Eine Flüchtlingsfamilie geht durch eine Massenunterkunft
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Bezahlkarte für Asylbewerber: Ist Bayern gar nicht Erster?

Erst einigen sich die Bundesländer auf eine einheitliche Bezahlkarte für Asylbewerber, dann prescht Bayern mit eigenem Konzept vor und sieht sich als "Vorreiter". Ein Bundesland aber ist schon weiter.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Erste Sitzung des neuen Kabinetts, erste Umsetzung eines Punkts aus dem Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern: "Freistaat Vorreiter bei Bezahlkarten für Asylbewerber – Staatsregierung beschließt bayernweite Einführung", lautete eine Überschrift in der Mitteilung der Staatskanzlei am Dienstag. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schrieb im Kurznachrichtendienst X: "Wir machen Tempo bei der Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber. Andere Länder können sich daran gerne mit anschließen."

Eigentlich hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder Mitte Oktober auf eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte geeinigt, um Barauszahlungen an Asylbewerber einzuschränken. Laut Bund-Länder-Beschluss soll eine Arbeitsgruppe bis 31. Januar ein Modell erarbeiten. Bayern setzt nun auf einen Alleingang - wird aller Voraussicht nach aber trotzdem nicht das erste Land sein, das eine solche Bezahlkarte einführt. Denn: Hamburg ist schon deutlich weiter.

Hamburger Karte startet im Januar

In Hamburg wurde die europaweite Ausschreibung zur Bezahlkarte schon mehrere Monate vor dem Bund-Länder-Beschluss gestartet und ist bereits abgeschlossen, wie Senatssprecher Marcel Schweitzer dem BR erläutert. "Wir prüfen und bewerten die eingereichten Angebote gegenwärtig." Der operative Start für die Karte sei für den 2. Januar 2024 geplant, "so dass die ersten Karten ab Januar 2024 ausgegeben werden können". Im Freistaat hofft die Staatsregierung auf einen Start der bayerischen Karte im Frühjahr 2024.

Das Hamburger Konzept ist dabei etwas anders als das bayerische. Die Hansestadt plant eine "Sozialkarte", um die Zahlstellen zu entlasten und Barauszahlungen sowohl von Asyl- als auch von Sozialleistungen zu ersetzen. Zum grundsätzlichen Funktionsumfang der Karte sollen laut Ausschreibung neben der bargeldlosen Zahlung im Einzelhandel auch der Einkauf im Internet sowie eine Bargeldabhebung gehören. Auf kommunaler Ebene verfolgt ein ähnliches Konzept wie Hamburg die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover: Dort soll die "Socialcard" schon dieses Jahr an Asylbewerber sowie Sozialhilfe-Empfänger ausgegeben werden.

"Zuzugsanreize reduzieren, Geldtransfer erschweren"

Das bayerische Konzept hat dagegen eine Karte mit eingeschränkten Funktionen zum Ziel. Zwar sollen Asylbewerber ähnlich wie mit einer EC-Karte in Geschäften bezahlen können. Es soll aber möglich sein, bestimmte Händlergruppen auszuschließen und den Einsatzbereich geografisch zu beschränken. Überweisungen und Online-Käufe werden laut Staatskanzlei ausgeschlossen.

Barabhebungen sollen auf das rechtlich gebotene Minimum beschränkt werden. Das Innenministerium verweist darauf, dass mancherorts eine bargeldlose Bezahlung nicht möglich sei, zum Beispiel beim Pausenverkauf an Schulen. Deswegen werde es erforderlich sein, dass ein "geringer Betrag" abgehoben werden könne. Die Höhe müsse noch festgelegt werden.

Angesichts der limitierten Funktionen der geplanten Karte sieht sich der Freistaat trotzdem als Vorreiter. Es gehe darum, Zuzugsanreize zu reduzieren, den Geldtransfer ins Ausland zu erschweren und Schlepperkriminalität zu bekämpfen, sagt ein Sprecher des Innenministeriums BR24. "Bayern ist Vorreiter bei der Einführung einer Bezahlkarte, denn die bayerische Bezahlkarte ist die erste, die diesen Grundsätzen entspricht."

Hamburg: Funktionen können angepasst werden

In Hamburg aber verweist man darauf, dass der Funktionsumfang angepasst werden könne. Ein Sprecher der Sozialbehörde sagt, vor dem Hintergrund der aktuellen bundesweiten Debatte um Anreize für Asylbewerber prüfe man sehr genau, wie Geldauszahlungen sinnvoll begrenzt werden könnten. Und Senatssprecher Schweitzer betont: "Wenn sich alle Länder darauf verständigen, die Funktionen der Bargeldabhebung und der Internetzahlung abzuschalten, wird dies auch in Hamburg so sein. Technisch ist das ohnehin kein Problem."

Das bayerische Innenministerium antwortet derweil ausweichend auf die Frage, ob der Freistaat von der Hamburger Vorarbeit profitieren könnte: "Bayern begrüßt natürlich, dass inzwischen auch weitere Bundesländer das Bedürfnis für eine Karte erkennen und fordert bundeseinheitliche Regeln hierfür, um das volle Potential solcher Karten auszuschöpfen."

Beschluss zur Bezahlkarte schon 2018

Für Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist die Einführung einer Bezahlkarte überfällig, wie er dem TV-Sender Welt sagte. "Vielleicht hätten wir es in Bayern auch schon eher tun sollen, aber jetzt packen wir endlich an." Darauf, dass es die Karte in Bayern eigentlich längst geben sollte, verwies SPD-Fraktionschef Florian von Brunn am Dienstag bei BR24live: "Das hat das bayerische Kabinett schon mal im Juni 2018 beschlossen."

Im Kabinettsbericht vom 5. Juni 2018 ist zu lesen: "Um falsche Anreize zu beseitigen, wird es in Bayern kein 'Asylgehalt', sondern möglichst nur noch Sachleistungen geben." Daher solle auch eine Bezahlkarte erprobt werden, "mit der die Aushändigung von Bargeld größtmöglich vermieden werden soll". Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) konnte in der Pressekonferenz zur Kabinettssitzung auf eine Journalistenfrage nach dem Beschluss nicht antworten. "Ich habe das jetzt nicht erinnerlich", sagte er.

Laut dem Sprecher des Innenministeriums wurde in der vergangenen Legislaturperiode zunächst eine Kartenlösung in einem Modellprojekt in Mittelfranken getestet. "Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden dann genutzt, um eine bayernweite Einführung weiter vorzubereiten." So seien beispielsweise rechtliche Grundlagen geschaffen worden. "Entwicklungen auf dem Markt der Zahlungsabwickler und Finanzdienstleister stellten zwischenzeitlich auch die technische Umsetzbarkeit in Frage."

Seitenhieb von Kanzler Scholz auf Söder

Während Bayern sein eigenes Konzept vorantreiben will, geht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) davon aus, dass die bundesweite Karte rasch in die Tat umgesetzt wird. Er habe von verschiedenen Anbietern gehört, "dass sie in kurzer Zeit eine solche Dienstleistung bereitstellen können", sagte Scholz am Mittwoch im Bundestag. "Deshalb wird's wohl schnell gehen."

Der Kanzler ging auch auf den bayerischen Alleingang ein: Beim Migrationsgipfel habe er von allen 16 Ländern gehört, dass sie eine solche Karte einführen wollten - gemeinsam, mit einem einheitlichen System. "Ich hoffe, dabei bleibt das auch, sage ich als jemand, der Zeitung gelesen hat und auch andere Äußerungen von einem einzelnen Ministerpräsidenten gehört hat."

Das BR24live zur Kabinettssitzung zum Nachschauen:

ARCHIV - 06.09.2023, Brandenburg, Eisenhüttenstadt: Ein Wegweiser mit der Abkürzung «EAE» und «Asyl» zur Erstaufnahme-Einrichtungen (EAE) des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt. (Illustration zu dpa: "Gemeindebund zweifelt an schnellerem Asylverfahren und Bezahlkarte") Foto: Patrick Pleul/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Migration - Erstaufnahme-Einrichtungen (EAE)

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