelassen. Deshalb ist die jetzt angekündigte Verlängerung über zehn Jahre bereits eine Einschränkung.

Welche Einschränkungen für die Verwendung von Glyphosat schlägt die EU-Kommission vor?

Die EU-Kommission folgt der Argumentation der EFSA: Die Studienlage sei klar, sodass sie für die geprüften Anwendungsfälle kein Risiko sieht. Aber es gebe auch Datenlücken und Bedenken, die nicht restlos ausgeräumt werden konnten. Die Verwendung des Wirkstoffs soll deswegen weiterhin nur unter strengen Auflagen gestattet sein – welche das genau sein werden, ist abhängig von nationalen Regelungen. Darin können die Staaten auch die Häufigkeit des Glyphosat-Einsatzes regeln. In Deutschland darf man das Mittel nur zwei Mal im Jahr verwenden, in Spanien etwa öfter.

So will die EU sicherstellen, dass regionale Gegebenheiten (zum Beispiel zur Bodenstruktur oder zu Grund- und Oberflächenwasser) berücksichtigt werden können. Ein Beispiel aus der EFSA-Bewertung: Beim Spritzen kann Glyphosat über den Feldrand hinaus verbreitet werden und damit auch Wildkräuter und andere Pflanzen im näheren Umfeld vernichten. Die Kommission empfiehlt deshalb Pufferzonen von fünf bis zehn Metern, die sogenannte "Nichtzielorganismen" schützen sollen. Für die Kontrollen in Deutschland sind die Bundesländer zuständig.

Wie viel Glyphosat setzen Bayerns Landwirte ein?

Zur Einordnung: Für den Glyphosat-Einsatz in Bayern gibt es keine offizielle Statistik. Die Anwendung kann die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) aus Erfahrungen der Beratungspraxis weitgehend sicher ableiten. Demnach wird in Bayern Glyphosat auf etwa 240.000 Hektar ausgebracht. Nach Angaben der LfL kommt Bayern auf einen Verbrauch von 350 Tonnen pro Jahr. Damit liegt die Anwendungsquote in Bayern bei etwa elf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, so die LfL. Das ist deutlich weniger als der Bundesdurchschnitt. Der liegt laut LfL bei 38 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Wie ist die Situation in Europa?

Der Vergleich in Europa ist ebenso bemerkenswert: Die Länder Spanien, Italien und Frankreich haben nach Angaben der LfL im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien einen doppelt bis fünffach höheren Verbrauch an Glyphosat. Die Anwendung erfolgt demnach in Europa zum Großteil im Obst-, Gemüse- und Weinbau (ca. 40 Prozent), gefolgt von Getreidebau (ca. 20 Prozent). Weitere Ackerbaukulturen wie Raps, Sonnenblumen und Sojabohnen haben einen gleichwertigen Einsatzanteil von rund 5 Prozent, schlüsselt die LfL auf.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 16.11.2023 um 17.45 Uhr veröffentlicht. Wir haben am 17.11.2023 das nachträglich eingegangene Statement des Bayerischen Bauernverbands ergänzt.

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