Die Installation 'Ampelblume' der deutschen Künstler Johannes Brunner und Raimund Ritz.
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In Berlin starten heute SPD, Grüne und FDP mit Verhandlungen über eine Ampel-Koalition.

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Der Druck ist hoch: Ampel-Koalitionsverhandlungen starten

In Berlin starten heute SPD, Grüne und FDP mit Verhandlungen über eine Ampel-Koalition. Nicht nur medial ist der Druck hoch: Verbände aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen stellen viele Forderungen an die Verhandlungspartner.

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Fast einen Monat nach der Bundestagswahl in Deutschland beginnen SPD, Grüne und FDP an diesem Donnerstag ihre Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung. Auf dem Berliner Messegelände kommen zum Auftakt die Hauptverhandler, je sechs hochrangige Vertreter jeder Partei, mit den Leitern der Arbeitsgruppen zusammen. Insgesamt 22 Arbeitsgruppen mit Fachpolitikern sollen dann in den kommenden Wochen die Details eines Koalitionsvertrags aushandeln. SPD, Grüne und FDP streben an, noch vor Weihnachten eine gemeinsame Regierung zu bilden. Es wäre die erste sogenannte Ampel-Koalition auf Bundesebene.

  • Zum Artikel: Vor Ampel-Verhandlungen - Viele offene Fragen in der Außenpolitik

Als Knackpunkte bei der Suche nach einem Programm für eine Ampel-Koalition gelten vor allem Unterschiede in der Steuer- und Finanzpolitik sowie der richtige Weg zum Klimaschutz. SPD, Grüne und FDP steuern damit auf schwierige Verhandlungen über die Finanzierbarkeit ihrer Vorhaben zu.

Mindestlohn und Bürgergeld sollen kommen

Einige Hürden haben die Ampel-Partner bereits mit ihrem am Freitag vorgelegten zwölfseitigen Sondierungspapier aus dem Weg geräumt. So soll der gesetzliche Mindestlohn einmalig auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden. Das Wahlalter für Bundestag und Europaparlament soll auf 16 Jahre sinken.

Pro Jahr werden 400.000 neue Wohnungen angepeilt. Es soll keine Rentenkürzungen geben, auch das Renteneintrittsalter wird nicht angehoben. Geplant ist der Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente. Ein Tempolimit auf Autobahnen wird es nicht geben.

  • Zum Artikel "Ampel-Pläne: Bürgergeld statt Hartz IV - Das ist der Unterschied"

Noch viele Fragen in der Finanzpolitik

Die Partner wollen investieren in Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung. Im Gespräch ist eine Summe von 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Zugleich sollen Steuern nicht erhöht und die Schuldenbremse eingehalten werden. Über andere Finanzierungswege dürfte es harte Verhandlungen geben, nur auf Steuermehreinnahmen zu setzen, reicht nicht aus. Öffentliche Investitionsgesellschaften und Unternehmen des Bundes könnten Kredite aufnehmen, sie gehören nicht zu den Kernhaushalten des Bundes. Zudem wollen die Partner überflüssige und klimaschädliche Subventionen auf den Prüfstand stellen. Um die Details dürfte heftig gerungen werden.

Nicht nur für die Medien und die Öffentlichkeit spannend ist die Frage, wer welche Ministerien ergattern wird. Die Verteilung von Posten steht zwar üblicherweise am Ende von Koalitionsverhandlungen. Zumindest über die Schlüsselposition des Finanzministers wird schon jetzt öffentlich debattiert. Politiker von FDP und Grünen hatten dafür ihre jeweiligen Parteichefs Christian Lindner und Robert Habeck ins Spiel gebracht.

Wie Industrie und Gesellschaft auf Klimaschutz einstellen?

Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll "drastisch" beschleunigt werden, darüber sind sich SPD, Grüne und FDP einig. Ein paar Pflöcke haben sie schon eingeschlagen, etwa mit einer Solardachpflicht für gewerbliche Neubauten und einem beschleunigten Kohle-Ausstieg, der "idealerweise" bis 2030 gelingen soll. Der Grünen Jugend und den Klimaschützern gehen die Vorschläge nicht weit genug, auch mit den Bundesländern mit Kohlerevieren dürfte das nicht konfliktfrei zu regeln sein.

Auch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sieht einen schnelleren Kohle-Ausstieg nur unter bestimmten Voraussetzungen als möglich an. "Wenn eine künftige Ampel-Koalition den Ausstieg aus der Kohleverstromung weiter vorziehen will, müssen das Tempo der Energiewende massiv gesteigert und die Neuansiedlung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in den Revieren beschleunigt werden", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Caritas: Klimaschutz sozial verträglich gestalten

Caritas-Präsident Peter Neher bezeichnete es als "Alarmzeichen", dass in dem Ampel-Sondierungspapier "die Zukunftsthemen Klimaschutz, Innovationen und Digitalisierung ohne jeden Bezug zu den drängenden sozialen Herausforderungen entwickelt" worden seien. Die Sozialpolitik müsse stärker in den Mittelpunkt rücken - etwa durch eine Entlastung ärmerer Haushalte bei den Klimaschutzkosten und durch eine Pflegereform, die insbesondere die häusliche Pflege verbessern müsse.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Industriegewerkschaft IG Metall forderten die Ampel-Koalitionsverhandler zu massiven öffentlichen Investitionen in den Standort Deutschland auf. Die Transformation in die digitale und klimaneutrale Zukunft sei "zu lange eher mutlos verwaltet statt selbstbewusst gestaltet" worden, erklärten BDI und IG Metall am Freitag. Die Weichen müssten jetzt gestellt werden, andernfalls stehe die Zukunft des deutschen Industriemodells auf dem Spiel.

Nötig seien besonders Investitionen in die Infrastruktur - von Mobilität über Stromnetze bis zur digitalen Versorgung. Bis 2030 müsse der Energiebedarf zu mindestens 70 Prozent mit Erneuerbaren gedeckt werden. Zugleich müssten "schnellstmöglich" eine europaweite Wasserstoff-Infrastruktur auf- und das Ladesäulen-Angebot ausgebaut werden. In Schiene und ÖPNV müsse ebenfalls umfassend investiert werden, damit die Verkehrswende gelinge. BDI und IG Metall mahnten Unterstützung für Firmen bei der Umstellung auf eine CO₂-freie Produktion an.

Konflikt mit "Fridays for Future" ist programmiert

Die Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" hat ihre Forderungen für die ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung am Mittwoch vorgestellt. "Wir sprechen nicht von der Begrünung der Regierungsarbeit, wir sprechen von vollumfänglichen Systemveränderungen, die anstehen. Ein 'Weiter so' in ökoliberal ist zum Scheitern verurteilt", sagte Aktivistin Luisa Neubauer auf einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag im Berliner Naturkundemuseum. 

Für die Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad fordern die jungen Umweltschützer unter anderem die Verabschiedung eines 1,5-Grad-konformen CO₂-Budgets sowie den Beschluss des Erdgasausstiegs bis spätestens 2035. Weitere Forderungen sind ein verbindlicher Kohle-Ausstieg bis 2030, ein Einbaustopp für fossile Verbrennermotoren ab 2025 sowie ein sofortiger Neu- und Ausbaustopp für Autobahnen und Bundesstraßen. Für die internationale Klimafinanzierung sollen jährlich mindestens 14 Milliarden Euro festgelegt werden.

Darüber hinaus fordern mehrere Umweltschutzorganisationen ein sofortiges Aus für alle innerdeutschen Kurzstreckenflüge bis zu einer Entfernung von 600 Kilometern. So könnten jährlich mehr als eine Million Tonnen Kohlenstoffdioxid gespart und das Klima stärker geschützt werden, argumentieren die Organisationen in einem am Mittwoch veröffentlichten Forderungspapier, das sich explizit an die Ampel-Verhandlungspartner SPD, Grüne und FDP richtet.

Kindergrundsicherung und Bildungsinvestitionen

Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte die Ampel-Parteien zu einer stärkeren Berücksichtigung der Kinder- und Jugendpolitik auf. Das von SPD, Grünen und FDP vorgelegte Sondierungspapier sei "ein guter Anfang, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen konsequenter als bisher aufzugreifen", erklärte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. "Klar ist aber auch, dass es jetzt darauf ankommt, in den Koalitionsverhandlungen Schlagwörter wie die Kindergrundsicherung mit Leben zu füllen und finanziell zu hinterlegen."

Der Deutsche Lehrerverband kritisierte die bildungspolitischen Pläne im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP als unzureichend und forderte ein Schulsanierungsprogramm von der nächsten Bundesregierung in Milliardenhöhe. "Wir vermissen in den Plänen der Ampel-Parteien ein neues, umfassendes Schulsanierungs- und Neubauprogramm", sagte der Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

"Der von der Kreditanstalt für Wiederaufbau geschätzte Sanierungsstau im Bildungssektor beträgt nach wie vor über 40 Milliarden - an diesem Bedarf müsste sich ein Sanierungsprogramm über einen längeren Zeitraum orientieren", fügte Meidinger hinzu.

Mit Agentur-Material.

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