Flossenbürg am 7.9.23: Nachgebaute Lagertore und Blick auf das Häftlingsbad in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Im Häftlingsbad befindet sich eine Dauerausstellung. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung will, dass Hubert Aiwanger wegen der Flugblatt-Affäre eine KZ-Gedenkstätte besucht. "Keine gute Idee", sagt der Leiter der Gedenkstätte in Flossenbürg. Auch die Gedenkstätte Dachau hat abgelehnt.
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KZ-Gedenkstätten in Bayern wollen jetzt keinen Aiwanger-Besuch

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Flugblatt-Affäre - wie die Causa Aiwanger den Diskurs verschiebt

Aiwangers passiver Umgang mit dem Flugblatt entschärfe NS-Aussagen und schade der Erinnerungskultur, sagen Gedenkstätten. Sie fürchten eine Bagatellisierung des Nationalsozialismus.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Pfarrer Björn Mensing steht hinter dem Altar in der Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte Dachau. Er zündet an diesem Tag elf Kerzen an, jeweils eine für die getöteten Sportler und Betreuer des Olympia-Attentats in München vor 51 Jahren. Hubert Aiwanger und das Holocaust-verherrlichende Pamphlet, das laut Aiwanger sein Bruder verfasst haben soll, spricht der Pfarrer in seiner Andacht nicht an.

Aiwanger in Gedenkstätte nicht willkommen

Aber Björn Mensing hat sich diese Woche öffentlich kritisch zu Aiwangers Umgang mit dem antisemitischen Pamphlet geäußert. Dieser Umgang entschärfe NS-Aussagen. Seitdem erreichen den Pfarrer Hass-Mails. Unter den aktuellen Umständen, direkt vor den bayerischen Landtagswahlen, kann sich Mensing nicht vorstellen, Hubert Aiwanger in der Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte zu empfangen. Denn den Nachfahren der damals von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Dachau Inhaftierten fühlt sich Mensing verbunden.

"Bei einer ganzen Reihe von denen würde das zu neuen Irritationen führen und die gilt es jetzt zu vermeiden. In meinen Augen ist schon genug Schaden für die Erinnerungskultur entstanden." Björn Mensing, Pfarrer in der Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Angst vor Bagatellisierung des Nationalsozialismus

Auch Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, war überrascht vom Pamphlet aus dem Hause Aiwanger und besonders vom heutigen Umgang damit.

"Eigentlich habe ich gedacht, dass der politische Umgang mit dem Erbe der nationalsozialistischen Massenverbrechen bedeutet, dass wir da weiter sind." Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

Der Diskurs verschiebe sich, findet er, und könne die Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten relativieren.

"Ich habe Angst vor dem Verrücken von Maßstäben in unseren Gesellschaften. Ich habe Angst vor einer Bagatellisierung, vor einer Verächtlichmachung, vor einer Minimierung der Verbrechen, wie in diesem Flugblatt vor 35 Jahren geschehen", sagt Jörg Skriebeleit. Als stellvertretender Ministerpräsident habe Hubert Aiwanger eine Vorbildfunktion. Es bestehe die Gefahr, dass besonders junge Menschen neonazistische Aussagen als "Jungenstreich" abtun könnten, befürchtet er.

KZ-Überlebender erwartet Reue von Aiwanger

Ernst Grube, KZ-Überlebender und Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, hält es für unglaubwürdig, dass sich Hubert Aiwanger nicht mehr daran erinnert, das Flugblatt verbreitet zu haben. Der 90-Jährige erwartet von Aiwanger, dass er Reue zeigt, die bei den Opfern des Nationalsozialismus auch als Reue verstanden werden kann.

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