Eine Bekassine (Schnepfenvogel) im Flachwasser.
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Die Bekassine ist in Deutschland vom Aussterben bedroht und steht auf der deutschen Roten Liste. Wie jede fünfte Art in Europa.

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Jede fünfte Pflanzen- und Tierart in Europa ist gefährdet

Eine neue Studie zeigt: Das Artensterben in Europa ist weitaus größer als gedacht. Was dagegen hilft, ist längst klar: Geschützter Lebensraum für die Arten. Ein Fazit der Studie: Es braucht keine neuen Zahlen, es braucht Taten.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Seit vielen Jahren schrecken uns Berichte zum Artensterben auf, fast jede neue Zählung zeigt noch mehr Pflanzen- und Tierarten, die gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht sind. Rote Listen sind in aller Munde. Doch eine neue Studie zeigt mit verschärfter Genauigkeit: Allein in Europa sind viel mehr Arten gefährdet, als bislang bekannt war.

Das zeigt ein sehr genauer Blick in die Roten Listen gefährdeter Arten, die in den vergangenen Jahren in Europa entstanden sind und immer weiter aktualisiert werden. Eine Forschungsgruppe um Axel Hochkirch, der am Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg, der Uni Trier sowie in mehreren IUCN-Gruppen arbeitet, hat die Roten Listen zusammengetragen und auf diese Weise eine sehr umfassende Datensammlung ausgewertet. Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität an der Uni Hamburg, lobt, die Studie zeige "nun erheblich schärfer und umfassender als zuvor, dass deutlich mehr Arten vom Aussterben bedroht sind", als es bisher vom IUCN erfasst wurde. Veröffentlicht wurde die Studie jetzt im Fachmagazin PLOS One.

Das Studienergebnis in Kürze

Fast 15.000 Arten sind in Europas Roten Listen erfasst. Nicht alle davon sind bedroht, denn die Listen des IUCN sollen Tier- und Pflanzenarten überhaupt erfassen, um dann ihren Gefährdungsstatus zu bewerten und zu beobachten. Die an der Studie beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten bei genauer Analyse jedoch fest, dass offenbar erheblich mehr Arten in Europa gefährdet sind als bislang gedacht: Fast 3.000 der Pflanzen und Tiere auf den Roten Listen Europas sind entweder schon ausgestorben, vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet - jede fünfte Art.

Am stärksten betroffen sind Pflanzen: Von den auf der Roten Liste erfassten Arten sind 27 Prozent gefährdet, mehr als ein Viertel. Wirbellose Tiere - wie Insekten - sind auch zu fast einem Viertel bedroht: 24 Prozent. Bei den Wirbeltieren sieht es ein bisschen besser aus: 18 Prozent der Wirbeltiere Europas sind gefährdet. Und dabei ist ein großer Teil der bei uns vorkommenden Arten noch überhaupt nicht wissenschaftlich beschrieben oder auch nur entdeckt. "Wir wissen zu wenig über alle diese Arten, um ihr Verschwinden lange überhaupt bemerkt zu haben. Es gibt Arten, die wir schneller vernichten, als wir sie erforschen können", verdeutlicht Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität an der Uni Hamburg.

Was die Arten am stärksten bedroht

Rote Listen beinhalten nicht einfach nur Zahlen. Experten beschreiben einzelne Arten, was sie gefährdet, wie sich der Bestand entwickelt hat und welche Umstände zur Gefährdung der Art beitragen. Hochkirch und sein Team haben sich auch diese Bedrohungen genauer angesehen.

  • Wirtschaftliche Landnutzung (Land- und Forstwirtschaft, insbesondere industriell betrieben)
  • Zersplitterung von Lebensräumen bei Veränderungen der Landnutzung
  • Ressourcenausbeutung wie z.B. Überfischung
  • Ausbau von Wohn- und Gewerbeflächen
  • Umweltverschmutzung
  • Klimawandel

Das sind laut der Studie die Hauptgründe für das Artensterben, das weiter fortschreitet. "Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen [der Studie sind] von sehr großem Wert. In der Studie werden nicht nur einzelne Artengruppen separat analysiert und diskutiert, sondern es werden auch die potenziellen Treiber sehr differenziert besprochen", beurteilt Prof. Jan Christian Habel vom Fachbereich Umwelt und Biodiversität der Paris Lodron Universität Salzburg in Österreich die neue Studie zur Artengefährdung.

Hochgerechnet auf die Welt: Zwei Millionen Arten in Gefahr

Im Jahr 2019 legte der Weltbiodiversitätsrat IPBES seinen jüngsten Report zu Biodiversität und Ökosystemen vor und kam darin zu dem Schluss, dass von den weltweit geschätzten acht Millionen Arten etwa eine Million gefährdet sei. Dabei sei der Report aber beispielsweise davon ausgegangen, dass "nur" zehn Prozent der Insekten gefährdet seien, heißt es in der aktuellen Studie. Setze man dagegen die eigenen Erkenntnisse dagegen und betrachte man den Umstand, dass in vielen anderen Regionen der Welt die Daten noch lückenhafter seien als schon in Europa, könne man eher davon ausgehen, dass weltweit eher zwei Millionen Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben bedroht oder gefährdet sind.

Viel, werden Experten nicht müde zu erklären. Es geht nicht um die Sentimentalität, etwa den letzten Braunkehlchen hinterherzusehen. Ökosysteme sind sehr komplexe Systeme, die für uns Menschen viel tun. Sie sind Dienstleister, etwa, wenn Pflanzen bestäubt werden oder Grundwasser gereinigt wird. Und diese komplexen Systeme brauchen Biodiversität, Artenvielfalt. Denn oft hängt eine Art unmittelbar von einer anderen ab.

"Keine noch so hoch entwickelte Gesellschaft kann die finanziellen Mittel aufbringen, diese Leistungen der Natur für unsere Lebensgrundlagen durch technologische Lösungen zu ersetzen", betont Prof. Carl Beierkuhnlein vom Lehrstuhl für Biogeographie der Universität Bayreuth.

Video: Moore für den Artenschutz

Zwei Langhornbienen an einem Stängel
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Gute Nachrichten vom Planeten

Arten brauchen Lebensraum

Die neue Studie von Hochkirch und seinem Team wird sehr gelobt für die große und detaillierte Datenmenge, die bessere Rückschlüsse zulässt. Zugleich sagt aber der Studienleiter Axel Hochkirch selbst: "Wir verfügen bereits über genügend Beweise, um zu handeln - was uns fehlt, sind Taten." Auch der Biodiversitätsforscher Prof. Dr. Maximilian Weigend von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn meint, dass weitere Daten zwar wissenschaftlich interessant seien, aber "für die Formulierung eines sinnvollen Umgangs nicht erforderlich" sind. Denn was es braucht, um das Artensterben zu verringern, ist längst klar: Lebensraum.

Naturschutz ist Flächenschutz

Im Dezember 2022 beschloss die internationale Staatengemeinschaft auf dem Weltnaturgipfel in Montreal, bis 2030 weltweit dreißig Prozent der Meere und Landflächen unter Naturschutz zu stellen. Das umzusetzen und durch Monitoring zu überwachen, sei jetzt dringliche Aufgabe der Politik, sagen Biodiversitätsforscher. Sicherer Lebensraum, das ist das Wichtigste zum Überleben der Arten, verdeutlicht Weigend: "Alle heute vorhandenen Arten konnten ja Jahrmillionen ohne Zutun des Menschen gänzlich unbeobachtet überleben. Auch heute brauchen sie nur Platz und Zeit, um zu überleben."

Im Video: Gute Nachrichten vom Planeten

Personen im Leichtflugzeug mit fliegenden Waldrappen.
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Gute Nachrichten vom Planeten: Es gibt Menschen, die bedrohte Arten schützen. Sie zeigen, dass Artenschutz Erfolg haben kann.

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