Atombombe (3D-Illustration)
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Atombombe (3D-Illustration)

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Baut sich Europa einen eigenen Atomwaffenschutzschirm?

Nach den Trump-Äußerungen über das Ende des US-Schutzschirms für Nato-Staaten hat die Debatte über Europas nukleare Abschreckung Fahrt aufgenommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Idee eines europäischen Nuklearschutzschilds gibt es schon länger. Donald Trump, republikanischer Bewerber aufs Präsidentenamt der USA, hat nun dafür gesorgt, dass die Debatte darüber so an Fahrt aufnimmt. Trump hatte das Beistandsversprechen der Nato infrage gestellt und damit den Europäern die Frage aufgedrängt: Was passiert, wenn die amerikanische Nuklearabschreckung für Europa wegfällt?

Die Europaspitzenkandidatin der SPD, Katharina Barley, hatte eigene Atombomben der EU ins Spiel gebracht und wurde dafür heftig auch aus der eigenen Partei kritisiert. Finanzminister Christian Lindner (FDP) plädiert in der F.A.Z. dafür, die Nuklearstreitkräfte Frankreichs und Großbritanniens als "Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der NATO weiterzudenken".

Hat Deutschland eigene Atomwaffen zur Abschreckung?

Nein. Wie Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei ist auch Deutschland Teil der sogenannten nuklearen Teilhabe. Das heißt, dass Nato-Länder, die keine eigenen Atomwaffen besitzen, trotzdem in die nukleare Abschreckung der Nato eingebunden sind. Abschreckung bedeutet, dass Atommächten signalisiert wird, dass sie bei einem nuklearen Angriff umgehend ein nuklearer Gegenangriff erwarten würde.

Die Waffen, die dafür bereitgehalten werden, sind sogenannte strategische Atomwaffen. Sie haben ein Vielfaches der Zerstörungskraft der 1945 über Hiroshima abgeworfenen Atombombe. In Deutschland sind US-Atomwaffen in geringer Zahl stationiert. Auch in die Zielplanung der Nato, also in die Planung einer nuklearen Antwort, sind die Teilhabe-Staaten miteinbezogen. Entscheidend war und ist dabei seit den 1950er Jahren die Rolle der USA. Deren Nuklearwaffen gelten als Abschreckungsschild für europäische Nato-Mitgliedsstaaten. Die strategische Planung dieser Abschreckung ist komplex und geheim.

Welche zwei Staaten in Europa verfügen über Atomwaffen?

Frankreich und Großbritannien verfügen selbst über Nuklearwaffen. Frankreich über etwa 300 Atomsprengköpfe (Zum Vergleich: die USA verfügen Schätzungen zufolge über ca. 5000). Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hat das Land seine Abrüstungsvorhaben eingestellt und begonnen, das Nukleararsenal zu modernisieren. Vor kurzem testete das französische Militär atomwaffenfähige Langstreckenraketen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron regte zudem eine europäische Abschreckungsstrategie an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist darauf bisher nicht eingegangen.

Kann Frankreich den Schutz Deutschlands übernehmen, wenn die USA ausfallen?

Es gibt ein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich, das 2021 in Aachen geschlossen wurde. Darin sagen sich die Länder zu, jede in ihrer Macht stehende Hilfe zu leisten, sollte das jeweils andere Land angegriffen werden. Explizit von Atomwaffen ist da aber keine Rede. Dass Frankreich nach amerikanischem Vorbild einen nuklearen Schutzschild über europäische Staaten spannen könnte und wollte, halten Beobachter für unwahrscheinlich.

Macron bietet Deutschland seit Jahren Gespräche an, wie Deutschland an Frankreichs nuklearer Abschreckung beteiligt werden könnte. Aus Sicht von Liviu Horovitz, Experte für nukleare Abschreckung der Stiftung Wissenschaft und Politik, könnte es dabei etwa um die Teilnahme an französischen Übungen gehen, darum, wie Deutschland sich mit seinen Fähigkeiten einbringen kann. Mehr nicht, sagt Horovitz im Bayern2-Tagesgespräch. Denn Macron hat ein innenpolitisches Problem: Seine rechtsextreme Widersacherin Marine Le Pen bezeichnet Beistandsversprechen, auch wenn die mit Blick auf Atomwaffen gar nicht abgegeben wurden, öffentlich als Verrat an Frankreich. Le Pen will Macron 2027 als Staatspräsident ablösen. Sollte in den nächsten Jahren doch eine nukleare Vereinbarung getroffen werden, wäre sie mit Le Pens Wahl wohl hinfällig.

Und Großbritannien?

Wie die USA und Russland gibt auch Großbritannien nicht mehr bekannt, über wie viele Atomsprengköpfe es verfügt. Ob das Land, nachdem es 2020 die EU verlassen hat, zu einem nuklearen Schutzschirm für EU-Länder bereit wäre, ist offen.

Eigene EU-Atomwaffen - geht das überhaupt?

Eigene Atomwaffen für Brüssel wären politisch kaum umsetzbar, sagen Beobachter. Denn es gibt bisher ja auch keine europäische Armee. Wo läge die Entscheidung über einen Einsatz? Wer drückt im Ernstfall auf den roten Knopf? Nuklearexperte Horovitz sagt: "Sich vorzustellen, dass man über Nacht eine europäische Nuklearoption auf die Beine stellen kann, das ist illusorisch." Dazu dürfte auch die hochkomplexe Strategie zählen, die erst entwickelt werden müsste.

"Das bedeutet nämlich nicht, man stellt mal zehn Atombomben an die eine Grenze oder an die andere, sondern das ist letztlich ein gewachsenes, ausgefeiltes System, in dem eben ganz Europa geschützt werden muss", sagt die Verteidigungsexpertin der FDP im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie glaube, dass SPD-Politikerin Barley "keine Vorstellung" davon habe, was eine europäische Lösung bedeutet. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius warnte davor "mit dieser Leichtfertigkeit eine solche Diskussion vom Zaun zu brechen, nur weil Donald Trump, der noch nicht mal Präsidentschaftskandidat ist, solche Äußerungen macht".

Wer soll das bezahlen?

Für die CDU steht ein anderer Aspekt im Vordergrund: Ein „doppelter Schirm“ sei wenig sinnvoll, sagt Verteidigungspolitiker Jürgen Hardt in der Bayern 2 Radiowelt. „Das wäre aus meiner Sicht eine große Geldverschwendung.“ Die nuklearen Schutzschirme seien enorm teuer, so Hardt. Statt auf nukleare Dopplungen zu setzen, solle in konventionelle Streitkräfte besonders an der Ostflanke investiert werden. Für eine mögliche Wiederwahl Trumps sieht Hardt Deutschland und Europa nicht gerüstet. Man habe es versäumt, in wichtigen Bereichen, wie der Sicherheitspolitik, mit dem heutigen US-Präsidenten zu Einigungen zu kommen. Hardt warnt davor, die Fehler von Trumps erster Amtszeit zu wiederholen. Man darf es wohl auch als Selbstkritik verstehen. Hardt war 2017 Transatlantik-Koordinator im Auswärtigen Amt.

Audio: Cheftechniker von Saporischja fürchtet Atomunfall

Das ukrainische AKW Saporischja
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Das ukrainische AKW Saporischja

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