Wolfauslassen im Bayerwald
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Wolfauslassen im Bayerwald

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Wolfauslassen – ein lautstarker Novemberbrauch

An den Abenden rund um den Martinstag kann man im Bayerischen Wald einen gewaltigen Brauch erleben: das Wolfauslassen. Dabei ziehen Gruppen, auch "Wölfe" genannt, durch die Orte und läuten mit großen Glocken. Mancherorts dröhnt es die ganze Nacht.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

"Martini gehen" – so wurde es früher genannt, wenn Gruppen von Kindern von Haus zu Haus zogen, den Hirtenspruch aufsagten und dann mit umgehängten Kuhglocken im Takt schepperten. Heute hört man öfter die Bezeichnung "Wolfauslassen" für diesen "Heischebrauch", wie Kulturwissenschaftler solche Bräuche nennen.

Erst Läuten, dann Geld einsammeln

"Heischen" bedeutet, mit einem Brauch um eine Gabe oder um Geld zu bitten. Während früher nur Buben mit den Glocken herumgezogen sind, haben die Gruppen inzwischen längst auch Mädchen dabei. Die wichtigste Person ist dabei der "Hirte", meistens mit Hut und einem Wacholderstecken. Er muss den traditionellen Hirtenspruch auswendig lernen und vor der Haustür möglichst schön aufsagen können. Nach dem gemeinsamen Läuten gibt es dann ein paar Münzen für die Kinder.

Brauchtums-Hochburgen Rinchnach und Bodenmais

Vor allem in den Bayerwald-Gemeinden Rinchnach und Bodenmais im Landkreis Regen hat sich das Wolfauslassen in den letzten Jahrzehnten zur "wildesten Nacht des Jahres" entwickelt. In beiden Orten werden Hunderte von Zuschauern erwartet, wenn sich die großen Wolfauslasser-Gruppen zu dem dröhnenden Spektakel treffen.

In Rinchnach findet das heuer am Freitag statt. Ab 18.30 Uhr ziehen nacheinander mehrere "Wölfe", wie man die Gruppen nennt, in den Ortskern ein und präsentieren sich jeweils mit lauten Glocken, die gemeinsam im Takt gescheppert werden. Der Hirte jeder Gruppe ist dabei der Taktgeber für alle Teilnehmer. Sie schnallen sich dafür schwere überdimensionierte Metallglocken um die Schultern. Manche Glocken sind gut 60 bis 80 Zentimeter hoch und wurden speziell für den Brauch angefertigt. Nach einem dröhnenden gemeinsamen Scheppern ziehen die Wölfe die ganze Nacht durch Rinchnach und durch die Wirtshäuser – bis zum "Taganläuten" um sechs Uhr früh.

In Bodenmais ziehen die "Wölfe" am 11. November zuerst durch den Ort und treffen sich dann ab 21 Uhr zum großen "Zusammenläuten" auf der sogenannten Kuhbrücke im Ortszentrum. Auch das ist ein dröhnendes Spektakel, das jedes Jahr Hunderte von Zuschauern anlockt. Die Besonderheit in Bodenmais: Hier läuten die drei großen Gruppen auch immer noch an den Anwesen der sogenannten Weiderechtler. Das sind Landwirte, deren Rinder den Sommer über in den Wäldern und auf den Schachtenwiesen im Arbergebiet weiden dürfen, ein altverbrieftes Recht. Das Anklopfen und Läuten bei den Weiderechtlern hat mit dem Ursprung des Brauchs zu tun.

Hat man mit dem Brauch jemals die Wölfe vertrieben?

Wer den Wolfauslasser-Brauch mal in einer dunklen Novembernacht erlebt hat, ist beeindruckt. Es wirkt alles sehr urtümlich und urgewaltig, erst recht, wenn dazu noch nächtlicher Nebel und Dunst um die Wolfauslasser wabert. Beeindruckend sind auch die sogenannten Goaßlschnalzer, die die Wolfauslasser begleiten. Sie schwingen lange Peitschen durch die Luft und lassen sie knallen, was ein scharfes, schneidendes Geräusch erzeugt, das laut durch die Nacht tönt.

In den alten Brauch des Wolfauslassens wurde in den letzten Jahren viel hineininterpretiert. Gern erzählt wird zum Beispiel, dass man damit früher Wölfe, Bären und womöglich gleich auch noch wilde Geister und Dämonen vertrieben hat. Brauchelemente wie lautes Lärmen gehören tatsächlich zu vielen spätherbstlichen und winterlichen Bräuchen. Aber für den Ursprung des Wolfauslassens gibt es eine alltäglichere Erklärung als die, Wölfe zu vertreiben.

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Goaßlschnalzer mit ihren Peitschen in Aktion

Hirten und Hüterbuben holten damit früher ihren Lohn

Der Inhalt des traditionellen Hirtenspruchs macht eigentlich schon klar, dass damit die Bauern zum Zahlen des Hütelohns aufgefordert werden. "Martini" war ein früher üblicher Zahltermin in der Landwirtschaft. Kulturwissenschaftler wie der bekannte Bodenmaiser Volkskundler Dr. Reinhard Haller gehen davon aus, dass der Gemeindehirte und die Hüterbuben, die im Sommer ebenfalls auf die nicht eingezäunten Rinder aufpassen mussten, mit dem Brauch am Ende des Weidejahres ihren Lohn eingetrieben haben. Dazu gingen sie zu den verschiedenen Bauern, deren Rinder sie gehütet hatten. Dabei wurde dann auch mit Requisiten hantiert, die beim Hüten verwendet wurden, wie eben den Kuhglocken, die die Rinder beim Weiden getragen hatten, und den Peitschen, mit denen man sie zusammentrieb.

Auch Herbert Katzdobler aus Rinchnach, der eine große Sammlung historischer Kuhglocken besitzt, erklärt den Brauch so.

"Anfang Juni hat der Hirte das Vieh ausgetrieben und am 10. November, also an Martini, hat er wieder eingetrieben. Dann hat der Hirte ein paar Dorfbuben die Glocken umgehängt und ist mit ihnen zu den Bauern gegangen, um zu läuten. Dann hat der Bauer gewusst, der treibt jetzt seinen Lohn ein." Herbert Katzdobler, Glockensammler

Störung der nächtlichen Ruhe

Genutzt wurde das "Wolfauslassen", der "Wolfaustreiben", wie es auch genannt wurde, früher aber auch durchaus mal, um über die Stränge zu schlagen. Dr. Reinhard Haller hat in den Archiven zum Beispiel ein Amtsblatt aus dem Jahr 1904 "für das Königliche Bezirksamt Regen" gefunden. Darin wird verkündet, dass "das Lärmen zur Nachtzeit mittels starken Peitschenknallens, Glockengeschells etc. innerhalb der Ortschaften strafrechtlich geahndet wird". Die "Gendarmerie" wurde angewiesen, "gegen derartige Störungen der nächtlichen Ruhe energisch einzuschreiten".

Heutzutage greift so mancher in den Hochburgen wie Rinchnach und Bodenmais zu Ohrstöpseln, wenn einem das Dauergescheppere in dieser wilden Nacht zu viel wird.

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