Unverzichtbar oder unverantwortlich – Glyphosat ist umstritten. Heute entscheidet die EU über die weitere Zulassung. Krebserregend und gefährlich für die Umwelt, sagen Kritiker. Wichtig für den Erosionsschutz, sagt Landwirt Stephan Obermaier.
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Glyphosat wird auf Feldpflanzen gesprüht

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Glyphosat: Umstritten - aber für den Bodenschutz unverzichtbar?

Unverzichtbar oder unverantwortlich – Glyphosat ist umstritten. Heute entscheidet die EU über die weitere Zulassung. Krebserregend und gefährlich für die Umwelt, sagen Kritiker. Wichtig für den Erosionsschutz, sagt Landwirt Stephan Obermaier.

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Einen Landwirt zu finden, der sich vor der Kamera offen zu Glyphosat bekennt, ist nicht einfach. Doch Stephan Obermaier aus Leiblfing bei Straubing hat ein wichtiges Anliegen: Aus seiner Sicht braucht er Glyphosat für den Hochwasser- und Erosionsschutz. Denn Glyphosat hilft aus seiner Sicht, die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens zu erhalten. Das will er zeigen: Deshalb installiert er eine Zeitrafferkamera gleich neben seinem Feld. Für den Versuch spritzt er einen Streifen mit einem Mittel, das den Wirkstoff Glyphosat enthält. Einen anderen Streifen bearbeitet er mechanisch mit der Egge und rupft die Ackerunkräuter aus dem Boden. Was passiert mit den so bearbeiteten Flächen in den nächsten zehn Tagen?

Glyphosat zum "Säubern" des Feldes

Normalerweise wird Glyphosat im Frühjahr vor der Aussaat gespritzt. Es tötet dann die Zwischenfrucht ab, die den Winter über den Boden bedeckt und vor Erosion geschützt hat. Die abgestorbenen Pflanzenteile und Wurzeln stabilisieren das Bodengefüge. Der Boden auf Obermaiers Feld ist offenporig, wie ein Schwamm, kann viel Wasser speichern.

Im Anschluss an die Behandlung kann der Landwirt z.B. Zuckerrüben säen, die dann ohne Unkraut-Konkurrenz gut wachsen können. Wenn er dagegen Zwischenfrucht und Unkraut mechanisch bearbeitet, also z.B. mit einer Egge ausrupft, bleibt der Boden unbedeckt und bei Starkregen könnte die Erde abgespült werden.

Glyphosat ist überall

Glyphosat ist das weltweit am meisten eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel. Es ist ein Totalherbizid, das heißt, es vernichtet alle grünen Pflanzen, außer sie sind genverändert. In der EU darf es unter strengen Auflagen in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Es ist beispielsweise auf erosionsgefährdeten Flächen erlaubt oder um besonders hartnäckiges Unkraut zu bekämpfen, wie etwa die Ackerkratzdistel. Landwirte, die es verwenden wollen, müssen eine Prüfung machen und ihren Sachkundenachweis alle zwei Jahre mit einem Kurs erneuern. Hobbygärtner können es seit zwei Jahren überhaupt nicht mehr kaufen. Glyphosat kann beim Versprühen durch den Wind weggeweht werden oder in Bäche und Flüsse abgespült werden. Deshalb ist es überall zu finden, beispielsweise auch in Naturschutzgebieten, wo der Einsatz verboten ist, weitab von landwirtschaftlichen Flächen. Der Wirkstoff wurde auch in Lebensmitteln wie Brot, Nudeln oder Bier nachgewiesen und sogar im Urin von Menschen – allerdings in extrem geringen Mengen.

Krebserregend und Mitschuld am Artensterben?

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Der Toxikologe Dr. Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk PAN Germany zitiert fünf Mäusestudien und verschiedene Rattenstudien, bei denen erhöhte Tumorraten festgestellt wurden, beispielsweise Nierentumore bei drei verschiedenen Mäusestudien. Er ist der Meinung, dass auch die EU es als wahrscheinlich krebserregend einstufen und deshalb verbieten müsste. Doch die europäische Lebensmittelbehörde EFSA kam kürzlich zu einer anderen Einschätzung. Sie hat über drei Jahre lang rund 2.400 wissenschaftliche Studien und Gegenstudien zu Glyphosat ausgewertet. Die EFSA sieht "keine kritischen Problembereiche" für den Menschen sowie für die Umwelt. Sie empfiehlt die weitere Zulassung – allerdings unter strengen Auflagen zur Risikominimierung.

Sophia Guttenberger vom Umweltinstitut München hält das für fatal. Ihrer Ansicht nach ist Glyphosat mitverantwortlich für das Artensterben bei Insekten. Sie zitiert Studien, die darauf hinweisen, dass Wildbienen, Honigbienen oder Florfliegen direkt geschädigt werden durch Glyphosat. Bei Wildbienen beispielsweise würden Lernen und Gedächtnis stark beeinflusst, so Guttenberger. Deshalb fänden sie sich schwerer in ihrer Umgebung zurecht, hätten Schwierigkeiten, zu ihrer Brut zurückzufinden und die Nahrung nach Hause zu tragen, was zum Tod der Brut und der Bienen führen könne. Dadurch trage Glyphosat direkt zum Artensterben bei, sagt die Biologin.

Glyphosat ist das meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel der Welt. Ungefährlich für Mensch und Tier sagen die Hersteller. Möglicherweise krebserregend und katastrophal für den Artenschutz , sagen Kritiker
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Glyphosat ist das meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel der Welt. Heute entscheidet die EU-Kommission über die Verlängerung der Zulassung

Mit Glyphosat besserer Hochwasserschutz?

Zurück zu Landwirt Stephan Obermaier auf seiner Demonstrationsfläche. Nach zehn Tagen sind die Pflanzen auf der Glyphosat-Seite eher gelb und braun als grün. Ihre Wurzeln verfärben sich in Richtung gelb. Ein Anzeichen dafür, dass sie abgestorben sind. Sie vertrocknen jetzt und bleiben als abgestorbenes, totes Mulchmaterial im Boden und auf der Fläche. Das findet Stephan Obermaier gut, denn dadurch ist der Boden locker, offenporig und wasseraufnahmefähig. Auf der mechanisch bearbeiteten Seite dagegen ist hartnäckiges Unkraut immer noch grün und der Boden ist fast unbedeckt, die Erde locker. Im Falle eines Starkregens könnte sie abgeschwemmt werden.

Für den Landwirt steht deshalb fest, dass Glyphosat sein wichtigstes Werkzeug für den Erosionsschutz ist. Er spricht sich gegen ein Verbot von Glyphosat aus, sagt, das wäre ein Rückschritt im Erosions- und Hochwasserschutz, verhängnisvoll angesichts des Klimawandels und zunehmender Starkregenereignisse.

Aber ist Glyphosat wirklich die einzige Lösung? Auch im ökologischen Landbau wird Erosionsschutz betrieben – ohne Glyphosat. Dort setzt man beispielsweise auf Zwischenfruchtmischungen, die über den Winter abfrieren und dadurch vor der Aussaat keine Bodenbearbeitung nötig machen. Man verwendet andere Fruchtfolgen als in der konventionellen Landwirtschaft und arbeitet mit Untersaaten, beispielsweise Klee unter Getreide, damit der Boden ebenfalls bedeckt bleibt.

Im Video: EU entscheidet über weitere Zulassung von Glyphosat

Unverzichtbar oder unverantwortlich – Glyphosat ist umstritten. Heute entscheidet die EU über die weitere Zulassung.
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Unverzichtbar oder unverantwortlich – Glyphosat ist umstritten. Heute entscheidet die EU über die weitere Zulassung.

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