Ein Mähdrescher verlädt bei München seine Weizenernte in einen Anhänger.
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Getreide, wie es hier geerntet wird, sollte nach Meinung der Verbraucherschützer von Foodwatch nur noch ohne Pestizide angebaut werden.

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Rückstände im Brot: Foodwatch will Getreideanbau ohne Pestizide

Ein Drittel aller Getreideprodukte enthalten Rückstände von Pestiziden. Das zeigen Daten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Eine Gefahr für Gesundheit und Biodiversität, finden Verbraucherschützer – und sehen die Supermärkte am Zug.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hat Daten zu Pestizid-Rückständen bei Getreide und Getreideprodukten, wie zum Beispiel Brot oder Haferflocken, ausgewertet. Erhoben hatte diese Daten die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Das Ergebnis: Bei gut einem Drittel der über 2.200 Proben wurden Rückstände von Pestiziden gefunden, insgesamt 65 unterschiedliche Substanzen. Teilweise waren die Proben auch mit Rückständen mehrerer chemischer Pflanzenschutzmittel belastet.

Die Ergebnisse bedeuten andersherum gelesen aber auch: Bei zwei Drittel der Proben konnten keine Rückstände nachgewiesen werden. Außerdem wurden bei lediglich 14 Proben (0,6 Prozent) Rückstände gefunden, die die vorgeschriebenen Grenzwerte überschreiten.

Foodwatch: Gesundheitsgefahr durch "Pestizid-Cocktail"?

Für die Verbraucherschützer von Foodwatch bedeuten die Ergebnisse dennoch, dass sich etwas ändern sollte. Auch wenn die meisten Proben die Grenzwerte nicht überschreiten, sieht Foodwatch ein gesundheitliches Risiko für die Verbraucher. Und zwar durch die große Anzahl unterschiedlicher Substanzen, die die Menschen beim Verzehr der Produkte aufnehmen. Foodwatch spricht dabei von einem "Pestizid-Cocktail". Die Wechselwirkungen seien nicht abzusehen.

Bundesinstitut: Keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten

Die Expertinnen und Experten beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sehen das anders: Auf BR24-Anfrage heißt es von der Behörde, bei den Rückständen sei nicht von einer Gesundheitsgefahr für die Verbraucherinnen und Verbraucher auszugehen. Die Grenzwerte seien so niedrig angesetzt, dass sie deutlich unter den gesundheitlich relevanten Werten lägen. Selbst wenn die gemessenen Werte für Rückstände von Pflanzenschutzmitteln die Grenzwerte einmal überschritten, sei das noch nicht mit einem gesundheitlichen Risiko gleichzusetzen. Nach bisherigem Wissensstand sei auch bei mehreren Rückständen unterschiedlicher Substanzen in der Regel nicht von einem gesundheitlichen Risiko auszugehen.

Pestizide schaden der Biodiversität

Foodwatch konzentriert sich nach eigenen Angaben auf Getreide, weil dafür der größte Teil der Ackerfläche genutzt wird und ein Gros der Pestizide in diesem Bereich zum Einsatz kommen. Hier sieht die Organisation einen besonders großen Hebel, um den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Bei der Vorstellung ihres Berichts mit dem Titel "The Dark Side of Grain" (dt.: Die dunkle Seite des Getreides) machten die Verbraucherschützer nämlich auch deutlich, dass sie vor allem den Schutz der Umwelt, insbesondere der Biodiversität im Blick haben.

Pflanzenschutzmittel schädigen die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Organismen, die es in Europa im Ackerbau besonders bei Getreidekulturen gebe, heißt es im Bericht. Insektizide sollen Schädlinge fernhalten und bekämpfen dabei auch andere Insekten. Sogenannte Herbizide, wie etwa Glyphosat, sollen Unkräuter entfernen, entfernen dabei laut Foodwatch allerdings sämtliche Gewächse, die nicht zur Getreidekultur gehören und zerstören somit wiederum die Lebensgrundlage von Insekten und anderen Tieren in der Nähe. Besonders deshalb sollte laut Foodwatch beim Anbau von Getreide in Zukunft gänzlich auf den Einsatz von chemischem Pflanzenschutz verzichtet werden.

Verbraucherschützer: Politik schläft, Supermärkte sollen handeln

Foodwatch hat deshalb eine Kampagne mit entsprechendem Appell und eine Petition gestartet. Ihre Forderung richtet die Organisation aber nicht an die Politik, sondern an die Supermarktketten. Die EU habe zwar mit den Plänen für die Reduktion von Pestiziden im sogenannten Green Deal einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, sagt Jörg Rohwedder, Geschäftsführer von Foodwatch International, bei der Vorstellung der Kampagne. Allerdings gehe dort politisch nichts mehr voran. Insbesondere die Europäische Volkspartei (EVP) blockiere. Stattdessen sollten die Supermärkte ihre Marktmacht nutzen und "nur noch pestizidfreie Getreideprodukte verkaufen" und das schon bis 2025, so die weitreichende Forderung der Verbraucherschützer. Das würde den Pestizideinsatz in Deutschland auf einen Schlag halbieren, heißt es von Foodwatch.

Umfrage: Supermärkte setzen vor allem auf mehr Bio

Foodwatch hat darüber hinaus Supermarktketten in mehreren europäischen Ländern nach ihren Strategien für die Reduktion von Pestiziden beim Anbau ihrer Produkte befragt und die Nachhaltigkeitsstrategien der Unternehmen bewertet. Annemarie Botzki von Foodwatch kommt dabei zu dem Ergebnis, die Supermärkte würden sich vor allem auf einen größeren Anteil von Bioprodukten im Sortiment konzentrieren. Auch wenn zahlreiche Handelsunternehmen Programme gestartet haben, die für die bedrohte Artenvielfalt sensibilisieren sollen, habe kein einziges eine Strategie, die die Getreideproduktion mit einschließt. Die Anstrengungen, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, beschränkten sich auf Obst und Gemüse. Das reiche bei weitem nicht aus, heißt es von Foodwatch.

Bauernverband spricht von "verkleinertem Werkzeugkasten"

Der Bayerische Bauernverband (BBV) sieht die Ergebnisse der Analyse offenbar gelassen. Die gefundenen Rückstände seien angesichts moderner Analysemethoden "nicht erstaunlich" und innerhalb der festgelegten Grenzwerte "nicht unbedingt ein Problem oder eine Gefahr", teilt der Verband auf BR24-Anfrage mit. Konfrontiert mit Forderungen von Foodwatch weist der BBV darauf hin, dass es ohne Pflanzenschutzmittel nicht möglich sei, bei begrenzter Fläche Lebensmittel in der notwendigen Menge und Qualität zu erzeugen.

Pflanzenschutzmittel unterlägen strengen Zulassungsverfahren und würden, wie Medizin, nur bei entsprechenden Symptomen eingesetzt und nur, wenn die Gefahr durch die Schädlinge oder Krankheiten eine bestimmte Schwelle überschreitet. Auf die Frage, ob ein Getreideanbau ohne Pestizide in naher Zukunft überhaupt realistisch sei, weist der BBV darauf hin, dass dies einen "eingeschränkten Werkzeugkasten" und damit auch höhere Kosten, Risiken und geringere Erträge bedeuten würde. Gerade aufgrund der hohen Inflationsrate, sei die Nachfrage nach Produkten, die so erzeugt wurden, zuletzt zurückgegangen.

Positivbeispiel aus der Schweiz?

Die Verbraucherschützer von Foodwatch sehen deshalb auch die Supermärkte selbst in einer Verantwortung, auf eine nachhaltigere Produktion hinzuwirken und dafür gegebenenfalls sogar geringere Gewinne in Kauf zu nehmen. Die Organisation hat Beispiele recherchiert, die zeigen sollen, dass dies durchaus möglich ist. Als Beispiel führt Foodwatch die Schweizer Supermarktkette Migros an, die sich für pestizidfreien Anbau in der Lieferkette einsetze und den zusätzlichen Aufwand der Landwirte entsprechend kompensiere. Für hauseigene Backwaren kaufe der Einzelhändler bereits Getreide ein, das zumindest ohne Fungizide und Insektizide angebaut wurde.

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