Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, spricht bei der Eröffnungszeremonie UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal.
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Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, spricht bei der Eröffnungszeremonie UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal.

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UN-Biodiversitätskonferenz startet: Das sind die Knackpunkte

Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht und damit letztlich auch unsere Lebensgrundlage. Die Biodiversitätskonferenz in Montreal soll eine weltweite Strategie bis 2030 festlegen. Doch um wichtige Ziele wird noch gestritten.

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Nach Schätzungen von Wissenschaftlern sind eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht – und damit auch die Menschheit. Denn gesunde Böden, Insekten und vielfältige Pflanzen sind die Grundlage für die Landwirtschaft und die Ernährung der Weltbevölkerung. Aber auch für die Entwicklung von Medikamenten oder für die Zucht von Getreidesorten, die gut mit dem Klimawandel klarkommen, ist die Artenvielfalt unschätzbar wichtig.

Naturschützer: "Letzte Chance, das Artensterben zu stoppen"

Die Vertrags-Staaten der UN-Biodiversitätskonvention hatten sich deshalb bei ihrer Konferenz 2010 in Japan auf Ziele für den Erhalt der Artenvielfalt bis 2020 verständigt. Allerdings wurde keines dieser Ziele vollständig erreicht. Jetzt wollen sich die 196 Vertragsstaaten, die das Internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD), unterzeichnet haben, auf ein Nachfolge-Regelwerk für die Zeit bis 2030 verständigen.

Naturschutz-Organisationen, die bei der Konferenz als Beobachter dabei sind, warnen deshalb, wie wichtig eine weltweite Einigung auf ambitionierte Ziele für den Artenschutz ist: "Hier geht es um unsere Lebensgrundlagen. Diese Konferenz ist vermutlich die letzte Chance, dass die Welt sich Ziele setzt, um bis 2030 - solange haben wir voraussichtlich noch Zeit - dieses Artensterben zu stoppen", sagt etwa Florian Titze von der Umweltorganisation WWF.

30 Prozent Schutzgebiete an Land und im Meer bis 2030?

Im aktuellen Entwurf für das Rahmenwerk für das laufende Jahrzehnt sind bisher 22 Ziele formuliert. Eines davon lautet, 30 Prozent der Meeres- und Landfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen. Es wäre ein ambitioniertes Ziel, denn das würde eine Verdopplung der geschützten Fläche an Land und eine Vervierfachung im Meer bedeuten würde. Dieses sogenannte "30x30-Ziel" bezeichnete Steven Guilbeault, Kanadas Umwelt- und Klimawandel Minister, im Vorfeld der Konferenz als das "1,5 Grad Ziel für die Biodiversität".

Doch es sind noch wesentliche Fragen offen: Nach welchen Kriterien sollen die Gebiete ausgewählt werden? Wo nutzen diese der Artenvielfalt wirklich? Welche Art von Nutzung ist in den Schutzgebieten noch erlaubt und soll es Kernzonen geben, in denen jegliche wirtschaftliche Nutzung, zum Beispiel Fischerei oder Holzeinschlag, untersagt ist?

Auch streitet die Fachwelt darüber, wie wirksam das Ziel wirklich ist, oder ob nur auf dem Papier neue Schutzgebiete entstehen könnten, die wenig zum Artenschutz beitragen. Für die Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, Katrin Böhning-Gaese, hängt von dem Ziel jedoch der Erfolg der ganzen Konferenz ab: "Wenn wir das 30x 30 Ziel nicht umsetzen, mit dem mit dem Zusatz, dass das gut gemanagte Gebiete sind, die gut mit anderen Gebieten verbunden sind, dann wäre dieser Weltnaturgipfel wirklich gescheitert."

Für die Biologin, auch Mitglied der nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, ist es eines der Ziele, die unbedingt erreicht werden müssen. Doch noch ist nicht klar, ob sich die Vertragsstaaten überhaupt auf dieses Ziel einigen können.

Einigung ohne Staats- und Regierungschefs überhaupt möglich?

Erschwert wird eine solche Einigung möglicherweise dadurch, dass bisher keine Staats- und Regierungschefs ihre Teilnahme bei den Verhandlungen in Kanada angekündigt haben. Zwar werden wohl über 100 Ministerinnen und Minister aus den betreffenden Ressorts teilnehmen und damit mehr als je zuvor, doch Beobachter der Verhandlungen befürchten, dass ohne die Anwesenheit der obersten politischen Ebene in den strittigen Punkten keine Einigungen möglich sein könnten.

Für Deutschland wird in der zweiten Konferenzwoche Bundesumweltministerin Steffi Lemke nach Kanada reisen und dort ihre internationalen Amtskolleginnen und Kollegen für die finale Phase der Verhandlungen treffen. Im Gepäck hat sie die Zusage, dass die Bundesregierung ihre jährlichen Ausgaben für internationale Artenschutzprojekte bis 2025 auf 1,5 Milliarden Euro verdoppeln wird.

Lemke sieht darin Rückenwind für die Verhandlungen. Insgesamt werden aber wohl mindestens 200 Milliarden US-Dollar für einen effektiven weltweiten Artenschutz benötigt. Ob und wie eine solche Summe bei der Biodiversitätskonferenz eingeworben werden kann ist allerdings fraglich. Großes Potential läge auch im weltweiten Abbau von biodiversitätsschädlichen Subventionen, etwa für Infrastrukturprojekte oder Agrarsubventionen.

Der Entwurf für das globale Artenschutzrahmenwerk sieht vor, dass die Staaten mindestens 500 Milliarden US-Dollar dieser Subvention abbauen beziehungsweise im Sinne der Artenvielfalt umwidmen sollen. Dieses Ziel dürfte wohl auch große Auswirkungen auf die Politik in Deutschland und Europa haben, zum Beispiel bei der Ausrichtung der nächsten Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) ab 2027.

Regeln für die Nutzung genetischer Ressourcen

Die UN-Biodiversitätskonferenz ist nur zum Teil eine Konferenz für den Arten- und Naturschutz. Es geht auch um die nachhaltige Nutzung des Artenreichtums zum Beispiel in Fischerei, Land und Forstwirtschaft und um den Zugang zu genetischen Ressourcen und den fairen Ausgleich von Vorteilen. Dabei geht es darum, dass die Staaten Forschenden auch aus anderen Ländern Zugang gewähren sollen, zum Beispiel um genetische Proben für ihre Forschung zu nehmen.

Entstehen durch die Forschungsergebnisse Vorteile oder Gewinne, zum Beispiel durch die Entwicklung eines Medikaments, Impfstoffes oder von Saatgut, muss das Ursprungsland daran beteiligt werden. Dieses Prinzip wurde 2010 bei der Konferenz im japanischen Nagoya im sogenannten Nagoya-Protokoll festgeschrieben.

Zählt "Digitale Sequenzinformation" als genetische Ressource?

Nicht enthalten ist in dem Regelwerk jedoch, wie mit digital gespeicherten Geninformationen aus Datenbanken umgegangen werden soll. Diese spielen in der Forschung eine immer wichtigere Rolle, weil der genetische Bauplan von Organismen, Viren, einzelnen Proteinen inzwischen viel günstiger und schneller ausgelesen, in der Fachsprache "sequenziert", werden kann. Forschende haben über Datenbanken Zugang zu einer riesigen Zahl von Vergleichsdatensätzen.

Die Vertragsstaaten müssen sich auf der Biodiversitätskonferenz nun einigen, ob und in welcher Form digitale Sequenzinformationen (DSI) unter dem Nagoya-Protokoll geregelt werden sollen. Forschende wünschen sich dabei eine Lösung, die den Zugang zu den digitalen genetischen Informationen möglichst nicht erschwert oder verkompliziert.

Streit um digitale Geninformationen könnte Konferenz platzen lassen

Viele Staaten des globalen Südens befürchten jedoch, dass sie gewissermaßen leer ausgehen und nicht an den Vorteilen und Gewinnen, die mit DSI zum Beispiel bei der Entwicklung von Medikamenten erwirtschaftet werden. Darum bauen einige Länder wie China, Indien oder Brasilien derzeit eigene Datenbanken auf und beschränken den Zugang für Andere, anstatt sich an den drei großen öffentlichen Datenbanken in Japan, der EU und den USA zu beteiligen.

Aufgabe der Biodiversitätskonferenz wird nun sein, einen wirksamen internationalen Mechanismus festzulegen, der allen Partnern Zugang gewährt und einen wirksamen Vorteilsausgleich auszuhandeln, vor allem für die Staaten im globalen Süden mit einem großen genetischen Artenreichtum in ihren Gebieten. Diese schwierige Aufgabe könnte jedoch das gesamte Rahmenwerk für den Artenschutz zum Kippen bringen.

Denn einige südamerikanische oder afrikanische Länder haben bereits angedroht, die Verhandlungen über den weltweiten Artenschutz ganz platzen zu lassen, sollte keine Lösung in ihrem Sinne gefunden werden. Denn ein neues Rahmenwerk bis 2030 für den weltweiten Artenschutz kann es am Ende der Konferenz nur einstimmig geben. Und durch die von Corona bedingten Verschiebungen wurde bereits wertvolle Zeit verloren.

China führt den Vorsitz

Obwohl China bei dieser Konferenz den Vorsitz führt, konnte das finale Treffen der Delegationen wegen Chinas Null-Covid-Politik nicht wie geplant im chinesischen Kunming stattfinden. Stattdessen treffen sich die Delegationen am Sitz der Biodiversitätskonvention in Kanada.

Vom 7. bis zum 19. Dezember wollen die Staaten ein Regelwerk aushandeln, das den Rahmen für die weltweite Strategie zum Erhalt der Artenvielfalt bis 2030 Rahmen vorgeben soll.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.