Eine Jacke und eine Rettungsweste liegen am Strand
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Bootsunglück: 63 Tote geborgen - Kritik an Rettungseinsatz

Nach dem Untergang eines Bootes vor der Küste Süditaliens haben die Suchtrupps kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. Mindestens 63 Menschen aus Afghanistan, Pakistan und dem Irak kamen ums Leben. Italien weist Kritik am Rettungseinsatz zurück.

Nach dem Untergang eines Migrantenbootes an der Küste Süditaliens sind mittlerweile 63 Todesopfer geborgen worden. Retter hätten am Montagabend eine weitere Leiche entdeckt, teilten die Behörden mit. Zwei Schiffe der Küstenwache und ein Hubschrauber suchten das Meer vor Steccato di Cutro nach den immer noch Dutzenden Vermissten ab. Bei starkem Wind trieben Benzintanks, Schiffstrümmer, Nahrungsmittelbehälter und Schuhe im Wasser, darunter auch der eines Kleinkindes.

Kaum noch Hoffnung auf Überlebende

Überlebenden zufolge waren etwa 170 Menschen an Bord des 20 Meter langen Holzschiffs, das vergangene Woche vom türkischen Izmir aus in Richtung Italien aufgebrochen war. Wie die italienische Küstenwache mitteilte, überlebten mindestens 80 Insassen des Bootes, das am frühen Sonntagmorgen vor Kalabrien gegen ein Riff prallte und auseinanderbrach. Feuerwehrkommandant Roberto Fasano sagte, er glaube nicht, dass es jetzt noch Überlebende gebe, der Wellengang sei zu stark. Aber man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben.

Zwölfjähriger überlebte, neun Verwandte tot

In den Trümmern waren nur wenige Rettungswesten zu sehen. Nach Angaben der Vereinten Nationen und der Organisation Ärzte ohne Grenzen waren unter den Opfern ganze Familien. Viele kamen aus Afghanistan, andere aus Pakistan und dem Irak. Der Leiter des Teams von Ärzte ohne Grenzen, Sergio di Dato, sagte, einige der geretteten Kinder seien durch das Unglück zu Waisen geworden. "Ein zwölfjähriger afghanischer Junge hat seine gesamte Familie verloren, alle neun - vier Geschwister, seine Eltern und andere sehr nahe Verwandte", sagte er Journalisten.

Der italienische Sender Sky TG24 berichtete, es seien mindestens drei Menschen unter dem Verdacht festgenommen worden, die Überfahrt organisiert zu haben. Die Behörden in der Stadt Crotone baten Angehörige, per E-Mail und Telefon Beschreibungen und Fotos von Vermissten zu übermitteln, um bei der Identifizierung der Toten zu helfen.

Scharfe Kritik an verspäteter Rettung

Unterdessen wiesen die italienischen Behörden die Kritik an einer verspäteten Rettung zurück. Es seien zwei Rettungsboote entsandt worden, kurz nachdem die EU-Grenzschutzbehörde Frontex das Boot am Samstagabend auf dem Weg zur Küste entdeckt hatte. Die Boote mussten demnach wegen des rauen Seegangs aber umkehren.

Frontex bestätigte die Angaben am Montag. Das Schiff sei am Samstag um 22.26 Uhr gesichtet worden, teilte die Behörde mit. Es sei zwar stark überfüllt gewesen, habe aber keine Anzeichen einer Notlage gezeigt. Die Rettungsaktion wurde den Angaben zufolge am frühen Sonntag gestartet, nachdem die zertrümmerten Überreste des Bootes in der Nähe von Crotone entdeckt worden waren.

"Das Massaker an den Unschuldigen"

Mehrere italienische Zeitungen hatten dem Bootsuntergang am Montag die Titelseite gewidmet: "Das Massaker an den Unschuldigen" titelte etwa die Turiner Tageszeitung "La Stampa". Italiens rechtsgerichtete Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte erklärt, es sei "kriminell, ein kaum 20 Meter langes Boot mit 200 Menschen an Bord und einer schlechten Wettervorhersage in See stechen zu lassen". Die Regierung sei "entschlossen, die Abfahrt (von Migrantenbooten) und damit diese Art von Tragödie zu verhindern".

Der Programmdirektor von Ärzte ohne Grenzen Italien, Marco Bertotto, bezeichnete die Reaktion Melonis als "weiteren Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden dieser Tragödie". Seenotrettung dürfe nicht mit illegaler Einwanderung verwechselt werden.

EKD: "Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt"

Die italienischen Behörden müssten endlich die privaten Seenotrettungsschiffe vor den Küsten Italiens kreuzen und in allen Häfen vor Anker gehen lassen, forderte auch der Beauftragte für Flüchtlingsfragen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Christian Stäblein am Montag. "Es ist unmenschlich, unwürdig und beschämend, dass wir diese Hilfesuchenden nicht rechtzeitig auf sichere Schiffe bergen und ans europäische Festland bringen können", betonte er. "Was sagt das über unsere Mitmenschlichkeit aus? Für Europa muss klar sein und bleiben: Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt."

Pro Einsatz nur eine Bergungsaktion erlaubt

Melonis weit rechts stehende Regierung hatte im Wahlkampf angekündigt, die Ankünfte von Flüchtlingen in Italien zu stoppen. Erst vor wenigen Tagen hatte das italienische Parlament ein umstrittenes Gesetz der Regierung zum Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer verabschiedet. Es zwingt Rettungsschiffe dazu, pro Einsatz nur eine Bergungsaktion auszuführen. Nach Einschätzung der Kritiker wird dies das Risiko von Todesfällen im Mittelmeer deutlich erhöhen.

  • Zum Artikel: Streit um Seenotrettung in Italien: Welche Regeln gelten?

Italien ist wegen seiner geografischen Lage besonders häufig ein Ziel von Migranten, die von Nordafrika nach Europa gelangen wollen. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums sind seit Anfang des Jahres rund 14.000 Flüchtlinge in Italien angekommen. Im Vorjahreszeitraum waren es etwa 5.200 gewesen.

Mit Informationen von AP, AFP, epd

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