Schild mit der Aufschrift Naturschutzgebiet
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30 Prozent Schutzgebiete: Was noch zu klären ist

Weltweit sollen 30 Prozent der Fläche an Land und im Wasser bis 2030 unter Schutz gestellt werden. So steht es im Entwurf des globalen Rahmenwerks für den Artenschutz, das in Montreal diskutiert wird. Das Ziel erzeugt Aufmerksamkeit - und Bedenken.

Es wäre in etwa eine Verdopplung der Schutzgebiete an Land und eine Vervierfachung im Meer: das Ziel, 30 Prozent der Meeres- und der Landfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen. Die Vertragsstaaten der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) beraten darüber gerade bei der Biodiversitätskonferenz COP15 in Montreal. Es ist das prominenteste der inzwischen 23 Ziele, die beim Weltnaturgipfel auf der Tagesordnung stehen. Das liegt wohl auch daran, dass es so griffig ist. Kanadas Umwelt- und Klimawandelminister, Steven Guilbeault, bezeichnete das Ziel kurz vor Beginn des Gipfels auch als das "1,5 Grad Ziel für die Biodiversität".

30x30-Ziel schafft Aufmerksamkeit

Für die Biologie-Professorin Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt am Main, ist das Ziel besonders wichtig, auch weil es hilft, Aufmerksamkeit für das Thema der Biodiversität zu schaffen. Für die Biologin hängt von dem Ziel sogar der Erfolg der ganzen Konferenz in Montreal ab: "Wenn wir das 30x30-Ziel nicht umsetzen, mit dem Beisatz, dass das gut gemanagte Gebiete sind, die gut mit anderen Gebieten verbunden sind, dann wäre dieser Weltnaturgipfel wirklich gescheitert. Das ist eins der Ziele, die unbedingt erreicht werden müssen."

Wie stehen wir in Europa, Deutschland und Bayern da?

Wenn das 30x30-Ziel am Ende verabschiedet wird, müssen die einzelnen Staaten es aber erst noch umsetzen. Dann wird es darauf ankommen, wie genau die Formulierung im Abschlussdokument lautet. Genau darüber wird aktuell in Montreal gestritten. Wie sollen die Gebiete weltweit verteilt sein, wo sollen sie entstehen und nach welchen Kriterien sollten sie ausgewählt werden? Und muss jeder Nationalstaat 30 Prozent erreichen oder ist es eine globale Maßgabe.

In Europa gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Schutzgebieten, die sich zum Teil überlappen. Wie weit wir aktuell von den 30 Prozent entfernt sind, lässt sich daher nur schwer beziffern. Wildnisgebiete, in denen praktisch keinerlei menschliche Nutzung stattfindet, gibt es in Deutschland gerade einmal auf etwa 0,6 Prozent der Fläche. Als Naturschutzgebiete sind deutschlandweit etwa 6,3 Prozent Fläche ausgewiesen, in Bayern sind es immerhin 13 Prozent.

Für die EU steht 30x30 bereits fest

Die EU hat sich allerdings mit ihrem "Green Deal" und der EU-Biodiversitätsstrategie bereits auf 30 Prozent Schutzgebiete bis 2030 festgelegt. Die deutsche und die EU-Delegation setzen sich darum auch in Montreal für diese Maßzahl ein. Ein wichtiger Unterschied bei der europäischen Strategie: Ein Drittel der Schutzgebiete - also zehn Prozent der Gesamtfläche - sollen streng geschützt sein. Hier müsste sich bei uns in den kommenden Jahren noch einiges verändern, um das Ziel bis 2030 zu erreichen, meint die Biologin Katrin Böhning-Gaese. Diese Forderung, zehn Prozent der Gebiete besonders streng zu schützen, war ursprünglich auch für die weltweite Biodiversitäts-Strategie auch im Gespräch, ist im aktuellen Entwurf in Montreal aber nicht enthalten.

Wo Schutzgebiete entstehen sollten

Die meisten Expertinnen und Experten sind sich einig, dass Schutzgebiete grundsätzlich einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten können. Vor allem dann, wenn sie groß, miteinander verbunden, gut verwaltet und kontrolliert sind. Eine wichtige Frage ist aber, wo Schutzgebiete ausgewiesen werden. Aus ökologischer Sicht, sollten sie am besten in biodiversitätsreichen Regionen entstehen, sagt die Biologie-Professorin Katrin Böhning-Gaese. Wo genau, hängt stark davon ab, wie man Biodiversität erfasst, so die Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima-Forschungszentrums.

Blickt man auf besonders artenreiche Regionen, dann sollten die Schutzgebiete zum Beispiel in den Anden oder in der ostafrikanischen Grabenzone oder im Himalaya liegen, meint die Biologin, die auch Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, ist. Mit einem Fokus auf besonders seltene Arten kämen die Insel-Ökosysteme dazu, zum Beispiel Madagaskar oder Ozeanien. "Und wenn man auf die Wildnis schaut, wo wir wirklich noch unberührte, riesige Lebensräume haben, dann müssen wir auch in den hohen Norden nach Russland oder nach Kanada", sagt Böhnig-Gaese.

Schutz nur dort, wo es am wenigsten weh tut?

Doch nicht alle Experten sind von dem Ziel 30x30 als Mittel der Wahl überzeugt. Viel Erfahrung mit dem Ringen um Schutzgebiete im Meer hat Professor Thomas Brey vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Er sitzt für Deutschland in der Antarktis-Kommission. Ihm bereitet das 30x30 Ziel Kopfschmerzen: "Wir machen die Maßzahl zum Ziel unserer Aktion und das ist extrem gefährlich."

Der Wissenschaftler sieht die Gefahr, dass es am Ende nur noch darum geht, wie viel Fläche geschützt wird, egal wie oder wo. Dann würden eben die Gebiete mit den geringsten Interessenskonflikten geschützt, wo es am wenigsten wehtue, etwa in der Sahara oder in der Antarktis, nur um die 30 Prozent zu erreichen: "Und man verliert dabei das eigentliche Ziel – dass ich schützen will, da wo es wichtig ist, weil da schlimme Dinge passieren – aus den Augen. Das macht mir wirklich extreme Sorgen", so Brey. Auch weil es so schwierig ist, sich international auf Schutzgebiete im Meer zu einigen, hält Brey es für wichtiger, die globale Fischerei in den Griff zu kriegen.

"Paper Parks": Naturschutz nur auf dem Papier?

Eine weitere wichtige Frage ist: Wie streng werden die Gebiete wirklich geschützt? Eine große Befürchtung einiger Wissenschaftler und Naturschützer ist, dass noch mehr "Paper Parks" entstehen könnten. Also Schutzgebiete, die nur auf dem Papier stehen, aber nicht wirklich gut geschützt sind.

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