Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Stundenkilometern auf einer deutschen Autobahn
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Ein Tempolimit fordern mehrere Parteien. Was würde es bringen?

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#Faktenfuchs: Was bringt ein Tempolimit auf Autobahnen?

Im Bundestagswahlkampf ist die Einführung eines Tempolimits ein häufig diskutiertes Thema. Welche Auswirkungen hätte ein allgemeines Tempolimit auf die Umwelt und die Unfallstatistik? Und: Was würde es kosten?

Die Frage emotionalisiert viele Menschen im aktuellen Bundestagswahlkampf: Sollte Deutschland ein Tempolimit auf Autobahnen einführen? Eine aktuelle Umfrage des ADAC besagt, dass 45 Prozent der befragten Mitglieder gegen ein allgemeines Tempolimit sind, 50 Prozent dafür.

Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums kommt zu einem etwas eindeutigeren Stimmungsbild: Danach sind knapp zwei Drittel der Deutschen für ein Tempolimit. Dementsprechend emotional wird auch die Debatte geführt - von Politikern, Aktivistinnen und den Wählerinnen und Wählern. Die Motive für das Für oder Wider sind dabei ausgesprochen unterschiedlich. Dieser #Faktenfuchs beleuchtet einige Aspekte:

Was bringt ein Tempolimit auf Autobahnen für den Klimaschutz, welche Auswirkungen hätte es auf die Unfallstatistik und was würde es kosten? Wir haben uns Studien angeschaut, Gespräche mit Experten geführt und Behauptungen zu dem Thema überprüft.

Laschet nennt Debatte um Tempolimit “unsinnig”

Laut eines Berichts des Bundesamts für Straßenwesen aus dem Jahr 2015 gibt es auf 70,4 Prozent der gut 25.000 deutschen Autobahnkilometer kein Tempolimit.

Armin Laschet, CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat, äußerte sich jüngst häufiger zu dem Thema. Die Union lehnt ein allgemeines Tempolimit ab, Laschet nannte die Debatte darüber in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) “unsinnig”, der “Bild am Sonntag” sagte Laschet, ein Tempolimit hätte “relativ wenig Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß”.

Widerspruch kam unter anderem von der Grünen-Politikerin Katharina Beck. Sie schrieb auf Twitter, “etwa zehn Prozent” der “im Verkehr von der Groko beschlossenen Emissionen könnten durch das Tempolimit reduziert werden”. Bei Tempo 120 könne man “ca. 10% des Reduktionsziels im Verkehrsbereich” erreichen.

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Tempolimit? Das fordern die momentan im Bundestag vertretenen Parteien.

Verkehr: Drittgrößter Verursacher von Treibhausgasen

Insgesamt hat Deutschland 2019 laut Umweltbundesamt 810 Mio. Tonnen Treibhausgase verursacht. Auf den Verkehrssektor entfielen rund 165 Mio. Tonnen - etwa genauso viele wie 1990.

Der Verkehrssektor ist damit drittgrößter Verursacher von Treibhausgasemissionen in Deutschland, hinter der Energiewirtschaft und der Industrie. Rund 86 Prozent der Emissionen im Verkehrssektor entstehen auf Straßen, etwa ein Viertel auf den Autobahnen.

Wie viele Treibhausgasemissionen könnten durch ein flächendeckendes Tempolimit auf deutschen Autobahnen eingespart werden? Dazu gibt es eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahr 2020. Sie besagt, dass der Treibhausgasausstoß auf deutschen Autobahnen durch ein Tempolimit von 130 km/h jährlich um 1,9 Millionen Tonnen sinken würde.

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Mit 165 Mio. Tonnen macht der Verkehr etwa ein Fünftel der deutschen Emissionen aus.

Je niedriger das Limit, desto höher die Einsparungen

Ein Tempolimit von 120 km/h würde den Ausstoß von Treibhausgasen laut der Studie um 2,6 Mio. Tonnen reduzieren. Eine Beschränkung auf 100 km/h würde 5,4 Mio. Tonnen jährlich einsparen - vorausgesetzt, die Annahmen, die der Studie zugrunde liegen, sind zutreffend.

Eine Berechnung des Klima-Thinktanks “Agora Verkehrswende” aus dem Jahr 2018 kommt bei einem Tempolimit von 130 km/h auf eine Minderung von ein bis zwei Millionen Tonnen jährlich. Die Berechnungen dieser Studie basieren auf Verkehrsdaten aus dem Handbuch für Emissionsfaktoren im Straßenverkehr, welches Experten zufolge die Geschwindigkeitsverteilung auf der Autobahn nur vereinfacht darstellt.

Das Klimaschutzziel der Bundesregierung besagt, dass die Emissionen im Bereich Verkehr bis 2030 auf 85 Millionen Tonnen reduziert, also - gemessen an 2019 - fast halbiert werden müssen. Bereits 2022 sollen im Sektor Verkehr nur noch 139 Mio. Tonnen Emissionen ausgestoßen werden.

Ob die Einsparungen von 1,9 Mio. Tonnen durch Tempolimits bei 130 km/h und 2,6 Mio. Tonnen bei 120 km/h nun “relativ wenig” sind, wie Armin Laschet sagte, ist eine subjektive Einschätzung. Gemessen an den Einsparungszielen von 2030, macht ein Tempolimit von 130 km/h 2,4 Prozent der einzusparenden Menge, Tempo 120 3,2 Prozent und Tempo 100 knapp sieben Prozent der einzusparenden Emissionen aus.

Auf welchen Zeitraum sich die “etwa zehn Prozent” Einsparung, von denen die Grünen-Politikerin Katharina Beck spricht, beziehen, bleibt unklar. Bei der gesetzlich anvisierten Verringerung von 26 Mio. Tonnen bis 2022, machen die 2,6 Mio. Tonnen jährlich zehn Prozent aus - gemessen an den Emissionen von 2019. Gemessen am Klimaschutzziel von 2030 sind es nur etwa drei Prozent. Ein Tempolimit von 120 fordern die Grünen, Becks Partei, allerdings nicht, im Wahlprogramm wird ein Tempolimit von 130 vorgeschlagen.

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Die Klimaschutzziele der Bundesregierung besagen, dass die Emissionen im Verkehr bis 2030 auf 85 Mio. Tonnen sinken müssen.

Geschwindigkeitsbegrenzung verringert vor allem sehr hohe Geschwindigkeiten

Die eingangs erwähnte Studie des Umweltbundesamtes bezieht sich indes auf eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen auf dem Jahr 2016. Diese hat die Geschwindigkeit auf deutschen Autobahnen zwischen 2010 und 2014 untersucht, denn die Geschwindigkeit ist ausschlaggebend für die Höhe der Emissionen. Danach fahren ohne Geschwindigkeitsbegrenzung etwa 58 Prozent der Autofahrer schneller als 120 Stundenkilometer und etwa acht Prozent schneller als 160.

Ist das Tempo auf 120 km/h beschränkt, sind es nur noch 39 bzw. etwa ein Prozent, die schneller fahren. Aus den Daten wird deutlich: Eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h reduziert vor allem die Geschwindigkeiten über 140 km/h stark.

Je schneller man fährt, desto mehr Emissionen entstehen

Warum stark erhöhte Geschwindigkeiten zu mehr Emissionen führen, weiß Stefan Hausberger, Professor am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik der TU Graz. Sein Institut hat das UBA bei der Studie zu den Auswirkungen eines Tempolimits mit Daten unterstützt.

“Grundsätzlich steigt der Luftwiderstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Von 80, 90 km/h aufwärts merken Sie dann vom Energieverbrauch und damit vom Kraftstoffverbrauch einen überproportionalen Anstieg”, erklärt Hausberger im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Je schneller man fährt, desto mehr Treibstoff wird verbraucht und dementsprechend mehr Treibhausgase wie CO2 und Stickoxide werden freigesetzt.

“Sehr schnell fahren macht viele Emissionen je Kilometer. Von Emissionsseite her gibt es kein Argument, dass man so schnell wie möglich fährt.” Stefan Hausberger, TU Graz

Die “optimale Geschwindigkeit” liege angesichts der Emissionen bei etwa 50 bis 60 Stundenkilometern. Hausberger sagt: “Langsamer ist umwelttechnisch der Idealzustand. Politisch ist es natürlich eine Frage der Akzeptanz.”

Kaum Studien zum Tempolimit

Die vorläufige Schätzung der Emissionszahlen für 2020 ist aufgrund der Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie wenig aussagekräftig, auf den Verkehrssektor entfielen nur noch 146 Mio. Tonnen. UBA-Präsident Dirk Messner sagte, “dass die Emissionen wieder steigen werden, wenn die Wirtschaft anspringt. Das gilt besonders für den Verkehrssektor, der sich nicht auf den vergleichsweise guten Zahlen ausruhen kann”.

Zur Frage, wie die möglichen Einsparungen durch ein Tempolimit im Gesamtbild des Klimaschutzes und der Emissionsreduktion zu betrachten sind, hätte der #Faktenfuchs gerne mit Klimaforschern gesprochen. Auf Anfragen an das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, das Forschungszentrum Jülich, das Karlsruher Institut für Technologie sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt kam in allen Fällen die Antwort, das es keinen Gesprächspartner zu dem Thema gebe.

Neben der Studie des UBA und der Berechnung der Agora Verkehrswende gibt es keine aktuellen Studienergebnisse, die sich mit den Auswirkungen eines Tempolimits auf die Umwelt in Deutschland beschäftigen.

Hausberger: Tempolimit “hilft, ist aber nicht die Rettung des Planeten”

Stefan Hausberger von der TU Graz sagt: “Das hilft alles, ist aber nicht die Rettung des Planeten. Sie werden es nicht schaffen, mit weniger Fahrleistung und langsamer Fahren die CO2-Ziele nur annähernd zu erreichen. Radikale Reduktion aus meiner Sicht geht nur, indem man die Energie erneuerbar bereitstellt. Ob man dann 140 oder 120 oder 150 fährt, ist ein kleiner Hebel im Verhältnis, weil das einfach viel weniger beiträgt.”

Martin Lanzendorf, Professor für Mobilitätsforschung an der Goethe-Universität Frankfurt, sieht den Umweltaspekt pragmatisch. Seit Jahren habe man die Emissionen im Verkehrssektor nicht gesenkt. “Insofern müssen wir froh sein, über alle CO2-Emissionen, die wir einsparen können.”

Welche Auswirkungen ein Tempolimit auf andere umweltbelastende Faktoren wie Reifenabrieb und Bremsabrieb hätte, dazu gibt es bislang keine Zahlen. “Wir versuchen das gerade in einem EU-Projekt zu quantifizieren, es ist leider nicht ganz einfach”, sagt Stefan Hausberger.

Da beim Abbremsen von sehr hohen Geschwindigkeiten auch mehr Bremsabrieb, also umweltbelastender und gesundheitsschädigender Feinstaub, entstehe, sei eine Reduzierung durch ein Tempolimit aber plausibel. Ebenso verhalte es sich mit dem Reifenabrieb, der physikalisch auch mit der Geschwindigkeit zusammenhänge, so Hausberger.

Rund 3.000 Unfalltote auf deutschen Straßen

In der Debatte um ein Tempolimit wird auch häufig über Unfalltote gesprochen. Befürworter des Tempolimits sagen, eine Beschränkung würde viele Menschenleben retten. Gegner führen an, die Zahlen seien in Deutschland ohnehin sehr niedrig, auch im Vergleich mit anderen Ländern, in denen es ein Tempolimit gibt.

2019 starben laut Statistischem Bundesamt auf deutschen Straßen 3.046 Menschen. Auch in den Jahren zuvor lag die Zahl bei etwas über 3.000 Toten jährlich. Vor zehn Jahren waren es etwa 4.000, vor zwanzig Jahren starben etwa 7.000 Menschen jährlich.

In den 60er- und 70er-Jahren bewegte sich die Zahl jährlich zwischen 15.000 und 20.000. Die meisten Menschen starben auf Landstraßen, der Anteil macht zwischen 50 und 60 Prozent der Verkehrstoten aus. Auf die Autobahnen entfiel in den letzten Jahren meist gut ein Zehntel der Toten, 2019 waren es 356 Tote auf Autobahnen, 1991 starben auf Autobahnen noch 1.552 Menschen.

Technische Fortschritte ein Grund für gesunkene Todeszahlen

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), sagt über die gesunkenen Zahlen, dass die Ursache dafür die Entwicklung neuer Automobiltechnik sei. Moderne Sicherheitsausstattung, etwa Airbags und Assistenzsysteme, sowie eine “sichere Fahrgastzelle” hätten viele Tote verhindert, wie auch bessere Rettungssysteme.

Außerdem seien die kritischen Stellen, an denen viele Unfälle auftraten, bereits mit Geschwindigkeitsbegrenzungen ausgestattet. Dies erklärt laut Brockmann auch die Stagnation der Zahlen in den letzten Jahren - denn bedeutende technische Neuerungen im Sicherheitsbereich seien nicht mehr dazu gekommen.

Wie würde sich ein allgemeines Tempolimit von 130 km/h konkret auf die Todeszahlen auswirken? “Wir haben tatsächlich keine aktuelle Forschung, die uns in irgendeiner Prozentzahl zeigt, was ein allgemeines Tempolimit bringen würde”, sagt Unfallforscher Brockmann.

Unfallforscher: Wissenschaftliche Erhebung nicht einfach

Eine Kausalität zwischen Todeszahlen und dem nicht vorhandenen Tempolimit festzustellen, sei wissenschaftlich nicht einfach. Die Schwierigkeit liege etwa darin, “dass sehr viele Autobahnabschnitte, die auch besonders Unfall-belastet sind, dann irgendwann geschwindigkeitsreduziert wurden. Dann verschwinden aber natürlich nicht sämtliche Probleme dort. Ich hab dann nach wie vor immer noch viele Unfälle, die aber dann halt nicht mehr nur auf das Thema Geschwindigkeit zurückzuführen sind”. Weil Unfälle sehr viele verschiedene Ursachen hätten, sei es schwer, dies auf einzelne Faktoren herunterzubrechen.

Ein weiterer Grund, warum eine wissenschaftliche Erhebung schwierig ist, sind laut Brockmann zwei verschiedene Kategorien in denen erhoben wird: die nicht angepasste und die erhöhte Geschwindigkeit:

"Nehmen wir mal an, es gibt einen Nebel-Unfall. Der kann innerhalb der zulässigen Höchstgeschwindigkeit passieren. Und trotzdem war die Geschwindigkeit nicht angepasst. Das können wir aber im Nachhinein nicht mehr auseinander differenzieren. Das macht das Ganze so problematisch und erzwingt eigentlich einen großen Modellversuch." Siegfried Brockmann, Unfallforscher

Brockmann sagt, für eine große Studie über die Auswirkungen eines Tempolimits auf die Unfallzahlen fehle der Wille.

“Auf der einen Seite war es lange Jahre so, dass die Automobil-Befürworter und diejenigen, die gegen ein Tempolimit sind, das verhindert haben - in der Angst, das möglicherweise etwas Unangenehmes dabei herauskommt. Inzwischen stelle ich aber auch fest, dass die andere Seite das auch nicht mehr haben will - in der Angst, es könnte vielleicht herauskommen, dass eine höhere Geschwindigkeit genauso gut ist, Hauptsache sie ist gleichmäßig.” Siegfried Brockmann, Unfallforscher

Verkehrssicherheit: Verbesserung auch durch flexible Tempolimits?

Brockmann glaubt, dass man die Verkehrssicherheit nicht nur durch ein starres Tempolimit, sondern auch mit flexiblen Geschwindigkeitsbeschränkungen verbessern könnte. Dies könne zu einer größeren Akzeptanz in der Bevölkerung führen. “Ich glaube, der ganz große Widerstand kommt auch daher, dass jemand, der beispielsweise nachts auf leerer Autobahn unterwegs ist oder irgendjemand, der bei Tage, wo weit und breit kein Auto zu sehen ist, dann trotzdem dieses Tempolimit einhalten muss und das nicht akzeptieren will.”

Auch könne auf vielen Strecken ohne Tempolimit nicht immer beliebig schnell gefahren werden. Brockmann hält aber fest, dass ein Tempolimit kürzere Anhaltewege zur Folge hat “und im Falle eines Crashs eben auch eine geringere Aufprallenergie. Das ist physikalisch erstmal ganz klar”.

Das sagt auch der Verkehrswissenschaftler Gernot Sieg von der Universität Münster, der auch im wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums sitzt. “Wenn man jetzt die nicht so gefährlichen Streckenabschnitte auch mit einem Tempolimit belegt, dann wird das schon einen Effekt haben. Aber wie groß der wirklich ist, kann man nicht wirklich prognostizieren.”

Unfalltote: Vergleich mit anderen Ländern hinkt

Bei der Diskussion um ein Tempolimit wird immer wieder auch der Vergleich mit anderen Ländern herangezogen. Laut EU-Daten starben in Deutschland 2016 auf Autobahnen 4,8 Menschen pro eine Million Einwohner, vergleichbar mit den Niederlanden (4,6) und Dänemark (4,4), wo es ein Tempolimit auf Autobahnen gibt. In Spanien (7,0) und Belgien (8,8) war die Rate deutlich höher, in Großbritannien (1,5) und Finnland (1,3) deutlich niedriger, dort gibt es ebenfalls ein Tempolimit.

Für Sieg und Brockmann sind solche Vergleiche kein plausibles Argument für oder gegen ein Tempolimit, zumal die Ursachen auch hierfür nicht eindeutig seien. Die deutschen Autobahnen seien im Vergleich zu anderen Ländern besser auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt, etwa seien die Kurvenradien dementsprechend lang, auch die Topografie und das Verkehrsaufkommen in anderen Ländern seien nicht immer mit denen Deutschlands vergleichbar.

Für Siegfried Brockmann von der UDV gilt in der Betrachtung mit anderen Ländern am Ende das Argument “Vision Zero”, dass also Unfälle und Verletzungen im Straßenverkehr zu verhindern sind. “Es kann ja nicht sein, dass man sagt, woanders haben wir noch 100 Tote mehr, also müssen wir hier nichts tun. Das ist ja der völlig falsche Ansatz.”

“Vision Zero” spräche für niedrigeres Tempolimit als 130

Die Zielsetzung der “Vision Zero” sei auch bei der Diskussion um Geschwindigkeitsbegrenzungen zu berücksichtigen. “Mit der Vision Zero kann ich natürlich auch 120 oder 100 oder 80 auf der Autobahn begründen. Das heißt, die Dinge müssen ja ohnehin abgewogen werden mit der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz.”

Welches ein ausgewogenes Tempolimit in Sachen Sicherheit ist, dafür fehlt laut Brockmann die wissenschaftliche Grundlage. Aus der Perspektive, Menschenleben zu schützen, sei es so, “dass allein `Vision Zero´ nicht für 130 spricht, sondern natürlich für noch viel weniger”.

Über die volkswirtschaftlichen Kosten eines neuen, generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen wurde bereits ebenfalls öffentlich gestritten. Befürworter eines Tempolimits argumentieren häufig, eine Einführung koste so gut wie nichts und auch die UBA-Studie sagt, eine Einführung wäre “ohne nennenswerte Mehrkosten” möglich.

Volkswirtschaftliche Kosten eines Tempolimits

Im September 2020 legte Ulrich Schmidt vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel eine Berechnung vor, die besagt, ein Tempolimit von 130 km/h führe zu “Wohlfahrtsverlusten” in Höhe von 1,3 Milliarden Euro.

Befürworter des Tempolimits und viele User in den sozialen Netzwerken kritisierten nach Erscheinen von Schmidts Berechnungen unter anderem, dass Schmidt die durch ein Tempolimit verhinderten Tode mit einem volkswirtschaftlichen Geldwert bemaß. Darüber hinaus ging Schmidt so vor, dass er etwa die Zeitverluste mit dem durchschnittlichen deutschen Bruttostundenlohn multiplizierte.

Ob sich aus einer solchen Rechnung tatsächliche “Wohlstandsverluste” berechnen lassen, gilt unter Experten als umstritten. Ebenso die Frage, ob die ohne Tempolimit auf der Autobahn eingesparte Zeit tatsächlich in wertschöpfende Arbeit umgewandelt wird.

Emissionsvermeidungskosten seien in anderen Sektoren niedriger

Aber auch der Volkswirt Gernot Sieg von der Uni Münster rechnet damit, dass ein Tempolimit volkswirtschaftlich etwas kosten würde. An der Studie des UBA kritisiert er, dass die Vermeidungskosten pro Tonne Emissionen nicht berücksichtigt werden und dass nur die Emissionen des Verkehrssektors isoliert betrachtet würden. “Im Verkehrssektor haben wir sehr viel höhere Kosten der Emissionsvermeidung als in anderen Sektoren und deswegen ist es immer effizienter oder billiger, woanders was zu vermeiden als im Verkehrssektor. Langfristig muss es auch im Verkehrssektor runter. Das ist keine Frage.”

Sieg thematisiert auch einen möglichen Rebound-Effekt, der besagt, dass durch Effizienz eingesparte Energie an anderer Stelle dennoch verbraucht wird. Er entsteht laut Sieg beim Tempolimit dadurch, dass die Autofahrer durch langsameres Fahren weniger Geld für Sprit ausgeben. “Dieses Geld können sie jetzt für andere Dinge ausgeben, und diese anderen Dinge verursachen wieder CO2-Emissionen. Wenn ich jetzt im Extremfall für das eingesparte Benzingeld ein Billigflugticket nach Dublin kaufe, dann ist es ein stark negativer Effekt fürs Weltklima.”

Rebound-Effekt nicht messbar, tatsächliche Auswirkung umstritten

Wie stark ein solcher Rebound-Effekt wäre, gilt in der Wissenschaft als umstritten, da er von sehr vielen Faktoren abhängig ist und als nicht messbar gilt.

Stefan Hausberger und Martin Lanzenberger glauben allerdings nicht an einen solchen Rebound-Effekt. Sie verweisen auf die These eines konstanten Zeitbudgets. Sie besagt, dass der Mensch etwa ein gleichbleibendes Zeitbudget für Mobilität aufwendet. Kann er sich nur langsamer fortbewegen, legt er kürzere Strecken zurück, die aufgewandte Zeit bleibt gleich. Negative volkswirtschaftliche Effekte seien durch ein Tempolimit daher nicht zu erwarten. Stefan Hausberger sagt auch: “Dazu würde ich jetzt sagen, dass diejenigen, die 180 auf der Autobahn fahren, meistens nicht die sind, die wegen 100 Euro keinen Urlaub machen.”

Gernot Sieg, der sagt, das Tempolimit würde Kosten verursachen, konstatiert im Hinblick auf die volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung: "Ob es wirklich Nutzen bringt oder nicht, die Studien gibt es nicht. Und ich glaube, die Studien gibt es auch deswegen nicht, weil man es nicht so genau ausrechnen kann”.

Es bleibt also schwer zu beurteilen, ob ein Tempolimit tatsächlich volkswirtschaftlich negative Auswirkungen hätte oder nicht.

Tempolimit bedürfte laut Experten strenger Überwachung

Einig sind sich alle Experten, dass eine Einführung eines Tempolimits eine strengere Verkehrsüberwachung erfordert. Hausberger sagt: “Es steht und fällt mit der Überwachung. Geschwindigkeitslimits ohne Überwachung haben keinen Hebel.”

Unfallforscher Siegfried Brockmann meint: “Was wir jetzt häufig auf Autobahnen sehen, gerade bei den Wechselverkehrszeichen, ist, dass diese Geschwindigkeiten missachtet werden, weil in der Regel auch keine Radarkontrolle daran gekoppelt ist. Und das schafft natürlich neuen Verdruss, weil dann diejenigen, die sich an das Limit halten, irgendwann sagen: ‘Ich bin hier der letzte Dumme und alle anderen machen, was sie wollen’.”

Verkehrswissenschaftler Gernot Sieg sagt, weniger hohe Geschwindigkeiten im Verkehr und damit geringere Geschwindigkeitsunterschiede würden auch zu weniger Phantomstaus, also Staus ohne erkennbaren Grund, führen. Wenn es bei einem Tempolimit von 130 wieder Leute gebe, “die dann 140, 145 fahren, dann ist die Homogenisierung wieder weg, das heißt, den Vorteil kriegt man nicht alleine über das Tempolimit, sondern die Art der Überwachung. Das ist einmal die Häufigkeit, wo wird kontrolliert und wie häufig, wie überraschend wird kontrolliert und natürlich die Anzahl der Strafen. Und da wirkt Geld nicht so gut wie Punkte”.

Unfallforscher Brockmann gibt zu Bedenken, wenn es ein Tempolimit von 130 km/h gäbe und alle zwischen 135 und 145 fahren würden, wäre das auch schon ein Erfolg. Vor allem diejenigen, die dann deutlich zu schnell unterwegs wären, müssten aber härter bestraft werden. “Wir werden sicherlich durch regelmäßige Kontrollen sicherstellen müssen, dass die Leute Angst haben, sodass es richtig teuer wird.”

Fazit

Ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen würde die Emissionen im Autoverkehr verringern. Ein Tempolimit von 130 km/h könnte laut einer Studie des Umweltbundesamtes jährlich 1,9 Mio. Tonnen Treibhausgase einsparen. Bis 2030 will Deutschland im Verkehrssektor im Vergleich zu 2019 rund 80 Mio. Tonnen Emissionen einsparen. Eine Begrenzung auf 130 km/h würde etwa 2,4 Prozent dieser Einsparungen ausmachen. Je geringer die Höchstgeschwindigkeit bei einem Tempolimit, desto größer die möglichen Emissionseinsparungen.

Dass ein Unfall mit einer niedrigeren Geschwindigkeit das Todesrisiko senkt, sei physikalisch klar, sagen Experten. Wie genau sich ein Tempolimit auf die Todeszahlen auf Autobahnen auswirken würde, dazu gibt es laut Experten keine belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines Tempolimits sind umstritten, große Verluste sind laut Experten aber nicht zu erwarten. Alle vom #Faktenfuchs befragten Experten sagen: Für eine Durchsetzung eines Tempolimits bräuchte es eine strenge Verkehrsüberwachung zur Einhaltung der Regeln.

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