Benjamin Netanjahu
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Netanjahu verkündet zweite Phase im Krieg gegen Hamas

Das israelische Militär weitet die Bodeneinsätze aus, Premier Netanjahu rechnet mit lang andauernden Kämpfen. Die Armee ruft die Palästinenser im Norden des Gazastreifens erneut zur Flucht in den Südteil auf. Gaza-Stadt sei nun ein "Schlachtfeld".

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Mit der Ausweitung der Bodeneinsätze des israelischen Militärs im Gazastreifen hat nach Angaben von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die zweite Phase des Krieges gegen die Hamas begonnen. Ziel sei es, die militärischen Fähigkeiten sowie die Herrschaft der Islamistenorganisation zu zerstören und die Geiseln nach Hause zurückzubringen, sagte er am Samstagabend in Tel Aviv. Die Notstandsregierung habe die Entscheidung zur Ausweitung der Bodeneinsätze einstimmig getroffen.

Auch Generalstabschef Herzi Halevi betonte: "Dieser Krieg hat verschiedene Phasen, und heute gehen wir in die nächste Phase über. Unsere Streitkräfte sind derzeit im Gazastreifen im Einsatz." Ähnlich hatte sich zuvor der israelische Verteidigungsminister Joav Galant geäußert. Er deutete zudem an, dass das Militär bald zu einer umfassenden Bodenoffensive im Norden des Gazastreifens übergehen könnte. Israel hat bereits Hunderttausende Soldaten im Grenzgebiet stationiert.

Armee warnt Palästinenser: Gaza-Stadt jetzt ein "Schlachtfeld"

Armeeangaben zufolge waren in der Nacht zum Samstag israelische Truppen in den Norden des Gazastreifens vorgedrungen. Die Bodentruppen sind demnach immer noch vor Ort. Beteiligt seien Infanterie, Panzertruppen, Ingenieurkorps und Artillerie, hieß es. Dem Militär zufolge sollen vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen werden. Das israelische Militär hatte zuvor bereits vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstöße am Boden durchgeführt.

Die israelische Armee rief die noch im Norden des Gazastreifens verbliebenen Menschen erneut dringend auf, sich im Süden in Sicherheit zu bringen. Das "Zeitfenster" schließe sich schnell, warnte ein Militärsprecher. Gaza-Stadt und Umgebung seien inzwischen zu einem "Schlachtfeld" geworden, die Schutzräume in dieser Zone seien "nicht sicher", erklärte die Armee zudem in Flugblättern, die aus Kampfflugzeugen über dem Gazastreifen abgeworfen wurden.

Netanjahu sieht Druck als Schlüssel zum Erfolg

Netanjahu erklärte, die massiven Luftangriffe der vergangenen Wochen hätten der Hamas einen "schweren Schlag" versetzt. "Allerdings stehen wir erst am Anfang", betonte Netanjahu. Der Krieg werde "schwierig und langwierig" sein.

Er versicherte, trotz der Bodenoffensive würden die Kontakte zur Befreiung der von der Hamas verschleppten Geiseln aufrechterhalten. Seine Regierung werde jeder Option nachgehen, "um sie nach Hause zu holen". Zugleich betonte Netanjahu, die Befreiung der Geiseln sei ein "integraler" Bestandteil der militärischen Ziele. "Druck ist der Schlüssel. Je größer der Druck, desto größer die Chancen", sagte der Regierungschef.

Zuvor hatte die Hamas die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen in Israel gefordert. "Der Preis, der für die große Zahl feindlicher Geiseln in unserer Hand zu zahlen ist, ist es, die (israelischen) Gefängnisse von allen palästinensischen Inhaftierten zu leeren", hieß es am Samstag in einer vom Hamas-Fernsehen verbreiteten Videobotschaft des Sprechers des bewaffneten Arms der radikalen Organisation, Abu Obeida.

Katar und Ägypten sind als Vermittler an den Bemühungen beteiligt, die Freilassung der von der Hamas entführten Geiseln zu erwirken. Vor der Ausweitung der Bodeneinsätze in dem von Israel abgeriegelten Küstengebiet hatte es Berichte gegeben über angebliche Fortschritte bei diesen Bemühungen. Majed Al-Ansari, Sprecher des katarischen Außenministeriums, sagte dem US-Nachrichtensender CNN am Samstag jedoch, die Eskalation vor Ort mache die Situation nun "erheblich schwieriger".

Weiter Raketenangriffe aus Gaza auf israelische Städte

Am Samstag wurden israelische Städte weiter vom palästinensischen Gazastreifen aus beschossen. In den Ortschaften im Grenzgebiet zu dem Küstenstreifen heulten mehrmals Warnsirenen, wie die israelische Armee mitteilte. Auch im Großraum Tel Aviv gab es erneut Raketenalarm, ebenso in der Küstenstadt Aschkelon. In der Wüstenstadt Beerscheva wurde nach Polizeiangaben ein Gebäude durch eine Rakete getroffen. Es gab zunächst keine Berichte über Verletzte.

Seit Beginn des Krieges vor drei Wochen sind nach israelischen Angaben rund 8.000 Raketen von Gaza aus auf Israel abgefeuert worden. Ein Teil davon sei im Gazastreifen selbst eingeschlagen und habe dort auch Opfer verursacht.

Karte: Übersicht Israel und angrenzende Länder

UN besorgt

Derweil rufen die Vereinten Nationen (UN) erneut zu einer Waffenruhe auf und mahnen die Wahrung der Menschenrechte an. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk äußerte sich besorgt angesichts der Ausweitung der Angriffe. Dadurch werde "diese schreckliche Krise auf eine neue Stufe der Gewalt und des Schmerzes gehoben", erklärte Türk.

Die ärztliche Versorgung im Gazastreifen ist der dortigen Gesundheitsbehörde zufolge wegen eines Blackouts bei Telefon- und Internetverbindungen derzeit "komplett paralysiert". Krankenwagen und Ärzte-Teams könnten ihre Arbeit nicht mehr machen. Die Behörde untersteht der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas.

Die Kommunikation innerhalb des Gazastreifens über das Internet und Telefone war am Freitag fast vollständig zusammengebrochen. Als Folge konnten beispielsweise Opfer von Angriffen keinen Notruf absetzen. Mehrere UN-Organisationen sowie internationale Hilfsorganisation verloren nach eigenen Angaben den Kontakt zu ihren Mitarbeitern im Gazastreifen. Inzwischen sollen die Kommunikationswege wieder zugänglich sein. "Netzwerkdaten in Echtzeit zeigen, dass die Internetverbindung im Gazastreifen wiederhergestellt wird", so die Internetüberwachungsseite Netblocks am Sonntag im Onlinedienst X.

WHO: "Mehr als die Hälfte der Toten sind Frauen und Kinder"

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief ebenfalls zu einem sofortigen Stopp der Kämpfe im Gazastreifen auf. Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Patienten und Zivilisten müssten angesichts eines heftigen nächtlichen Bombardements mit einem vollständigen Verlust der Kommunikationsverbindungen und Stromversorgung fertig werden, teilte die WHO mit. Rettungswagen könnten Verletzte wegen des Verlusts der Kommunikationsmöglichkeiten nicht erreichen. "Leichenhallen sind voll. Mehr als die Hälfte der Toten sind Frauen und Kinder", hieß es. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) rief angesichts der katastrophalen Lage für die Bevölkerung in Gaza beide Seiten zu sofortiger Deeskalation auf.

Saudi-Arabien verurteilt "jegliche Bodenoffensiven" Israels

Saudi-Arabien verurteilte "jegliche Bodenoffensiven" Israels im Gazastreifen. Das islamische Königreich sprach von einem "eklatanten Bruch und einem ungerechtfertigten Verstoß gegen internationales Recht". Saudi-Arabien ist eine wichtige Schutzmacht der Palästinenser und war über Jahrzehnte mit Israel verfeindet. Vor Beginn des Gaza-Kriegs deutete vieles auf eine mögliche Normalisierung der Beziehungen unter Vermittlung der USA hin. Im Zuge des erneut eskalierten Konflikts hat Riad die Gespräche über eine mögliche Normalisierung gestoppt.

Wie das Nachrichtenportal "Axios" in der Nacht zum Sonntag unter Berufung auf nicht genannte Quellen berichtete, soll der saudische Verteidigungsminister Khalid bin Salman voraussichtlich am Montag zu Gesprächen mit ranghohen Vertretern der US-Regierung nach Washington reisen.

Die Hamas hatte am 7. Oktober einen beispiellosen Großangriff auf Israel begonnen. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1.400 Menschen getötet und 229 Menschen als Geiseln verschleppt. Bei den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen wurden nach Angaben des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums seit Kriegsbeginn laut jüngsten Angaben vom Sonntag mehr als 8.000 Menschen getötet. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Nach Angaben der Hamas wurden in der Nacht zu Sonntag eine "große Zahl" an Menschen bei israelischen Luftangriffen auf zwei Flüchtlingslager im Norden des Gazastreifens getötet. Eine genaue Zahl wurde nicht genannt, unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Israel zieht Diplomaten aus der Türkei ab

Das israelische Außenministerium rief unterdessen seine Diplomaten in der Türkei zurück. "Angesichts der schwerwiegenden Äußerungen aus der Türkei habe ich die Rückkehr der diplomatischen Repräsentanten angeordnet, um eine Neubewertung der Beziehungen zwischen Israel und der Türkei vorzunehmen", erklärte Außenminister Eli Cohen auf der Plattform X. Welche Äußerungen gemeint sind, teilte Cohen nicht mit.

Am Samstag sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf einer pro-palästinensischen Demonstration in Istanbul, Israel sei nur "eine Schachfigur" in der Region, die, "wenn der Tag kommt", geopfert werde. Das Land begehe "Kriegsverbrechen". Zugleich warf er "westlichen Regierungen" vor, hauptsächlich für die "Massaker" im Gazastreifen verantwortlich zu sein.

Mit Informationen von AP, AFP, Reuters und dpa

Im Audio: Aktuelle Lage in Gaza und Israel

Israelisches Artilleriefeuer nahe der Grenze zum Gazastreifen
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Israelisches Artilleriefeuer nahe der Grenze zum Gazastreifen

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